Die EU-Marinemission ist auch gegen den Iran gerichtet
Aspides Die EU-Operation „Aspides“ scheint nicht ausreichend dagegen gefeit, eine „Mission Creep“ zu werden. Als militärischer Partner der USA im Roten Meer und Israels im Gaza-Konflikt begibt man sich in eine asymmetrische Konfrontation
Mit den besten Grüßen von der Bundeswehr: Geschenke-Korb für Angehörige bei der Verabschiedung zum Einsatz
Foto: David Hecker/Getty Images
Aus gutem Grund wird das Werk bis heute wie ein Kompendium eherner Maxime der Kriegsführung gesehen. So enthält die Schrift Vom Krieg des preußischen Militärtheoretikers Carl von Clausewitz die auf einen Satz gebrachte Einsicht, man solle als kriegerische Macht nicht den „ersten Schritt tun, ohne zugleich an den letzten zu denken“. Mit anderen Worten, wer Staaten angreift, sie besetzt und womöglich einen Regimewechsel auslöst, sollte gerade im Hochgefühl eigener Stärke über Exit-Strategien verfügen. Damit lassen sich gegebenenfalls Zeitpunkt und Umstände für den „letzten Schritt“ definieren, der zum Rückzug nötigt, wenn mit der Besetzung fremden Territoriums aufreibender Verschleiß droht.
Exit
; droht.Exit-Strategien können helfen, eine „Mission Creep“ zu verhindern – die schleichende, letztlich ausufernde Eskalation militärischer Gewalt, wie das den Amerikanern zwischen 1965 und 1973 in Südvietnam widerfuhr. Woraus – wegen mangelnder Selbsterkenntnis oder Selbstkenntnis oder beidem – wenig gelernt wurde. Ansonsten hätte Jahrzehnte später US-Interventionsmacht in Afghanistan, im Irak oder in Libyen auf Ausstiegsszenarien zurückgreifen können, um Schaden von sich selbst, besonders aber den betroffenen Ländern und Völkern abzuwenden. Allein in Afghanistan geriet der überstürzte Abzug von US- und NATO-Verbänden im August 2021 zum Debakel. Er verhinderte den geordneten Übergang zu einer staatlichen Autorität, die nicht nur den Taliban zufiel.Riesiges OperationsgebietInsofern reizt das Mandat für die EU-Marinemission „Aspides“ (aus dem Altgriechischen übersetzt: „der Schild“) zu Nachfragen. Trifft das am 19. Februar von den EU-Außenministern beschlossene Unternehmen genügend Vorsorge, keine „Mission Creep“ zu werden? Ist man dagegen gefeit? Zweifel sind angebracht. Selbst wenn die Verlegung von Kriegsschiffen aus Belgien, Frankreich, Deutschland, Dänemark, Italien und Griechenland in den Nahen Osten bis April befristet ist (jedoch verlängert werden kann), erstaunt, welch riesiges See- zum Operationsgebiet erklärt wurde. Es umfasst nicht nur das Rote Meer und die Straße von Bab al-Mandab, wo die Schifffahrt derzeit Drohnen- und Raketen-Angriffen jemenitischer Huthi ausgesetzt ist. Auch der Golf von Aden, der Golf von Oman sowie die Straße von Hormus, die den Persischen Golf mit dem Indischen Ozean verbindet, sind erfasst. Man kann sich der iranischen Küste ebenso nähern wie die des Jemen vollständig umschließen. In dessen Nachbarschaft liegen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien zwei Mächte, die seit 2015 zusammen mit Ägypten, Kuwait und Bahrain den Jemen der Huthi mit einem brutalen Luftkrieg überzogen haben. Logistisch flankiert von den USA, Großbritannien und Frankreich, was es nicht verdient, übersehen zu werden.Zwar ist seit 2022 eine halbwegs stabile Waffenruhe wirksam, doch profitiert die Anti-Huthi-Allianz maßgeblicher Golfstaaten von der laufenden Marinemission „Prosperity Guardian“ der USA und Großbritanniens. Deren Kriegsschiffe beschießen seit Wochen Huthi-Positionen im Jemen. Auch wenn sie ausdrücklich ein autonomes Projekt sein will, kann die EU-Mission „Aspides“ nicht isoliert davon gesehen werden. Sie beeinflusst unweigerlich die regionale Kräftebalance. Daran Anteil hat für Deutschland die Fregatte „Hessen“. Am 8. Februar bereits von Wilhelmshaven aus in Marsch gesetzt, obwohl der Bundestag erst am 23. Februar sein Plazet gab, wird der Crew allenthalben bescheinigt, den „gefährlichsten Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr“ (Verteidigungsminister Boris Pistorius) zu bestreiten. Und das in einer Zeit, da Auslandseinsätze wie in Mali und Afghanistan als gescheitert verbucht sind.Umso nachdrücklicher wird versichert, die „Hessen“ gebiete über ein Equipment, das vieles ermögliche. Die Radareinrichtungen erlauben es, einen Luftraum zu überwachen, der so groß ist wie die Nordsee. Es können Flugabwehrraketen mit einer Reichweite von 160 Kilometern abgefeuert werden. Dazu lassen sich Marinehubschrauber starten, um Kamikaze-Schnellboote zu bekämpfen oder Besatzungen bedrohter Schiffe zu evakuieren, die notfalls eskortiert werden sollen. Von diesem Arsenal Gebrauch zu machen, bedeutet dreierlei: Man wird militärischer Partner der USA im Roten Meer und Israels im Palästina- bzw. Gaza-Konflikt, treibt dessen Regionalisierung voran und begibt sich in eine asymmetrische Konfrontation. Letzteres bedingt der unterschiedliche Standard eingesetzter Waffensysteme. Die Mission „Aspides“ zehrt von einer effektiven Aufklärung, hoher Feuerkraft und verlässlicher Logistik, für die das „Aspides“-Hauptquartier in Griechenland (ebenfalls mit deutscher Beteiligung) aufkommen wird. Bei den Huthi überwiegt der Einsatz von Drohnen und Raketen, deren Treffsicherheit schwankt. Sie haben ein ausgebautes, größtenteils unterirdisches System von Kommandostellen, Depots und Schutzräumen, das zur Abwehr der saudischen Aggression entstand.Dabei gilt Asymmetrie ebenso für den Auftrag der Akteure. Die bei „Aspides“ engagierten EU-Staaten assistieren den USA und Großbritannien beim Versuch, Störmanöver der Huthi auf Seefahrtsrouten einzudämmen oder ganz zu verhindern. Die „jemenitischen Streitkräfte“ wiederum, wie sie in der Hauptstadt Sanaa genannt werden, betrachten sich als Schutzmacht der Palästinenser in Gaza, um sie vor fortschreitender physischer Vernichtung und Vertreibung zu bewahren. Sobald Israel den Krieg dort einstelle, „werden auch wir unsere Operationen im Roten Meer beenden“, bekundet Abdel Malek al-Huthi, Oberhaupt des Huthi-Clans. Das heißt, die materielle Asymmetrie der Konfliktparteien korrespondiert mit einer ideellen der Motivation und Legitimität, die völkerrechtlich nicht zu fassen ist. Wenn man so will, kompensieren die Huthi eine den Palästinensern vorenthaltene Staatlichkeit und das damit verbriefte Recht auf Selbstverteidigung, das ihnen zusteht, solange nur ein Quadratmeter ihres Territoriums besetzt bleibt. Alle seit den Nahost-Kriegen von 1948/49 und 1967 beschlossenen UN-Resolutionen lassen keine andere Lesart zu. Es hat nicht das Geringste mit Antisemitismus zu tun, darauf hinzuweisen. Als Administration eines Nicht-Staates ist die Palästinensische Autonomiebehörde derart limitiert, dass sie nicht einmal vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gegen Israel klagen kann. Vor dieser Kammer sind nur Staaten als Prozessparteien zugelassen.Weil das so ist, entsteht objektiv der Eindruck, dass die Huthi mit ihren Militäraktionen dem Nachdruck verleihen, was der IGH am 30. Januar zur Völkermord-Klage Südafrikas entschieden hat: Es muss Sofortmaßnahmen geben, „um das Sterben und Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung umgehend einzudämmen“. Nur fehlt dem UN-Gerichtshof jede exekutive Kapazität, um das durchzusetzen. Den Huthi nicht. Indem sie ihr Handeln im Roten Meer an die Forderung nach einem Frieden in Gaza binden, wird auch der IGH-Entscheidung Geltung verschafft. Wie anders als durch ein Schweigen der Waffen in Gaza sollte „das Sterben und Leiden“ der Palästinenser beendet werden? Deutschland hingegen, das sich so viel auf eine „regelbasierte“ Außenpolitik zugutehält, wozu die UN-Gerichtsbarkeit zählt, unterläuft mit der Teilnahme an der Mission „Aspides“ genau genommen die Rechtsprechung der Haager Richter. Ein Momentum, das es so wenig verdient, übergangen zu werden, wie das auf die absehbare Verstrickung in einen Stellvertreterkrieg zutrifft, den die USA und Großbritannien gegen die Huthi führen, aber Iran meinen.Im StellvertreterkriegVerständlicherweise scheut die Biden-Regierung das Risiko, sich mit einer De-facto-Atommacht anzulegen. In einem Wahljahr käme nichts ungelegener als der direkte Zusammenstoß mit Teheran. Donald Trump würde dem Amtsinhaber umgehend anlasten, die USA durch mangelnde Vorsicht und Unvermögen in eine katastrophale Situation manövriert zu haben. Folglich wird man sich weiter darauf konzentrieren, Alliierte Irans – von der Hisbollah im Libanon über die Assad-Armee in Syrien bis zu den Huthi im Jemen – zu attackieren oder durch Israel attackieren zu lassen, aber den ultimativen Crash vermeiden. Für diese Agenda werden – ob sie wollen oder nicht – nun auch die EU und Deutschland vereinnahmt. Dass der „Aspides“-Aktionsradius die Straße von Hormus und quasi den Persischen Golf einschließt, nährt den Verdacht, dass es sich mit dem erteilten Mandat um einen Vorratsbeschluss handelt, falls mehr militärischer Druck auf Iran ausgeübt werden soll. Statt einer „Mission Creep“ sollte man die „Mission Exit“ im Auge behalten.
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