Kim Kardashian und Abnehmspritze von Novo Nordisk: Dänische Hungerspiele
Pharmasektor Plötzlich ist Kim Kardashian dünn! Das liegt an Ozempic und Wegowy, Abnehmspritzen, die eigentlich gegen Adipositas helfen sollen. Das dänische Unternehmen Novo Nordisk ist dank des Hypes zum wertvollsten Unternehmen Europas geworden
Besonders wichtig dieser Tage: Gewicht zeigen! Die Kardashian-Schwestern (hier Khloé hinter der Kim-Maske) gehen mit gutem Beispiel voran
Foto: JB LaCroix/Getty Images
Es ist ein Wunder, ein Heilmittel, ein Hype: „Ozempic“ ist die Abnehmspritze der Stars und womöglich die Antwort auf die Adipositas-Epidemie in den Industrienationen. Vor allem aber beschert es seinem Hersteller, der dänischen Pharmafirma Novo Nordisk, Traumgewinne. Unter dem Markennamen „Wegovy“ ist die Abnehmspritze seit Juli 2023 auf dem deutschen Markt erhältlich, auch Norweger und Briten haben inzwischen Zugang zu dem Medikament. Novo Nordisks Gewinne kommen nicht von ungefähr, denn gerade auf Social Media boomen Videos und Reels, die sich mit den herbeigespritzten Abnehmerfolgen der Stars und Sternchen beschäftigen. Wird die Euphorie auch zu uns nach Deutschland herüberschwappen?
Prominente, die jahre- oder gar jahrzehntelang mit i
lang mit ihrem Gewicht kämpften – und das auch ganz öffentlich, sind plötzlich rank und schlank. Kelly Osbourne (Ozzy Osbournes Tochter), Khloé Kardashian oder Kelly Clarkson – alle erklären ihr plötzliches Abnehmwunder damit, dass sich Ernährungsumstellung und Trainings schlussendlich ausgezahlt hätten.Magisch abnehmen ist teuerUnter vielen Instagram-Beiträgen, die Vorher-nachher-Bilder der Stars und Sternchen zeigen, fragen Kommentatorinnen entsprechend gereizt, warum die Stars nicht einfach dazu stehen, dass sie sich medizinisch haben helfen lassen. So wie Sharon Osbourne, die zunächst leugnete, Ozempic benutzt zu haben, und dann im Osbourne-Familien-Podcast klagte, sie habe unfreiwillig viel zu viel Gewicht durch das Medikament verloren.Die Wangen der Osbourne-Frauen wirken inzwischen regelrecht eingefallen, ähnlich wie bei Magersüchtigen. Auch Jimmy Kimmel adressierte den Elefanten im Raum, als er bei seiner Oscar-Moderation in das Auditorium fragte, ob Ozempic auch das Richtige für ihn sei: „When I look around this room, I can’t help but wonder: Is Ozempic right for me?“Es mag schon nützlich sein für Stars und Sternchen, sich das Abnehmmittelchen injizieren zu lassen und so auf Diäten und Fitnesstraining verzichten zu können, um noch die letzten Pfunde, die von der „Size Zero“ trennen, zu verlieren. Doch gefährdet der Ozempic-Boom in den USA schon jetzt die Gesundheit von Diabetespatienten. Denn Ozempic, wie auch das in Deutschland zugelassene Wegovy, basiert auf dem Wirkstoff Semaglutid, der eigentlich für die Behandlung von „Altersdiabetes“ (Diabetes Typ 2) eingesetzt wird, von der übrigens mehr und mehr junge Menschen betroffen sind.Grund für die steigende Zahl von Diabetes-2-Patienten ist der ungesund hohe Anteil kohlenhydrathaltiger Kost an unserer Ernährung: Wir alle konsumieren zu viel Zucker. Vermehrte Zuckeraufnahme kann zunächst eine Insulinresistenz im Körper erzeugen; sie kann schließlich dazu führen, dass die Bauchspeicheldrüse gar kein Insulin mehr herstellt. Insulin verringert den Zuckerspiegel im Blut, indem es die Aufnahme von Glukose ins Blut fördert. Der Effekt: Der Appetit wird reguliert. Semaglutid ähnelt dem körpereigenen Botenstoff GLP-1, der einerseits die Insulinproduktion erhöht und andererseits die Magenentleerung verlangsamt. Das Sättigungsgefühl setzt schneller ein, der Appetit wird gezügelt. Daher der „magische“ Abnehmeffekt.Die Nachfrage nach Ozempic führt schon zu ersten Engpässen bei Insulin für DiabetikerEs gibt Ärzte, insbesondere in den USA, die den Einsatz von Ozempic/Semaglutid zur Behandlung von Adipositas verteidigen: Da Adipositas langfristig zu Typ-2-Diabetes führen könne, sei es legitim, die Entstehung der Krankheit von vornherein zu verhindern, indem man das Abnehmen fördere. Zumal die Methode weit weniger invasiv ist als etwa die Verkleinerung des Magens durch ein Magenband, das derzeit bei extremer Adipositas als Mittel der Wahl erscheint – jedenfalls in den USA, wie man im Reality-TV in Sendungen wie Mein Leben mit 300 kg sehen kann. Damit ist die Methode zugleich kostengünstiger.Da allerdings die Nachfrage nach dem Medikament so groß ist, klagen erste Diabetespatienten und ihre Ärzte bereits über Lieferengpässe bei Diabetesmedikamenten. Hierzu muss man wissen, dass Novo Nordisk seit Jahrzehnten der führende Hersteller von Insulin ist. Und das Unternehmen wirbt offensiv mit seiner ethischen Verantwortung im Kampf gegen Diabetes. Der sagenhafte Erfolg der Abnehmspritze führt allerdings dazu, dass Diabeteskranke in den USA große Schwierigkeiten haben, an ihre Medikamente zu gelangen. Das mag der Grund dafür sein, dass Prominente nicht mit Ozempic in Verbindung gebracht werden wollen. Eitelkeit ist das eine, doch wer will schon moralisch dafür verurteilt werden, dass er anderen lebenswichtige Wirkstoffe vor der Nase wegkauft?Zumal man recht wohlhabend sein muss, um sich das Präparat überhaupt leisten zu können: In den USA kostet die monatliche Maximaldosis 1.350 Dollar – das entspricht dem Vierfachen des Preises der entsprechenden Wegovy-Dosis in Deutschland. Ozempic und Wegovy zusammen erzielen inzwischen die Hälfte des Umsatzes der Firma, die im dritten Quartal 2023 einen Gewinn von drei Milliarden Euro verzeichnen konnte. Auch wenn die Erfinderin des Abnehmmittels, Lotte Bjerre Knudsen, im Spiegel-Interview beteuert, es gehe ihr nicht ums Verdienen: „Geld interessiert mich wenig, ich bin Sozialistin!“ Doch für ihr Unternehmen Novo Nordisk muss das noch lange nicht gelten.Tatsächlich wirft das Abnehmmedikament die Frage nach sozialer Gerechtigkeit auf. Müsste man es nicht den Einkommensarmen kostenlos zukommen lassen, da der Zusammenhang zwischen Armut und Übergewicht in Studien vielfach belegt wurde? Könnte man nicht die Kosten für das Gesundheitssystem nachhaltig senken, wenn mehr Menschen Zugang zu dem Präparat erhielten? Müsste man nicht, ganz utilitaristisch, eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen, die die hohen Folgekosten der Adipositas in Anschlag bringt? Bisher hat keine deutsche Krankenkasse die Abnehmspritze in den Katalog ihrer Zusatzleistungen aufgenommen. Das verschreibungspflichtige Medikament wird laut den Krankenkassen auch nur in Fällen extremer Adipositas – bei einem Body-Mass-Index von 30 und mehr – verschrieben. In Deutschland dürfte sich der Hype um Wegovy daher in Grenzen halten. Es sei denn, die Indikation für den Einsatz des Medikamentes sollte sich zukünftig ändern. Oder einige Krankenkassen böten die Spritze schließlich doch als Zusatzleistung an – vielleicht in dem Versuch, verstärkt junge Frauen zu werben.Die Aktie schießt nach obenSchließlich bieten einige Kassen auch Homöopathie als Zusatzleistung an, die im Gegensatz zu Wegovy nicht einmal einen nachweisbaren Nutzen hat. In jedem Fall hat das Wundermittelchen jetzt schon das Zeug dazu, das Narrativ vom Schlanksein für immer zu verändern. Bisher war extremes Schlanksein stets ein Zeichen der (insbesondere weiblichen) Askese: Der Körper wird im Zaum gehalten, kontrolliert, die Kalorienzufuhr berechnet und reduziert. Gerade Stars und Fitness-Influencer betonten gerne, welchen Aufwand das Schlanksein bedeutet. Extreme Ernährungsregimes wie die von Gwyneth Paltrow (die vor zwölf gar nichts isst, dafür aber Sport macht) oder Victoria Beckham (morgens Apfelessig auf leeren Magen, mittags täglich gedünsteten Fisch und als Geburtstagstorte immer nur Melone), die eher nach Essstörung als nach verantwortungsvoller Ernährung klingen, wurden jahrelang in Frauenzeitschriften beworben.Size Zero bedeutete Verzicht. Wer abnehmen wollte, musste immer auch Geld investieren: in Diät-Shakes, Fitnessstudio-Mitgliedschaften, Ernährungsberater und Personal Trainer. Weswegen sich eben ein Konnex aus Dünnsein und Reichsein bildete: Wer reich ist, kann sich ein Trainings- und Ernährungsregime leisten, zu dem die Masse der Menschen keinen Zugang hat.Zugleich heißt es allenthalben, Menschen seien reich, weil sie diszipliniert und fleißig seien. Wo ließe sich das besser demonstrieren als am eigenen Körper? Die von Millionen von Frauen weltweit geschaute Doku-Soap Keeping up with the Kardashians drehte sich wiederholt um das Gewicht der Kardashian-Schwestern; Khloé Kardashian wurde vor laufender Kamera von ihrer Familie beschämt: Sie schädige die Marke, weil sie ihr Gewicht nicht unter Kontrolle habe. Kein Wunder, dass sie nun (mutmaßlich) zu Ozempic greift. Auch ihre Schwester Kim, berühmt für ihre Kurven, ist nun erstaunlich dünn. Schon künden Modemagazine vom Ende des Kurven-Trends und vom Comeback des „Heroin Chic“ der 90er Jahre.Novo Nordisk verdient gut an dieser Entwicklung: Im September stieg das Unternehmen mit einem Börsenwert von 424 Milliarden Dollar zum wertvollsten Unternehmen in ganz Europa auf. Aktuell liest man, dass Novo Nordisk auf den Zug der künstlichen Intelligenz aufspringen will, um die Technologie für ihre Arzneimittelforschung zu verwenden. Büroräume im Londoner Knowledge Quarter sollen dafür schon angemietet worden sein. Das Unternehmen rüstet sich für eine goldene Zukunft. Doch ist das die Zukunft, die wir uns gewünscht haben?Extremes Dünnsein ist nie nur eine Frage der gesunden Ernährung, sondern wahlweise Effekt einer Veranlagung oder eben einer extremen Kalorienreduktion. Hinzu kommt die Altersfrage: Auch wer als Fünfzehnjährige anstrengungslos rank und schlank war, ist das mit 45 oder 55 nicht unbedingt. Wer nun meint, all das sei letztlich eine Frage der Eitelkeit, dem sei ins Gedächtnis gerufen, dass das Schlank- und Schönsein für Frauen noch immer ein Imperativ ist und zudem wesentlich über Lebenschancen entscheidet. So erklärt etwa der Economist: „Für ehrgeizige Frauen ist es wirtschaftlich vernünftig, so viel wie möglich dafür zu tun, um schlank zu sein.“Umgekehrt wird übergewichtigen Menschen vorschnell ein soziales wie moralisches Urteil übergestülpt: Wer dick ist, so heißt es, ist eben faul und hat sich nicht unter Kontrolle. Entsprechend schlechte Chancen haben dickere Menschen bei Bewerbungsgesprächen – wie wiederum Studien belegen. Ozempic / Wegovy könnte dieses soziale Urteil sogar verschärfen: Denn dank der Abnehmspritze muss man nun nicht einmal mehr diszipliniert sein, um abzunehmen. Man muss schlicht über das nötige Einkommen verfügen.Wer also weiterhin Übergewicht mit sich herumschleppt, ist offensichtlich zu arm, um sich die Injektion des Wundermittels leisten zu können. Oder hat zu große Angst vor Nebenwirkungen, die bei der unnötigen Einnahme eines Diabetesmedikaments schließlich auch entstehen können. Trotz aller Bedenken kennt die Aktie von Novo Nordisk nur noch eine Richtung: nach oben. Zuletzt hat sie wieder mal ein Allzeithoch erreicht.
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