Als Gerhard Schröder im Dezember 1999 der erste bundesdeutsche Kanzler war, der vor der Pariser Nationalversammlung reden durfte, enthielt sein Auftritt die unterschwellige Botschaft: Wir Deutschen sind wieder wer in Europa und lieben euch trotzdem. Würde es nicht diplomatischer Anstand und taktisches Kalkül verbieten, könnte Angela Merkel den zweiten Teil des Satzes getrost weglassen oder wie folgt erneuern: Wir sind wieder wer und haben es nicht mehr nötig, euch zu lieben. Wir werden uns das solange verkneifen, wie ihr euch diesen Präsidenten leistet.
Doch bedarf es überhaupt eines derartigen verbalen Verdikts? Die Politik in Berlin sagt mehr als jedes Wort. Was sich während der Präsidentschaft des Nicolas Sarkozy angedeutet hat, wird zur Gewissheit, seit in Paris der Sozialist François Hollande regiert. Die ostdeutsche Kanzlerin zeigt wenig Neigung, vor dem westdeutsch-französischen Freundschafts- und Versöhnungswerk der Adenauer und de Gaulle in Ehrfurcht zu erstarren. Aber sie schleift keine Denkmäler, sondern vertraut einfach ihrem ideologischen Instinkt. Und der besagt, man kann sich über den Gräbern von Verdun nur einmal die Hand reichen, wie es Kanzler Kohl und Präsident Mitterrand 1984 getan haben. So erhebend die von symbolischen Inszenierungen getragenen Höhenflüge im deutsch-französischen Verhältnis auch gewesen sein mögen, damit lässt sich heute nicht mehr viel ausrichten. Weder gegen überbordende Staatsschulden, das Down-Grading der Rating-Agenturen oder einen schwindsüchtigen Euro.
Französische Linksregierungen (und nicht nur sie) unter Präsidenten wie Vincent Auriol in der IV. Republik, später François Mitterrand und jetzt François Hollande blieben stets dem traditionellen etatistischen Muster verpflichtet, um über Krisenzeiten hinweg zu kommen. Ihr Credo, durch Staatsintervention zum Wachstum, durch Wachstum zum Wohlstand, hat sich überlebt, ist Merkel überzeugt. Was man stattdessen brauche, sei eine „Agenda 2010“ für Frankreich. Solange es die nicht gibt, taugt Staatschef Hollande nur bedingt zum Euro-Krisenmanager und wird auf Abstand gehalten.
Eher mäßig amüsant
Eine Cohabitation über die Grenzen konträrer politischer Lager hinweg, wie sie in den siebziger Jahren zwischen dem sozialdemokratischen Kanzler Helmut Schmidt und dem bürgerlich-liberalen Präsidenten Giscard d'Estaing gab, dürften Merkel und Hollande als Zumutung empfinden. Deutsch-französische Freundesbande hin oder her – seit Sarkozy pendeln die Beziehungen zwischen Mit- und Gegeneinander. Aus Pariser Sicht sind sie zu einer eher mäßig amüsanten Juniorpartnerschaft gegenüber den Berliner Großmeistern geschrumpft.
Wozu das führt, ließ unter anderem der EU-Gipfel im Dezember 2011 erkennen. Frankreich musste entgegen seiner Überzeugung unter deutschem Druck einen Fiskalpakt absegnen, der Eurostaaten zwingt, haushälterische Souveränität zu opfern, sobald sich Bonität auf den Finanzmärkten nur noch durch Garantien aus den Euro-Rettungsfonds bewahren lässt. Durch Wachstum zum Wohlstand? Das war einmal! Durch Spar- und Stabilitätsdogmen, kreditwürdig sein, Gläubiger beruhigen und sich in Haushaltsdisziplin üben, lautet das Gebot der Zeit. Merkel setzt dem Frankreich Hollandes dort zu, wo es sozialistisch sein will, aber nicht sein kann. Bei einer Staatsschuld von über 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verbieten sich Subventionen, Beschäftigungsprogramme oder ein Generationenvertrag, der Schulabgängern Ausbildung statt Ausgrenzung sichert. Wer sich diese soziale Tatkraft dennoch leistet, braucht in der Euro-Gemeinschaft Helfer und Sympathisanten. Deutschland gehört definitiv nicht dazu. In einem Positionspapier zur Europapolitik hat der sozialistische Parlamentspräsident Claude Bartolone den Präsidenten dazu aufgefordert, die Konfrontation mit Berlin zu suchen, und Kanzlerin Merkel „egoistische Sturheit“ attestiert. Hollande hat darauf mit konzilianter Lauheit und leutseligem Verständnis reagiert. Wie es eben seine Art ist.
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