Seit August sind sowohl im Centrum Judaicum in der Berliner Oranienburger Straße, als auch im Bremerhavener Auswandererhaus
Die Ausstellungen
„Der Gelbe Schein. Mädchenhandel zwischen 1860 und 1930“ zu besichtigen.
Der „Gelbe Schein“ war im vorrevolutionären Russland die Legitimation für Prostituierte. In Dostojewskis „Schuld und Sühne“ ist es die Tochter des Trinkers Marmeladow, Sonja, von der man sagt, sie „ginge mit dem Gelben Schein“. Viele Frauen aus Osteuropa, z.B. aus Galizien ließen sich von dubiosen Vermittlern und Menschenhändlern anwerben, um Elend und Not zu entfliehen, gingen in fremde Länder. wurden Prostituierte, arbeiteten auch freiwillig in diesem Metier. Es gab Auswanderung von Frauen aus zahlreichen Ländern und Regionen, von deren Schicksal nur noch geringe Spuren erhalten und zu besichtigen sind.
Während die Ausstellung in Berlin den Blick auf die Herkunftsorte der jungen Frauen richtet, legt Bremerhaven den Schwerpunkt auf die Emigration und Zielländer.
Es sind Geschichten von tiefgreifender menschlicher Not, von Ausbeutung dieser Not, von wechselhaften und tragischen Schicksalen. Auch der widerstreitende Umgang mit dem Problem „Mädchenhandel und Zwangsprostitution“ – der sich übrigens bis in die Gegenwart kontrovers zeigt – spielt dabei eine Rolle.
Hin und wieder wurde und wird der „Mädchen- und Frauenhandel“ als ein Mythos abgetan der zu nichts anderem gedient habe, als bürgerliche Sittlichkeitsvorstellungen mit Hilfe von allerlei Ängsten durchzusetzen und generell gegen Prostitution zu Felde zu ziehn.
Mir fielen die Ausstellungsplakate auch deshalb auf, weil vor einigen Jahren eine wissenschaftliche Arbeit im Rahmen des Gebietes "Metropolenforschung" des Wissenschaftszentrums Berlin erschien, in welcher der Autor Dietmar Jazbinsek den Mythos der „White Slavery“ kritisch aufgriff. Nicht zuletzt, so meinte Jazbinsek, sei dieser Mythos - „Weiße“ Frauen werden in ferne Länder als Sexsklavinnen verkauft - in Deutschland ganz besonders gepflegt worden, weil damit antisemitische Emotionen geschürt werden konnten. Das ist sicherlich ein Teil des Hintergrundes, aber eben nicht der ganze. Jazbinsek versuchte auch die gegenwärtigen Aktivitäten gegen Zwangsprostitution von Frauen aus osteuropäischen und anderen Ländern in ähnlicher Weise einzuordnen. Vielleicht würde Jazbinsek seine Arbeit heute modifizieren. Ich weiß es nicht.
Es gab ihn, den „Frauenhandel“ es gibt ihn auch in der Gegenwart – es gab die massenweise Bestrebung, der Armut auf diese Weise zu entfliehen, so wie es – darauf verweist Jazbinsek in seiner Arbeit selbst – viele jüdische Akteure in diesem Geschäft gab. Gründe dafür werden in den Ausstellungen erklärt.
Gleichzeitig gab es energische Aktivitäten zur Bekämpfung dieses Frauenhandels, besonders auch von jüdischen Organisationen. Bertha Pappenheim, die unter dem Namen Anna O. in die Geschichte der Psychoanalyse einging, widmete sich dieser Aufgabe mit Nachdruck und erntete damit den Verdacht, ihre eigenen sexuellen Wünsche in diesem Kampf zu verdrängen.
So schreibt die Psychologin Eva Jäggi in einer Rezension über die von Marianne Brentzel verfasste Pappenheim-Biographie: „Allzu leicht verschwinden die unbestreitbar großen Verdienste dieser unbestreitbar großen Frau in eine pathologisierende Sprache, die in der Arbeit dieser unverheirateten und eindeutig dem männlichen Geschlecht skeptisch gegenüberstehenden Frau "nur" ein Abwehrprodukt ihrer unerlösten Sexualität sieht.“
Beide Ausstellungen leisten einen wichtigen Beitrag zum Bemühen, die Realitäten jener Zeit zu erklären, aufzuarbeiten und zu verstehen.
Hier ist der ältere Beitrag von Jazbinsek noch zu lesen.
Und hier eine umfangreiche Bibliographie des Frauenmediaturms
Kommentare 10
Vorweg: der Link zum Pressetext ist nicht richtig gesetzt.
Ich habe den Link gelöscht. Der andere zum Auswandererhaus müsste funktonieren und von dort kommt man dann auch weiter.
Danke für den Hinweis
Schad, der Flyer ist nämlich lesenswert. Und erklärt vielleicht, warum das Thema nicht nur kontrovers diskutiert wird, sondern auch als, ich sage das mal ganz ohne Hintergedanken: erfolgreicher Plot für Filme wie "Gangs of New York" oder Romane wie "Der Junge, der Träume schenkte" von Luca di Fulvio herhalten darf.
Ich dachte, Sie kommen über den verbliebenen Link auch dran.
Verstehe ich das richtig, es sind zwei identische Ausstellungen?
Ich denke, es sind ähnliche mit ähnlichen Ausstellungsstücken, aber ein bisschen modifizieren Schwerpunkten.
Die Pressemitteilung des DAH zur Ausstellung ist abzurufen unter http://www.dah-bremerhaven.de/presseinfos/pdfs/PM_Der_Gelbe_Schein_2.pdf
Ich bedaure, dass das keine Wanderausstellung ist, die Orte sind mir trotz des Themas zu weit. Noch mehr bedaure ich, dass kein virtueller Rundgang angeboten wird, oder eine Leseprobe aus dem Begleitmaterial.
Denn das ist ein sehr aktuelles Thema, gerade mit den Flüchtlingswellen aus Nordafrika und genereller mit Migration - das Schicksal derer, die von hier aus Not weggegangen sind und buchstäblich alles hinter sich gelassen haben, ist das gleiche der Menschen, die heute zu uns nach Europa kommen. Es stellen sich die gleichen Fragen, und es sind weitgehend die gleichen Ergebnisse.
Genau, aus dem Grunde ist es ja auch so interessant. Und genau deswegen habe ich mich über diese wissenschaftliche Arbeit damals so geärgert, weil der das alles sehr heruntergespielt hat und das auch noch im wissenschaftlichen Gewand.
@ Liebe Magda
Danke für den Blog - wieder sehr informativ und sorry, auch wenn's nicht zum Thema passt: schön geschrieben!
Tja, "So schreibt die Psychologin Eva Jäggi in einer Rezension über die von Marianne Brentzel verfasste Pappenheim-Biographie: „Allzu leicht verschwinden die unbestreitbar großen Verdienste dieser unbestreitbar großen Frau in eine pathologisierende Sprache, die in der Arbeit dieser unverheirateten und eindeutig dem männlichen Geschlecht skeptisch gegenüberstehenden Frau "nur" ein Abwehrprodukt ihrer unerlösten Sexualität sieht.“
Das ist mein Problem mit vielen dieser 68-Frauen, deren "Verdienste unbestreitbar" sind, die aber eben nicht nur sprachlich kalte männliche Einstellungsmuster perpetuierten, sondern sie an ihre biologischen Töchter, vor allem an ihre Töchter im Geiste weitergaben. Jaeggi war ja lange Professorin für Klinische Psychologie an der TU-Berlin. Aber das ist hier nicht das Thema...."Emazipation und Marktkonformität". Für Leztere steht Psychologie und Thearpie insbesondere ja auch - main-streammäßig gedacht und etabliert. Für Solidarität, Wärme bleibt wenig Platz.
LG am
@ Magda & Ed2
Eine Kommilitonin und ganz liebe Freundin ist vor Jahren in den Orden der „Weißen Schwestern“ eingetreten. Seitdeminteressiert und überzeugt mich deren Arbeit etwa in Metropolen Afrikas (Kenia, Ruanda), wo junge Mädchen von ihren Eltern hingeschickt werden, um sich zu prostituieren und so die Familie zu unterstützen, damit etwa ein Sohn eine gute Ausbildung erhält. Mich beeindruckt in dem Zusammenhang Sr. Dr. Lea Ackermann, die Gründerin von SOLWODI
SOLWODI Afrika
Solwodi Rumänien. Denn hier – in der EU- floriert der Menschenhandel mit Frauen, Babys ganz besonders ekelig.
Solwodi Österreich!
Diese Armutsthematik ist übrigens ein zentrales Problem der Aids-Epidemie weltweit: in Afrika, Südost-Asiens und den Metropolen Lateinamerikas, Osteuropas(sic). China zieht gerade nach, was Prostitution und Menschenhandel anbelangt, insofern fand ich diesen Artikel auch ziemlich einseitig, aus der Sicht eines "Touristen".
LG am