Das Charisma der Castros wird Kubas neuer Staatschef wohl schuldig bleiben. Was nichts daran ändert, dass Miguel Díaz-Canel bald schon als Krisenmanager gefragt sein könnte. Noch vor seinem Antritt gab die Regierung in Havanna zu verstehen: Von einem Staatsstreich in Venezuela oder gar einer Intervention sei auch Kuba betroffen. „Die USA werden nicht mit verschränkten Armen zusehen, wie Venezuela zusammenbricht“, so US-Vizepräsident Pence Mitte April auf dem Lima-Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Man sei gewillt, „die volle Macht“ eigener Möglichkeiten einzusetzen, „bis in Venezuela die Freiheiten und die Demokratie wiederhergestellt sind“. Zeitgleich twitterte der republikanische Senator Marco Rubio, dass „die Welt das venezolanische Militär unterstützen würde, falls es sich zum Schutz des Volkes … für die Absetzung des Diktators entscheide“. Ein Anlass, Nicolás Maduro zu stürzen, kann die für den 20. Mai angesetzte, heftig umstrittene Präsidentenwahl sein. Was bedeutet ein Putsch für das kubanische Personal in Venezuela, derzeit noch gut tausend Ärzte, Pfleger und Lehrer?
Als die USA im Oktober 1983 mit einer Invasion die linke Regierung auf der Karibikinsel Grenada stürzten, starben 25 kubanische Bauleute, die am neuen Airport für die Hauptstadt St. George’s gearbeitet hatten, um einem armen Staat eine bessere touristische Infrastruktur zu verschaffen. Erneut könnte Kuba nun einen Partner verlieren, durch den es in Lateinamerika an Rückhalt gewonnen hat. Eine wie auch immer installierte neue Macht in Caracas würde nicht nur den bisherigen Staatschef Maduro, sondern auch Kuba als Grund allen Übels – besonders des ökonomischen Verfalls – geißeln. Die linken Präsidenten Chávez und Maduro hätten einem despotischen Regime mit billigen Ölausfuhren das Überleben gesichert und so nationalen Reichtum verschleudert. Es bedarf keiner übermäßigen Fantasie, die propagandistischen Versatzstücke im Voraus zu zitieren.
Das Schicksal der Bolivarischen Revolution lässt Kuba nicht unberührt. Es zählt neben Bolivien zu deren letzten Sympathisanten innerhalb der OAS, während die USA, gestützt auf die Rechtsregierungen Argentiniens, Brasiliens und Perus, den Ton gegenüber Havanna und Caracas verschärfen. Das heißt, Miguel Díaz-Canel übernimmt das Präsidentenamt zu einer Zeit, da sich die mit der Rückkehr zu diplomatischer Normalität (2015) aufhellenden Beziehungen zu den USA weiter eintrüben. Donald Trump hat Reiseerleichterungen gekappt und droht Unternehmen – sei es in den USA, der EU oder anderswo – mit Sanktionen, sollten sie Geschäftskontakte mit kubanischen Firmen unterhalten. Für die US-Administration bleibt es bei einem 1994 vom Kongress zum Gesetz erhobenen Wirtschaftsembargo. Erst wenn außer der KP auch andere Parteien zugelassen und allgemeine Wahlen möglich seien, lasse sich daran etwas ändern, insistiert die personell derzeit stark dezimierte US-Botschaft in Havanna.
Allerdings bleibt abzuwarten, inwieweit sich Díaz-Canel überhaupt den Beziehungen mit den USA widmet oder dies weiter Raúl Castro verantwortet, der als KP-Generalsekretär präsent bleibt. Das Selbstverständnis des kubanischen Sozialismus gründet seit jeher auf einem konfrontativen Verhältnis zu Washington. Bisher ließ sich eine gewisse Reformscheu nicht zuletzt damit legitimieren. Zwar müssen die Kubaner heute nicht mehr Verhältnisse ertragen wie während des „Período especial“ in den 1990er Jahren, als die Kooperation mit den einstigen Verbündeten in Osteuropa zerbrach, doch Wohlstand und mehr Lebensqualität müssen weiter entbehrt werden. Díaz-Canel hat in seiner Rede zur Inauguration erklärt, er wolle das ändern, ohne dabei Kubas Sozialpolitik zu opfern. Was ist dieses Versprechen wert, müssen preiswerte Ölimporte aus Venezuela vielleicht entbehrt werden?
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