Polens Importstopp von Getreide: Ukraine-Solidarität stößt an Grenzen

Handelskonflikt Die Regierung in Warschau wirft im Streit um ukrainische Agrarimporte EU-Verträge in den Papierkorb, rudert dann aber ein wenig zurück. Am Ende könnte sie dennoch als Gewinnerin dastehen
In Polen protestieren die Bauern
In Polen protestieren die Bauern

Foto: Imago/Zuma Wire

Es war eine Reaktion auf Proteste, die vor den im Herbst anstehenden Wahlen besonders in Gewicht fallen: Polens Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat am Wochenende ein Einfuhrverbot bis Ende Juni für Getreide und weitere Agrarerzeugnisse wie Gemüse, Eier und Geflügel aus der Ukraine verhängt. Sie verletzte damit geltende EU-Verträge, die es der EU-Zentrale in Brüssel überlassen, Ein- und Ausfuhren in aus und der Union zu regeln. Dem Schritt Polens, dem teilweise auch Ungarn und die Slowakei folgten, während Bulgarien noch abwartet, waren landesweite Proteste polnischer Bauern vorausgegangen.

Seit der im Mai 2022 geltenden Zollfreiheit für ukrainische Importe in die EU hat ein großer Teil der Güter nicht, wie vorgesehen, Polen und die anderen Staaten als Transitland passiert, sondern ist zum erheblichen Teil auf deren Märkten gelandet. Dies hatte sinkende Preise zur Folge, durch das Überangebot blieben und bleiben die einheimischen Erzeuger auf ihren Erträgen sitzen. Lange ließ Polens Regierung dies geschehen, doch angesichts massiver Bauernproteste, sinkender Umfragewerte und der Sejmwahlen im Herbst entschied sich PiS-Chef Jarosław Kaczyński für eine Wende um 180 Grad.

Kritik an Warschau

In ruhigeren Zeit wäre Brüssel auf die Barrikaden gegangen, geht es doch immerhin um Eckpfeiler der Union, den gemeinsamen Markt und das Außenhandelsregime. Doch die Reaktion blieb verhalten. „Wir analysieren die Situation und fragen nach der rechtlichen Basis“, sagte EU-Kommissionssprecherin Miriam Garcia Ferrer zu Wochenbeginn. Von einer EU-Klage gegen Polen, die sich ohnehin über Monate hinziehen würde, war keine Rede. Vermutlich hatte sich die Kommission hinter den Kulissen bereits in die Verhandlungen zwischen Warschau und Kiew eingeschaltet. Inzwischen wurde ein Kompromiss verkündet. Danach darf Getreide aus der Ukraine weiter Polens Grenze passieren, doch soll davon wie auch von anderen Agrargütern keine einzige Tonne mehr in Polen verbleiben. Der Transport wird in verplombten Containern abgewickelt. Miriam Garcia Ferrer kommentierte, man begrüße den Kompromiss, und kritisierte zugleich den Alleingang Polens als „inakzeptabel“.

Die EU-Agrarminister hatten Anfang April vorgeschlagen, die Zollfreiheit für ukrainisches Getreide und andere Produkte bis zum Sommer 2024 zu verlängern, was die EU-Kommission durch Hilfen in zweistelliger Millionenhöhe für osteuropäische Mitglieder kompensieren wollte – doch dürften diese Mittel nicht reichen. Offenbar war die Kommission an einem eher stillen Lösung des Konflikts interessiert: zum einen sollten die Risse in der EU-Politik gegenüber der Ukraine nicht größer werden, als sie bereits sind. Zum anderen sollte der PiS mit ihrem Hang zur Anti-EU-Rhetorik keine zusätzliche Handhabe geboten werden.

Konkurrent Konfederacja

Auch wenn die PiS-Partei bei den Parlamentswahlen im Herbst stärkste Kraft bleiben dürfte – ob sie weiter regieren kann, steht in den Sternen. Wichtige ländliche Wähler drohen ihr durch die Getreidekrise von der Fahne zu gehen. Die nationalistisch-libertäre Konfederacja, die einzige Partei, die auf Distanz zu Polens bisheriger Hurra-Politik gegenüber der Ukraine achtet und konsequent auf die Wahrung polnischer Interessen pocht, steht in Umfragen zusehends besser da. Das vorübergehende Einfuhrverbot schien eine Reaktion auch darauf zu sein.

Noch kurz nach dem Besuch Wolodymyr Selenskyjs in Warschau vor gut zwei Wochen hatten beide Regierung vereinbart, dass die Ukrainer ihrerseits die Ausfuhren stoppen würden, Verhandlungen dazu waren vereinbart. Dann aber entschied PiS-Chef Kaczyński, augenscheinlich spontan, wofür er bekannt ist: Wir nehmen das Heft selbst in die Hand, ganz ohne Absprache mit Brüssel oder Kiew, die beide verstimmt reagierten. Kaczynski versprach den Bauern zugleich, ihre Getreidebestände für umgerechnet etwa 300 Euro pro Tonne aufzukaufen, was deutlich über dem derzeitigen Marktwert lag.

Sollte der nun geschlossene Transit-Kompromiss die von der PiS erhoffte Wirkung zeigen und sich die Situation der Bauern verbessern, könnte die Regierung daher im Innern gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen. Ein Regelbruch gegen die EU suggeriert Souveränität und wird von Stammwähler der PiS mutmaßlich honoriert.

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