Präsident Putin zeigt Härte und meint, dafür Gründe zu haben. Vorerst gibt es keine weiteren Übereinkünfte mit den Vereinten Nationen und der Türkei über Agrarexporte. Womit sich auch ein paralleler Vertrag der Ukraine mit diesen beiden Partnern erübrigt hat, um Getreideausfuhren über den Schiffsweg im Schwarzen Meer zu regeln. Die Kriegsparteien Kiew und Moskau haben nie ein gemeinsames Getreideabkommen ausgehandelt, auch wenn zuweilen der Eindruck erweckt worden ist.
Ammoniak-Trasse von Togliatti bis Yuzhny
Umso mehr verdienen die Verpflichtungen Beachtung, auf die sich alle Beteiligten geeinigt hatten, als vor gut einem Jahr, am 22. Juli 2022, erstmals in zwei komplementären Verträgen bindende Vereinbarungen getroffen und zuletzt
troffen und zuletzt im Mai 2023 verlängert wurden. Sie werden in der aktuellen Debatte, vor allem bei den Schuldzuweisungen gegenüber Russland, hierzulande mit einer Ignoranz und Vehemenz ausgeklammert, wie das sonst nur auf die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges zutrifft.Diese Vereinbarungen kamen ausdrücklich unter Verweis auf die globale Ernährungssicherheit zustande, die nicht von ukrainischem Getreide allein, sondern in noch ausgeprägterer Weise von Russland abhängig ist. Vor dem Krieg kam dieser Exporteur für 17 Prozent des Welthandels mit Weizen auf, während der ukrainische Wert bei 13 Prozent lag. Zugleich ist der Düngemittelproduzent Russland für die Agrarwirtschaft – nicht zuletzt in Afrika und Lateinamerika – bei Stickstoff, Kali und Phosphor unverzichtbar.Die Vereinten Nationen hatten insofern guten Grund, sich dafür einzusetzen, dass mit dem westlichen Sanktionsregime dem Handel mit diesen Erzeugnissen keine unüberwindbaren Grenzen gesetzt wurden. Dabei ging es nicht um Gefälligkeiten, sondern Bedingungen, mit denen die „Black Sea Grain Initiative“ erst möglich wurde, weil die Interessen aller Seiten – gewiss in unterschiedlicher Weise – berücksichtigt waren, wie es üblich ist, wenn Verträge geschlossen werden. Zumindest auf dem Papier schien es so zu sein. Unter anderem ging es Moskau um die Rückkehr der russischen Agrarwirtschaftsbank Rosselchosbank in den internationalen Zahlungsverkehr, dazu die Wiederinbetriebnahme einer Ammoniak-Trasse vom russischen Togliatti in den ukrainischen Hafen Yuzhny, über die bis zu Beginn des Krieges eine Menge von 2,5 Millionen Tonnen pro Jahr verschifft wurde. Wer das von der Dimension her erfassen will, sollte wissen, dass der Wert dieser Ausfuhren bei 2,4 Milliarden Dollar lag.Das Dual-Use-ArgumentDoch stehen die UN-Unterhändler bei all diesen aus russischer Sicht nachvollziehbaren Forderungen mit leeren Händen da. Sie müssen einräumen, dass ihnen verwehrt blieb, wofür sie sich einsetzen wollten. Somit ist weniger Russland die ausbleibende Vertragsverlängerung vorzuwerfen als den Vereinten Nationen eine mangelhafte Vertragstreue. Wofür es eindeutige Gründe gibt. Sowohl für die USA wie der EU war es offenbar nicht hinnehmbar, dass Russland beim Weltagrarhandel wieder über eigene Geldkanäle mit dem Ausland verfügen kann.Es wäre eine weitere Bestätigung dafür gewesen, dass die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Russland den gewünschten Effekt schuldig bleiben. Um dies zu vermeiden, wurde beispielsweise seit Abschluss des Getreidedeals die Einfuhr von Ersatzteilen für russische Landmaschinen weiter blockiert. Begründung: Was dadurch nach Russland gelange, sei auch für militärische Zwecke nutzbar. Die Nachteile einer solchen Behandlung für Russland liegen auf der Hand. Man musste u.a. schlucken, dass die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer aus und in Richtung ukrainischer Häfen wie Odessa, Chernomorsk und Yuzhny auch dem Transfer von Kriegsgerät dienen konnte. Es kam hinzu, dass wegen der Ungleichbehandlung für russische Frachter – vor allem das Verbot, europäische Häfen anzulaufen und die sich dadurch verlängernden Routen – die Versicherungsprämien signifikant nach oben gingen und für Reedereien unbezahlbar wurden.Putins Angebot an ScholzDass sich die russische Regierung unter diesen Umständen doch noch dazu durchringt, an der „Black Sea Grain Initiative“ festzuhalten, erscheint fraglich, solange sich an den Konditionen nichts grundlegend ändert. Es wäre an Präsident Recep Tayyip Erdogan, das gegenüber den westlichen Sanktionsländern durchzusetzen und Wladimir Putin beim für August anstehenden Besuch in der Türkei zu präsentieren. Ob ihm Ersteres gelingt, erscheint höchst fraglich.An dieser Stelle sei auch daran erinnert, dass Putin am 13. September 2022 im Telefonat mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz anbot, die 300.000 Tonnen russischer Düngemittel, die in westlichen Häfen beschlagnahmt wurden, Ländern des globalen Südens kostenlos zu überlassen. Nichts dergleichen geschah. Wer betreibt hier eigentlich sein Spiel mit dem Hunger der Ärmsten?