Friedensplan: China will eine multipolare Welt jenseits der Hegemonien
Zwölf-Punkte-Plan Der Friedensplan der Regierung in Peking enthält neben prinzipiellen Positionen auch diplomatisches Spielmaterial, das in die Verhandlungen um einen Frieden einfließen sollte. Deutlich wird auch: China denkt bereits an die Welt von morgen
„Unserem ursprünglichen Ziel treu bleiben und unseren Auftrag nicht aus den Augen verlieren“, steht neben Xi Jinping
Foto: Jade Gao/AFP/Getty Images
Aus welchem Grund müssen eigentlich Brasilien und China zu diplomatischen Vorstößen ausholen, die eine Friedensagenda für die Ukraine abbilden? Weshalb übernimmt das nicht die EU, wenn dort unablässig und zu Recht beklagt wird, dass es einen Krieg „mitten in Europa“ gibt? Was fiele mehr in die Zuständigkeit eines europäischen Staatenbundes, als darauf mit adäquater Diplomatie zu reagieren?
Auch wenn man sich dabei vorzugsweise ukrainischer Positionen annähme – es wäre ein Signal: Wir wollen den Krieg nicht durch Sanktionen und Waffen verlängern, wir suchen nach Wegen, ihn zu beenden. Was ist so abwegig an dem moralischen Gebot, der Ukraine künftig Tage zu ersparen, an denen Hunderte von Menschenleben verloren
n verlorengehen? Die Rechtfertigung, darauf zu verzichten, lautet, es dürfe keinen „falschen Frieden“ geben. Was den Schluss nahelegt, ein „richtiger Krieg“ ist die Alternative.Dass seit dem 24. Februar China mit einem Zwölf-Punkte-Tableau in diese Bresche springt, spricht Bände. Ein Staat von internationalem Format wird zum Anwalt der Vereinten Nationen und spricht in ihrem Namen. Was vorgeschlagen wird, vertraut auf Geist und Buchstaben der UN-Charta. Es gibt keinen einzigen Passus, dem der UN-Generalsekretär wie die Weltorganisation in ihrer Gesamtheit widersprechen müsste. In der am 23. Februar von einer Mehrheit der Vollversammlung beschlossenen Resolution zum Ukraine-Krieg werden ausdrücklich „diplomatische Bemühungen“ unterstützt für „einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine“. Bekräftigt wird „das Engagement für Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen“.Nützliche ManövriermasseDem wird China gerecht, indem nicht irgendwo, sondern zu Anfang seines Papiers formuliert ist: „Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder muss wirksam aufrechterhalten werden“, was nicht nur auf die Ukraine, sondern ebenso auf Russland bezogen wirkt. Dem geht der Appell voraus, beide Kriegsparteien mögen sofort eine Waffenruhe vereinbaren und „Verhandlungen wieder aufnehmen“, sprich: dort fortfahren, wo sich Mitte März bei ukrainisch-russischen Sondierungen in der Türkei das Junktim abzeichnete: russischer Rückzug gegen ukrainische Neutralität.Um einen solchen Kompromiss zu befördern, können einige der zwölf Punkte als diplomatische Manövriermasse von Nutzen sein – als Vorlage für ein klassisches Quidproquo, ein Konzession gegen Konzession. Sei es beim Austausch von Kriegsgefangenen oder bei „humanitären Operationen“ für Zivilisten, beim unbedingten Schutz der Kernkraftwerke in der Kriegszone („China ist gegen Angriffe auf Atommeiler“, heißt es wörtlich) oder beim Plädoyer für ein erneuertes „Getreideabkommen“ zwischen Moskau, Kiew und Ankara. Dass China „einseitige Sanktionen“ ablehnt, mag auf einen ersten Blick „prorussisch“ anmuten, taugt jedoch ebenfalls zum politischen Spielmaterial. Nehmen die USA und die EU Strafmaßnahmen partiell oder ganz zurück, die sich bisher als nicht sonderlich wirkungsvoll erwiesen haben, gerät Russland in Zugzwang, seinerseits mit Zugeständnissen aufzuwarten. Mehr noch, es wäre der „konstruktive Kompromiss“ belebt, der als Ultima Ratio diplomatischer Kreativität geschätzt wird.Peking war offenkundig daran gelegen, dass Politbüro-Mitglied und Chefdiplomat Wang Yi vor dem 24. Februar auf Wladimir Putin in Moskau traf. Womit in Kauf genommen war, dass der Zwölf-Punkte-Plan in den Geruch einer konzertierten Aktion geriet. Andererseits stand die Begegnung für selbstbewusste Souveränität, um ein solches Tableau nicht durch taktisches Verhalten zu entwerten. An der brüsken Absage durch Joe Biden, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hätte ein Verzicht auf Wangs Moskau-Trip nichts geändert. Sehr unwahrscheinlich, dass die chinesische Regierung der Illusion anhängt, ihr Katalog der Befriedigung ließe sich aus der systemischen Konfrontation mit den USA und der EU heraushalten. Weil das von vornherein feststand, liegt die Annahme nahe, Adressaten des Papiers sind eher die Anhänger einer multipolaren Weltordnung, zum Beispiel Chinas BRICS-Partner Indien, Südafrika und Brasilien, die den Ukraine-Krieg nicht zuletzt als Gelegenheit begreifen, sich westlicher Hegemonie zu entziehen. China reflektiert eine Welt von morgen und damit eine Zeitenwende, wie sie für die internationalen Beziehungen nach dem Ukraine-Krieg unausweichlich sein wird.Mehr Floskel als FormelBlickt man zurück, so hielt sich Peking noch zu Zeiten des Ost-West-Konflikts an die Metapher vom „strategischen Dreieck“ mit den Eckpunkten USA, Sowjetunion und China. Als nach 1990 Chinas globaler Fußabdruck sichtbarer wurde, mündete diese Konzeption in pragmatische Arrangements mit Moskau und Washington, um durch Äquidistanz am „Dreieck“ festzuhalten. Dies bedeutete u.a., dass aus chinesischer Sicht die Russische Föderation vorrangig als Gegengewicht zu den USA gefragt war. Daraus wurden erst dann enge Bindungen, als eine strategische Partnerschaft mit Amerika, wie sie US-Präsident Bill Clinton in den 1990er Jahren zu begründen suchte, zusehends in strategische Rivalität überging, die inzwischen offen und unversöhnlich ausgetragen wird.Insofern spricht aus der Zwölf-Punkte-Agenda neben Friedensverantwortung auch das Ansinnen, Russland vor Schaden zu bewahren, um sich selbst nicht zu schaden. Aus diesem – gewiss mutmaßlichen, aber logischen – Motiv resultiert indes ein innerer Widerspruch des Papiers: Die Forderung, die Sicherheitsbedürfnisse eines jeden Landes müssten respektiert werden, ist mehr Floskel als Formel. Unausgesprochen bleibt, dass Russland seine Sicherheit an die Annexion der Krim wie von Teilen der Ostukraine bindet und sich dabei auf das Selbstbestimmungsrecht der in diesen Regionen vorwiegend russischen Bevölkerung beruft. Dies auszublenden, hat vor allem einen Grund, China meidet Sympathien für diese oder jene Autonomie, weil das den Streit um Taiwan tangiert. Die Insel mit dem Festland zu vereinen, heißt für Peking, seine Souveränität zu vollenden.
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