Rettet die Sozialdemokratie!

Arme SPD Wie ein wankender Innenminister und eine Reihe Fehlentscheidungen eine ganze Partei zerstören könnten

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Jetzt aber wirklich
Jetzt aber wirklich

Foto: Thomas Kienzle/AFP/Getty

Vorab muss erwähnt werden, dass die SPD eine wichtige und ehrenhafte Partei ist. Sie hat sich in der Vergangenheit oft vorbildlich und vor allem menschlich verhalten. Gerade während der Zeit des Nationalsozialismus war es die SPD, die sich offenkundig gegen Hitler stellte und für eine Sache einstand, die größer war als Parteilogik und Opportunismus. Man erinnere sich da an die leidenschaftliche Rede von Otto Wels und die Abgeordneten der SPD, die gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten und sich somit in große Gefahr brachten. Man erinnere sich an Hans-Böckler und weitere Gewerkschaftler, die mit ihren Idealen gegen die Ausbeutung der Arbeiterklasse aufstanden.

Man kann der SPD also viel vorwerfen, aber sicher nicht, dass diese Partei überflüssig oder nicht zu respektieren sei. Eine SPD, die sich auf alte Werte und Normen beriefe, wäre so wichtig für die Parteienlandschaft. Sie wäre stark und selbstbewusst. Die SPD wäre eine wirkliche Alternative!

Es tut einem fast im Herzen weh, dass man einen Text damit beginnen muss, herauszustellen warum die SPD eine ehrwürdige Partei ist. Wird die mediale Präsenz der Sozialdemokraten heute doch eher von Verlusten, Intrigen und verkauften Werten bestimmt. Von den alten Errungenschaften und Verdiensten spricht heute kaum einer. Doch gibt es sie. Und jedem, der in der heutigen Zeit lapidar über das Erbe der deutschen Sozialdemokratie hinwegsieht und nur auf etwaige Fehler der letzten Jahre anspielt und die Partei verhöhnt, sei empfohlen, sich mit den Wurzeln dieser Partei auseinander zu setzen. Aus diesem Grunde ist es auch eine Frage des Anstandes, wie über die jetzige Situation der SPD debattiert wird. Es zeugt von Klasse, wenn selbst Spitzenpolitiker anderer demokratischer Parteien öffentlich Aussagen, dass es schade sei, was mit der SPD gerade passiert. Genauso zeugt es aber eben auch von einer erbärmlichen Überheblichkeit, wenn Politiker und Sympathisanten der sogenannten Alternative für Deutschland sich abwertend über eine 150 Jahre alte Partei äußern. Das Recht der Kritik an einzelnen Personen, innerhalb einer Partei, will ich keinem abreden. Sich aber anzumaßen, eine gesamte Partei mit all ihren Errungenschaften zu diffamieren – gerade von temporären Protestparteien – ist eine Frechheit.

Aber wieso mache ich darauf aufmerksam?

Weil ich glaube, dass tatsächlich einiges auf dem Spiel steht. In einigen Umfragen dümpelt die SPD inzwischen bei 17 % rum. Teilweise sogar hinter der AFD. Man verliert nach und nach den Anspruch, sich Volkspartei zu nennen. Und wenn das Wahlverhalten – aus einer psychosozialen Perspektive betrachtet – einmal geschädigt ist, dann wird es nicht leicht zu alter Stärke zurück zu finden. Die SPD ist traditionell eine Partei, die oftmals gewählt wird, weil sie immer gewählt wurde. War Opa ein Sozi, dann Papa auch und dann auch ich. Hat Herr Meier, der Nachbar aus der anderen Doppelhaushälfte, der wie ich in der Zeche malochte, die SPD gewählt, dann habe ich das auch gemacht. Zwar konnte man sich schon damals gut über die Politiker aufregen, doch das Kreuz woanders zu machen kam nicht in Frage. Und das ändert sich. Viele Menschen, die über Generationen SPD wählten, würden jetzt anders wählen. Teilweise AFD, teilweise Links, aber oftmals auch gar nicht mehr. Die Politikverdrossenheit nimmt zu. Nicht zuletzt wegen der Causa Maaßen -> Lesen Sie den Artikel.

Andrea Nahles hat ihren Fehler erkannt. Zwar war der Druck wahrscheinlich auch so hoch, dass sie nicht anders konnte – Und doch muss man ihr für die Entscheidung, die Verhandlungen neu aufzunehmen, Respekt zollen. Im Übrigen meldete sich auch die Bundeskanzlerin zu Wort. Auch sie bedauerte die fast schon mutwillig naive Entscheidung, Maaßen für seine Untragbarkeit zu befördern. Der immense mediale Druck scheint also diesmal selbst für die Bundeskanzlerin nicht überhörbar gewesen zu sein. Zurück aber zu Andrea Nahles und der SPD.

Es wurde verhandelt. Ein zweites Mal.

Der Kompromiss, welcher nun gefunden und erneut von allen relevanten Parteivorsitzenden abgenickt wurde, sieht vor, Maaßen zwar nicht besoldungstechnisch zu befördern, ihm aber doch den Weg ins Innenministerium zu ebnen. Dort wird er nun Sonderberater für internationale Aufgaben. Man darf davon ausgehen, dass diese Stelle extra für ihn geschaffen wurde. Gunther Adler, der Staatssekretär der SPD, welcher eigentlich abgesägt werden sollte um Platz zu machen, darf seinen Posten also nun behalten, und Maaßen ist nicht mehr Chef des Verfassungsschutzes. Also eigentlich alles so, wie man es sich seitens der Sozialdemokraten doch gewünscht hat – oder etwa nicht? Zumindest scheint der Widerstand der Genossen abgeflacht. Die Rückendeckung des Parteivorstandes wächst und der Konsens ist, dass man das Thema quasi abhaken und mit dem Tagesgeschäft weitermachen sollte. Kann man das Thema einfach so vergessen? Ein wenig Gras drüber, und in einigen Wochen gibt es ja sowieso den nächsten Streit zwischen dem Innenminister und dem Rest der Regierung. Von daher; warum jetzt noch weiter darüber diskutieren? Seehofer hat seinen Willen bekommen, Nahles hat ihren Willen bekommen und Merkel; tja Merkel hat keinen Willen. Doch so einfach ist das leider nicht.

Forderungen waren gerechtfertigt.

Trotz des Kompromisses hat die SPD erneut an Glaubwürdigkeit verloren. Den Drang, jetzt auf wesentliche politische Aufgaben zu verweisen, kann ich gut verstehen. Wer will sich schon weiterhin anhören müssen, dass man es wieder nicht geschafft hat, Seehofer Paroli zu bieten?

Maaßen hat mindestens (!) schwerwiegende Fehler begangen. Ob es eventuell sogar über den Begriff „Fehler“ hinausgehen könnte, in Richtung Amtsmissbrauch, müsste geprüft werden – Was es aber wahrscheinlich nicht wird, weil man jetzt Ruhe haben will. Bei anderen haben aber sicher kleinere Fehler ausgereicht, um „gegangen zu werden“. Nahles Forderung, die im Übrigen auch von vielen anderen Oppositionellen mitgetragen wurde, war daher vollkommen richtig. Doch da hat sie die Rechnung ohne Horst Seehofer gemacht. Dieser stellt sich hinter Maaßen. Fast wie ein abgerichteter Kampfhund verteidigte er den Juristen.

Nun scheint es eine Endgültige Lösung zum Thema Maaßen zu geben. Sein Posten im Innenministerium hängt aber auch von dem Verbleib Seehofers im Kabinett ab. Wenn Seehofer ausscheidet, könnte ein neuer Minister auch Maaßen ersetzen. Die Idee, dass Seehofer nach verpatzter Bayernwahl den Südenbock spielen muss, ist nicht neu. Nach schlechten Wahlergebnissen nimmt eben der Parteivorsitzende seinen Hut. Ein aktuelles Beispiel dafür wäre Martin Schulz. Wenn es – wovon inzwischen viele Fachleute ausgehen – dazu kommt, dass die CSU ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl bekommt und aus diesen Gründen Seehofer abdankt, stellt sich doch die Frage, warum er sich diesen ganzen Stress überhaupt noch antut. Die einzige logische Antwort darauf ist: um der CDU und vor allem auch der SPD langfristig zu schaden. Die CSU verliert eine Landtagswahl. Die CDU verliert ihre Selbstverständlichkeit. Aber die SPD verliert ihr Herz. Nur die AFD und die allgemeine Politikverdrossenheit scheinen neue Anhänger dazuzugewinnen.

Ist es das wert?

Die SPD muss endlich aufhören, politische Niederlagen als Gewinne zu verkaufen. Natürlich ist es richtig, die Koalition nicht wegen Meinungsverschiedenheiten oder Lappalien aufzugeben. Man kann für die Demokratie und den politischen Gestaltungswillen Opfer bringen. Aber wann ist die rote Linie überschritten? Bei 10%? Bei einstelligen Umfrageergebnissen?

Die Sozialdemokratie hat große Teile ihrer Glaubwürdigkeit bereits nach dem Wahldebakel verloren. Anrechnen kann man ihr sicherlich, dass sie Verantwortung übernommen hat. Anders als beispielsweise die FDP hat man in den sauren Apfel gebissen und schon damals enorme Imageverluste in Kauf genommen, um eine stabile Regierung zu gewährleisten. Dass man jetzt von einem unterirdischen Innenminister so abgestraft wird, konnte wirklich keiner ahnen. Irgendwann muss aber auch mal gut sein. Irgendwann muss man egoistisch werden und seine letzten Schäfchen ins trockene bringen. Sich über geleitstete Arbeit in einer Regierung zu profilieren, scheint schon seit langem nicht die Stärke der SPD zu sein. Das soll nicht heißen, dass man nicht gut arbeitet – man schafft es einfach nicht, das Geleistete dem Wähler zu vermitteln. Hier mag auch die müde wirkende Bundeskanzlerin einen Teil zu beisteuern. Der nächste Versuch, sich auf wesentliche Aufgaben zu konzentrieren und weiter zu arbeiten, ist zum Scheitern verurteilt. Bis zum 14. Oktober ist noch viel Zeit für viele weitere Eskapaden Seehofers. Es wird Zeit, die Reißleine zu ziehen.

Wenn von der SPD noch was übrigbleiben soll, dann muss jetzt Schluss sein. Entweder mit Seehofer, oder mit der großen Koalition!

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Geschrieben von

Lutz Nickel

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