EU-Aufnahme der Ukraine verspricht den absoluten Krisenmodus

Europa Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schließt eine Expressaufnahme der Ukraine nicht vollends aus.
Ausgabe 09/2022
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erweckt den Eindruck, als wollte sie schon gern – was tun?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erweckt den Eindruck, als wollte sie schon gern – was tun?

Foto: John Thys/AFP/Getty Images

Der Beitrittsantrag für die EU ist unterschrieben, Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das in Kiew medienwirksam getan. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erweckt den Eindruck, als wollte sie schon gern – was tun? Von Emotionen getrieben und den Umständen überwältigt, eine Expressaufnahme anstoßen? Man würde auf Kandidatenstatus und Aufnahmeverfahren verzichten, stattdessen den Aspiranten einfach durchwinken und die 27 Mitgliedsstaaten davon überzeugen, dass eine Politik der Symbolik das Gebot der Stunde ist. Und alles andere als ein Verzicht auf Politik. Wer das nicht mitträgt, setzt sich dem Vorwurf aus, der Ukraine in den Rücken zu fallen und Russland einen Gefallen zu tun.

Wie sehr es der EU auf die Füße fiele, einen derartigen Präzedenzfall zu schaffen, zeigt ein Blick auf Albanien, Nordmazedonien, Montenegro, Serbien und Bosnien. Ausnahmslos EU-Bewerber, die seit Jahren in der Warteschleife kreisen und ohne realistische Beitrittsperspektive sind. Ihnen wäre es schwer zu vermitteln, dass der Ukraine im Eilverfahren gewährt wird, was ihnen so lange schon verwehrt bleibt. Diese Aspiranten auf Abstand zu halten, hatte bislang viel mit dem Bedürfnis zu tun, einem Staatenbund wie der EU die Handlungsfähigkeit zu erhalten, statt durch Überdehnung das Gegenteil zu bewirken.

Eines steht außer Frage: Eine Aufnahme der Ukraine verspricht der EU den permanenten Krisenmodus. Dieser Schritt wäre die Garantie dafür, unablässig mit dem Ukraine-Konflikt beschäftigt und auf Kollisionskurs mit Russland zu sein. Der Vergleich mit der Türkei drängt sich auf. Von anderen Gründen einmal abgesehen, stand ein Votum für diesen Anwärter nicht zuletzt aus geopolitischen Erwägungen unter Vorbehalt. Die EU hätte sich gemeinsame Grenzen mit Syrien, dem Irak und Iran, Armenien und Georgien eingehandelt. Ihr winkte die Tuchfühlung mit einer Kriegs- und Konfliktzone sondergleichen. Gäbe es für die Ukraine einen Aufnahmebonus, wäre das vom Prinzip her kaum anders. Das spezifische Gewicht wie die unmittelbaren Interessen dieses Landes würden es verhindern, gegen seinen Willen Entscheidungen in der EU zu bewirken. Es wäre aus moralischen Gründen verboten, die Ukraine zu majorisieren, und wegen des bei vielen Vorhaben geltenden Einstimmigkeitsprinzips ohnehin unmöglich. Die EU scheint gut beraten, über den Tag hinaus zu denken.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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