Churchill-Biografien erscheinen mit schöner Regelmäßigkeit. Nach so illustren Biografen wie dem britischen Ex-Premier Boris Johnson macht sich nun Franziska Augstein daran, den British Bulldog zu porträtieren. Sie bringt den Lesern den „grumpy old man“ auf unterhaltsamste Weise nahe.
Winston Churchill wird 1874 in eine aristokratische Familie geboren. Der Vater ist Lord Randolph Churchill, mittelloser Sohn des 7. Duke of Marlborough. Obendrein ist der Vater konservativer Politiker: Dem Sohn fällt die politische Berufung in den Schoß.
Selbstverständlich wird der Sprössling in einem Elite-Internat erzogen. Während Winston zeitlebens Kontakt zur gutmütigen Kinderfrau Mrs. Everest – ein Berg in Winstons emotionaler Brandung R
ler Brandung – pflegen wird, erscheint seine Internatszeit in der Rückschau als blanker Horror angesichts der Züchtigungen des sadistischen Schulleiters. Winston ist kein guter Schüler. Überhaupt fehlen dem jungen Mann die soldatischen Tugenden. Das hält ihn nicht davon ab, in die Armee einzutreten. Augstein erzählt Churchills Armeejahre wie einen Schelmenroman, in dem der junge Soldat weniger durch Tapferkeit oder militärisches Geschick als durch Chuzpe glänzt. Mit der Kriegsberichterstattung beginnt auch seine Schreibkarriere. Als Teil der Malakand Field Force ist er dafür zuständig, aufständische afghanische Stämme an der Grenze zu Indien zu unterwerfen. Die Truppe betreibt eine Politik der verbrannten Erde. Es ist nur ein Beispiel für die blutigen und nicht zuletzt bis ins 21. Jahrhundert nachwirkenden Kolonialkriege und Gefechte. Churchill war ein Kind seiner Zeit. Und ja, er dachte in Kategorien der „white supremacy“, betrachtete die weiße „Rasse“ als überlegen. Bei aller Direktheit im Eingeständnis dieser Unzulänglichkeit: Augstein lässt auf ihren Winston nichts kommen, und für eine Biografin macht sie ein bemerkenswertes Geständnis: „Mit der Zeit habe ich ein fast töchterliches Verhältnis zu ihm entwickelt.“Churchill ist nicht nur Kolonialist; er liebt den Krieg. Als Marineminister im Ersten Weltkrieg bekennt er: „Ich weiß, es ist ungeheuerlich & scheußlich, Tausende von einer Stunde auf die nächste in den Tod zu schicken – & ich kann mir nicht helfen – ich genieße jede Sekunde.“ Tatsächlich würde Churchill heute in der Liste der britischen Premiers wohl wenig prominent herausragen, wären da nicht die zwei Weltkriege gewesen, vor allem natürlich der Zweite Weltkrieg, in dem Churchill seine rhetorische Brillanz nutzte, um die Durchhaltebereitschaft der Briten zu stärken.Man fühlt sich bei Augstein gerade im Bezug auf die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs bestens informiert und – was angesichts der Ernsthaftigkeit des Themas kaum möglich scheint – erstklassig unterhalten. Augstein erzählt den Krieg als militärisches wie politisches Schachspiel, bei dem listige oder nachlässige Züge über das Schicksal des Spielers entscheiden. Eine emotionalisierende Nahsicht wird, anders als bei Churchill selbst, vermieden. Obendrein wird all das in einer Sprache beschrieben, die wahlweise bildungssprachlich funkelt – wo liest man heute noch, dass jemand „bramarbasiert“? – oder umgangssprachlich direkt von „Radikalinskis“ spricht. Ganz so, als sei sie beim großen Rhetor selbst in die Schule gegangen, der gerne Shakespeare und Kolloquialismen mixte.Churchills Regierungsjahre markieren den Anfang vom Ende des Empires, das sich schließlich, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in die Existenz als Little Britain flüchtet. Er verkörpert das alte Britannien der schillernden, wenn auch lebensuntüchtigen Aristokraten, das im Zweiten Weltkrieg seine letzte Schlacht schlägt. Danach sorgen die Fliehkräfte, die der Kalte Krieg erzeugt, für einen steten Bedeutungsverlust des Empires. Churchill, von zahllosen Schlaganfällen zermürbt und beinahe taub, kann den Entwicklungen nur noch am Spielfeldrand beiwohnen. Doch er ist kein tragischer Held. Eher ein ruhmreicher Picaro.