Die Flüchtlingskrise und die Medien

Eine Analyse Ein Blick auf die sehr eindimensionale Berichterstattung mit Schlussfolgerungen, die beherzigenswert sind

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Medienberichterstattung hat Stimmen, die immer wieder den gleichen Alarmismus transportierten, viel Raum gegeben
Die Medienberichterstattung hat Stimmen, die immer wieder den gleichen Alarmismus transportierten, viel Raum gegeben

Foto: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images

Erstaunlich ist das schon. Kritische Zeitgenossen, Politikbeobachter und Medienkonsumenten, die sich durchaus über das Wesen medialer Beeinflussung und Manipulation im Klaren sind, lassen ihre Skepsis beiseite, wenn das, was ihnen so vordergründig und drängend nahegebracht wird, ihr eigenes Unbehagen aufs beste bestätigt.

Das aktuellste Beispiel dafür ist die „Flüchtlingskrise. Die hohe Anzahl von Flüchtlingen, die ab Sommer/Herbst 2015 in dieses Land kamen, war kein „Strom“, keine „Lawine“, es war einfach nur eine höhere Zahl, auf welche die Verwaltungen in diesem Lande sehr sehr schlecht vorbereitet waren. Es drohte auch keine Islamisierung, es drohte eher der Verwaltungsgau und das brachte Flüchtlinge, die hier ankamen und sich gerettet wähnten erneut an die Grenzen ihres existenziellen Leidensfähigkeit.

Die Art aber, wie über die Flüchtlingskrise berichtet wurde – die „Narrative“, welche sich durchsetzten - handelten viel weniger von Flüchtlingsnot, als von den Problemen der Einheimischen, von ihren Ängsten vor dem Fremden, Anderen. (Ein Freitagsalon hat sich mit dem Thema seinerzeit auch beschäftigt).

Auch Friederike Herrmann* belegt dies in einem Beitrag in Communicatio Socialis. Zeitschrift für Medienethik und Kommunikation in Kirche und Gesellschaft unter dem Titel

„Das Märchen vom überkochenden Brei. Narrative in der medialen Berichterstattung zum Flüchtlingsthema im Herbst 2015“.

Sie hat sich die Medienberichterstattung in jener Zeit vorgenommen und stieß auf Stimmen, die immer wieder den gleichen Alarmismus transportierten. Eine wesentliche Erkenntnis daraus ist, dass alle einzelnen Berichte dazu sachlich durchaus korrekt waren, aber dennoch durch die reine Menge und die Monothematisierung ein falsches Bild gezeichnet wurde.

Ein lesenswertes Stück Medienanalyse, das deutlich macht: Beiträge können das Bild einer heillos überforderten Gesellschaft erzeugen, die einer unbeherrschbaren Gewalt von außen ausgesetzt ist.

Aus dem Blick kamen dabei die Flüchtlinge selbst. Sie erschienen – depersonalisiert – als reine Bedrohung.

Sicher seien auch immer Beiträge zu registrieren gewesen, die sich von diesem „Narrativ“ (Bedrohung, Strom, Überforderung) wegbewegten und alternative Strategien zeigten oder Helfer porträtierten, die nicht überfordert und überwältigt waren, aber sie konnten das Bild nicht wirklich differenzierter machen.

Merkel als Autokratin

Ein weiterer, sehr auffälliger Punkt in der Berichterstattung war die Fokussierung auf Angela Merkel allein – so als sei sie eine autokratische Herrscherin und ganz allein sowohl verantwortlich für die Flüchtlingskrise als auch allein in der Lage, sie zu lösen.

Der Kanzlerin wird damit eine geradezu autokratische Entscheidungsgewalt zugeschrieben – als könne Politik in einer demokratischen Gesellschaft von einer Einzelperson gemacht werden. Vor allem aber gehen in dieser Deutung die globalen Zusammenhänge des Themas verloren. Weder die Herkunftsländer
der Flüchtlinge noch die weltweiten und längerfristigen
Fluchtursachen sind in dieser Erzählung präsent. Die Flüchtlingszahlen scheinen eine Folge von Merkels „Wir schaffen das“ und damit auch durch Deutschland wieder beschränkbar. In dieser Nabelschau verschwinden die menschlichen Schicksale
der Flüchtlinge aus der Erzählung, es wird möglich, in ihnen nur mehr ein technisches Problem zu sehen, gleich einer Naturgewalt, einer Flut, die es einzudämmen gilt. Zu dieser Zeit wurde auch kaum einmal thematisiert, dass andere Länder relativ mehr Flüchtlinge aufgenommen haben.

Später kam noch Horst Seehofer in den Fokus der Berichterstattung, so dass sich zwischen diesen beiden Personalisierungen die Medien vorzugsweise bewegten.

Aber insgesamt konstatiert die Untersuchung hier eine unglaubliche Vereinfachung der medialen Berichterstattung.

Auch jene Beiträge, die in den Flüchtlingen eine Chance sehen, den Gewinn, der auch in der Einwanderung liegt, mit betrachten, wurden wenig beachtet.

Mir fiel selbst dabei die Unterstellung auf, dass Flüchtlinge allein unter dem Aspekt „kapitalistischer Verwertbarkeit“ und der Ausweitung von Konkurrenz betrachtet wurden. Und damit wurde ihre immer wieder geforderte Integration mit allein negativen Zuschreibungen bedacht.

Friederike Herrmann schreibt: Die Massenmedien müssen nicht frei von Gesinnung sein –sie können und müssen Verantwortung übernehmen.

Die Analyse hat sich nicht mit den essayistischen und kolumnistischen Beiträgen aus dieser Zeit auseinander gesetzt, aber das wäre auch gar nicht möglich. Auffällig ist aber schon, dass diese Beiträge - z.. b. Safranski, Solterdijk - dem nachrichtlichen Tenor – Überforderung, Strom, Gefahr – fast alle folgen.

Der letzte – sehr bedenkenswerte Absatz – sei hier noch zitiert: Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb am 2.11.2015: Dies sei eine Herausforderung, wie sie seit der Wiedervereinigung nicht mehr dagewesen sei. Und die Kanzlerin stehe fast so fest wie Helmut Kohl 1989. Man ist versucht hinzuzufügen: Aber Politik und Medien reagieren nicht wie 1989. Man stelle sich vor, es wäre zu Zeiten der Wiedervereinigung permanent von der Wiedervereinigungskrise, Belastungsgrenzen oder gar einer „Lawine“ (Wolfgang Schäuble) die Rede gewesen. Hätten wir dann die auch damals zahlreichen Probleme gemeinsam angehen können?

Diese Frage stellt sich mir, seit im Zusammenhang mit dem höchst umstrittenen Türkei-Deal auch wieder die Kanzlerin allein in der Kritik steht, oft von den gleichen Leuten, die im Inland die Solidarität verweigert haben – auch von links.

* Prof. Dr. Friederike Herrmann ist Professorin am Studiengang Journalistik an der Katholischen Universität EichstättIngolstadt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden