Die Kanzlerin und der Komödiant

Ukraine Petro Poroschenkos Absturz ist auch Angela Merkels Niederlage
Ausgabe 17/2019
Dem zukünftigen Präsidenten kann man nur wünschen, dass er sich von den deutschen Zurechtweisungen emanzipiert
Dem zukünftigen Präsidenten kann man nur wünschen, dass er sich von den deutschen Zurechtweisungen emanzipiert

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Wer hat da wen runtergezogen? Petro Poroschenko Angela Merkel oder die deutsche Kanzlerin den ukrainischen Präsidenten? Die Frage ist nicht so absurd, wie das auf einen ersten Blick scheinen mag. Auf wen war Merkel bis zuletzt fixiert, wenn nicht den baldigen Ex-Staatschef in Kiew? Fällt der im Stechen um die Präsidentschaft mit knapp 25 Prozent glatt durch, ist das auch eine Niederlage für die deutsche Ukraine-Politik, die sich seit fünf Jahren im mentalen Schützengraben (es geht schließlich gegen Russland) eingerichtet hat. Statt das zu benennen, wird in den meisten Wahlkommentaren lieber über den siegreichen Komödianten ohne Expertise räsoniert.

Dabei ist es wahrlich nur Tage her, dass Poroschenko zwischen erstem Wahlgang und Stichwahl mit einer öffentlichen Audienz im Kanzleramt bedacht wurde. Was nach Protektion aussah, war Einmischung. Merkel konterkarierte das demokratische Prinzip fairer Wahlen, wofür der Maidan angetreten war. Wie Poroschenko das oligarchische Prinzip konservierte, gegen das der Maidan ebenso aufstand. Was beide von dem als Revolution geltenden Aufruhr Anfang 2014 übernahmen, war nicht eben viel: die Westdrift der Ukraine und die dadurch ausgelöste Konfrontation mit Russland. Wenn Poroschenko am Ostersonntag derart chancenlos blieb, liegt die Annahme nahe, dass er nicht nur für die weiter grassierende Korruption und die ökonomische Misere büßen musste. Auch das Unvermögen wie der fehlende Wille, das Land vom zermürbenden Krieg im Donbass zu erlösen, war keine Empfehlung. Wobei in Sachen Befriedung auch die Gönnerin in Berlin wenig zustande brachte. Sie ließ Poroschenko stets durchgehen, wie er seine Verpflichtungen aus dem Minsker Abkommen missachtete und einen aggressiven Nationalismus kultivierte, der bei anderen in Europa als Stilbruch geschmäht wird. Diese Entente cordiale wurde von 13,5 Millionen Ukrainern – den Wählern Selenskys – nicht eben glänzend bestätigt.

Insofern kann man dem künftigen Präsidenten nur wünschen – vermutlich vergeblich –, dass er sich von deutscher Schirmherrschaft über sein Land emanzipiert und statt Sturheit auf Realpolitik gegenüber Moskau setzt. Ansonsten drohen die nächsten fünf Jahre genauso verloren zu gehen wie die vergangenen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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