Einkehr und Heimkehr

Gorbatschow Bei seinen Auftritten in Berlin klang der einstige Sowjetpräsident zeitweise wie ein Emissär Wladimir Putins und wies einseitige Urteile über Russland zurück
Ausgabe 46/2014
Michail Gorbatschow überraschte mit seinen Aussagen zum Ukraine-Konflikt
Michail Gorbatschow überraschte mit seinen Aussagen zum Ukraine-Konflikt

Foto: Odd Andersen/Getty Images

Williger Stimmungsapostel des Berliner Feierkartells zum Mauerfall wollte Michail Gorbatschow nicht sein. Auf einem Podium der Cinema for Peace Foundation redete er Klartext, was die Gastgeber nicht eben in Entzücken versetzte. Ohne falsche Rücksichten wollte der einstige KP-Generalsekretär und letzte Präsident der Sowjetunion die Frage nach der Schuld am gestörten Verhältnis zwischen dem Westen und Russland anders als üblich beantworten. Noch besitzt Gorbatschow viel moralische Autorität. Zu viel, als dass es sich als Schrulle eines Polit-Pensionärs abtun lässt, wenn er sagt, der Westen habe schon in den 90er Jahren jenes Vertrauen zu Russland untergraben, das den Wandel in der DDR wie in Osteuropa überhaupt erst ermöglicht habe.

Sollte Wladimir Putin einen Emissär brauchen, der seine Botschaften durch die Welt trägt – dieser Gorbatschow bietet sich an. Wäre da nicht der ramponierte Ruf im eigenen Land, wo er vielen als Hasardeur gilt, der eine Weltmacht verspielt hat.

Freilich gäbe es auch sonst Zweifel an Gorbatschows diplomatischem Format. Er hat für die finale Sowjetunion keine wirklich realistische Außenpolitik mehr betrieben, sondern Visionen gepflegt, die sich als Illusionen erwiesen haben, weil für Utopien die externen Partner fehlten. Man denke an die Idee vom Gemeinsamen Haus Europa. Oder an einseitige Vorleistungen gegenüber den USA bei der atomaren Abrüstung, die nicht honoriert, stattdessen später mit einer NATO-Ostausdehnung und dem Projekt eines westlichen Raketenschilds quittiert wurden.

Zwang zur Balance

Wo immer Gorbatschow mit gutem Willen und Beispiel überzeugen wollte, wurde ihm das als Schwäche ausgelegt. Kleine und große Konzessionen mündeten in die eine große Kapitulation: Die von innen heraus erzwungene Preisgabe der Sowjetunion, deren Verschwinden einem geostrategischen Erdrutsch gleichkam. Die Welt wurde danach weder sicherer noch friedfertiger.

Insofern ist Gorbatschows Berliner Expertise – man stehe an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg – mit Vorsicht zu genießen. Immerhin hatte der bis 1990 geführte den gewiss fragwürdigen, aber wirksamen Vorteil, unter der Schirmherrschaft eines nuklearen Patts stattzufinden. Dessen Verlust wollte niemand riskieren. Schon gar nicht die beiden Supermächte. Ein Kalter Krieg heute – ohne den Zwang zur Balance – kann schnell einer ohne Maß sein. Schließlich meint der Begriff mehr als eine ideologisierte Außen- und gezielte Sanktionspolitik des Westens, der zur Gegnerschaft mit Moskau zurückkehrt. Auch die militärische Option hat wieder einen politischen Gebrauchswert, womit die Bereitschaft, einen Konflikt wie den um die Ukraine zu wagen, nicht eben sinkt. Was umso gefährlicher ist, wenn sich Politik auf beiden Seiten zusehends als Stimmung niederschlägt, die bedient sein will.

Selbst Gorbatschow, der Reformator und Mediator zwischen den Welten, ist dagegen nicht gefeit, wenn er Putin wie ein orthodoxer Patriarch in Weihrauch hüllt und lobt: Mehr als alle anderen beschütze dieser Präsident die Interessen Russlands. So viel Mut zum Bekenntnis aus diesem Mund? Das mutet an wie Gorbatschows späte Heimkehr in eine russische Gesellschaft, für die sowjetische Vergangenheit zur nationalen Geschichte gehört. Und deshalb eine Zukunft als Regionalmacht von Weltrang beansprucht werden darf.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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