Digitalisierung der Schulen: Erleuchtung geht auch ohne Smartboard
Bildung Die Digitalisierung der Schulen erfolgt ohne Konzept und Verstand, also lieber zurück zu Papier, Stift und „LÜK“-Lernspielen – wie es Schweden jetzt vormacht?
Entwicklungen wie diese haben Schweden veranlasst, die Digitalisierung in den Schulen zurückzufahren
Fotomontage: der Freitag, Material: Getty Images
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, soll Michail Gorbatschow einmal gesagt haben. Wer aber hätte gedacht, dass Deutschlands notorische Verspätung in Fragen der Digitalisierung einmal belohnt würde? Im europäischen Vergleich galt es stets als Schlusslicht, wenn es um die Digitalisierung der Schulen und Behörden ging; andere Länder wie Finnland und Schweden dagegen schalteten den Turbo ein. In Fragen des Lernens fällt das den Schweden nun auf die Füße. Dort wird die Digitalisierung in den Schulen teilweise zurückgefahren, weil sich die Schüler bei wichtigen Kernkompetenzen wie Lesegeschwindigkeit und Textverständnis verschlechtert haben. Damit nimmt die schwedische Schulbehörde eine gerade einmal fünf Jahre alt
gen Kernkompetenzen wie Lesegeschwindigkeit und Textverständnis verschlechtert haben. Damit nimmt die schwedische Schulbehörde eine gerade einmal fünf Jahre alte Richtlinie zu digitalen Lernmitteln zurück. Schwedische Kinder blättern nun wieder in Büchern, nachdem sie zuvor an Tablets und Laptops arbeiteten, die ihnen etwa die Aufgabenstellungen vorlasen.Digitalisierung der Schulen klang stets wie ein Versprechen von Zukunft. Wir leben nun einmal in einer Welt, die durch und durch digitalisiert ist. Ob beim Online-Banking, der Online-Bewerbung oder der Online-Kreditvergabe: Der Bürger braucht neben dem Wissen ums Bedienen der Geräte vor allem ein tieferes Verständnis dessen, was Digitalisierung bedeutet. Man konnte allerdings den Eindruck gewinnen, dass es der Bildungspolitik darum nie wirklich ging, wenn man von Digitalisierung sprach. In den Schulen dominierte das Gespräch über Gadgets und Gizmos: Laptops und Tablets versprachen technologische Anschlussfähigkeit. Wo gestern noch Polylux oder Beamer zwar vorhanden, aber aus unerfindlichen Gründen nie zuhanden waren (defekte Glühbirne hier, fehlendes Kabel da), sollten morgen schon Smartboards für Erleuchtung der Schülerhirne sorgen.Streit um den Digitalpakt 2.0Wenn derzeit Bund und Länder über den Digitalpakt 2.0 streiten, liegt der Fokus erneut auf den Mitteln, die zur Anschaffung von Geräten wie Smartboards bereitgestellt werden; es geht um das ewige Kompetenzgerangel im Streit um Bildungsföderalismus. Erneut aber fehlt eine substanzielle Debatte darüber, was die Geräte im Unterricht überhaupt leisten sollen. Tatsächlich wirkten die teils erheblichen Anschaffungskosten (klassensatzweise Tablets zu kaufen, ist ja nicht ganz billig) wie ein bildungspolitisches Placebo: Zu blöd, dass in Deutschland Herkunft und Einkommen der Kindeseltern über den Bildungserfolg entscheiden, aber hey, hier hast du ein Tablet, auf dem du erfolgreich tatschen und wischen kannst! Während der Bund keinen Einfluss darauf hat, ob Schüler länger gemeinsam lernen dürfen oder Stundenausfall hinnehmen müssen, kann er als großzügiger Vater Staat smarte Endgeräte verteilen. Angesichts der Tatsache, dass Kinder heute eher zu viel Zeit als zu wenig an solchen Geräten verbringen und es einen Zusammenhang von erhöhtem Medienkonsum und bildungsferner Herkunft gibt, könnte man die Debatte um die Digitalisierung sogar für zynisch halten.Nur um einem Missverständnis vorzubeugen: Es geht nicht darum, den Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu verteufeln. Aber als Elternteil wüsste man schon gerne, welches konkrete Konzept hinter den Geräten steht und ob Kosten und Nutzen der Anschaffungen in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Wenn in PISA-Studien deutsche Schüler vor allem bei den Kernkompetenzen wie Leseverständnis wiederholt schlecht abschneiden, könnte und müsste man doch prüfen, ob digitales Lesen und Schreiben Abhilfe schafft – oder eher nicht.Bewegung und Arbeit mit den Händen wird belohnt – durch DopaminAuf dem Deutschen Bildungsserver etwa heißt es optimistisch: „Mithilfe digitaler Medien können Lehrerinnen und Lehrer ihre Unterrichtsstunden interaktiver und kreativer gestalten und sich besser an die jeweiligen Bedürfnisse und das individuelle Lerntempo ihrer Schüler anpassen.“ Bei genauer Betrachtung wirkt solch ein Satz recht naiv. Inwiefern ist die Arbeit an einem Laptop interaktiver als die Arbeit in einer Lerngruppe? Ist die Arbeit an einem Tablet nicht das Gegenteil von kreativem Tun (weil man sich ja nur in einem vorprogrammierten Rahmen bewegt)? Setzt der Fokus auf individuelles Lerntempo und Bedürfnisse nicht vor allem Zeit voraus und nicht primär einen bestimmten technischen Rahmen? Und warum soll bei Kindern Leistung und Lernlust fördern, was bei Erwachsenen die Konzentration eher erschwert? Die meisten Menschen drucken Dokumente, die sie konzentriert lesen müssen, noch immer aus. Ganz offensichtlich hat die händische Bearbeitung eines Dokuments Einfluss auf Konzentration und Merkfähigkeit.Auch auf die Gefahr hin, nun wie ein ewig besserwisserischer Boomer zu klingen (der ich, rein demografisch betrachtet, gar nicht bin): Als ich Grundschülerin war, vermittelte man uns Kindern etwa basale Rechenoperationen mit Rechenstäbchen, „LÜK“-Lernspielen oder Steckwürfeln. Ziel war es, diese Rechenoperationen zu begreifen, buchstäblich: Die Hände hatten wesentlichen Anteil am Lernprozess. Diese „manuellen“ Lernmethoden sind von unschätzbarem Wert besonders für jene, die Probleme mit der Konzentration und Lernmotivation haben. Deswegen kommen sie bei Lerntherapien regelmäßig zum Einsatz. Nicht nur das: Dort wird gewürfelt, gepuzzelt, gespielt und getobt. Sowohl Bewegung als auch die konkrete Arbeit mit den Händen, die ein sichtbares Ergebnis produziert, sorgen im Gehirn für die Ausschüttung von Dopamin. Dopamin ist der zentrale Botenstoff für Motivation, Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Im Englischen spricht man von „effort-driven reward cycle“ – eine konkrete, greifbare Leistung, das Ergebnis von unserer Hände Arbeit, führt zur Belohnung in Form von ausgeschüttetem Dopamin im Gehirn.Wer Grundschüler beim Schreiben beobachtet, erkennt, dass der ganze Körper am Schreiben beteiligt ist. Man sieht ihm die Anspannung förmlich an. Warum also nicht etwas von der Anstrengung nehmen, etwa indem man auf einem Tablet malt? Wer am Tablet arbeitet, bewegt zwar ebenso seine Hände, erzeugt aber nichts Greifbares. Er hat keine Spur auf dem Papier hinterlassen. Er ist leichter ans Ziel gekommen, aber leichter ist nicht immer besser. Richtig hart musste man für das Dopamin nicht arbeiten. Der Kick kommt sofort und verpufft. Wie beim Candy-Crush-Spielen.Nun war und ist das Problem der Digital Natives nicht, dass sie zu spät mit der digitalen Welt in Kontakt kommen. Häufig sehen sie ja bereits die Gesichter der Eltern stets vom Endgerät verborgen. Und bevor Leser diesen Umstand zur Klassenfrage erheben: Jedenfalls meiner Beobachtung nach handelt es sich um ein allgemeines Problem; die meisten von uns hängen permanent am Gerät und müssen sich bewusst dafür entscheiden, das Ding einmal aus der Hand zu legen. Ein Kind, das von Anfang an am Smartphone sozialisiert wird, hat eher keine Berührungsängste (im Gegensatz zur Generation 70+), deshalb gibt es keinen wichtigen Grund, in der Schule mit Smartphones zu hantieren. Zumal nicht selten die Fähigkeit, ein Gerät zu bedienen, mit der Fähigkeit, das Gerät zu verstehen, verwechselt wird.Keine Ahnung von TechnikUnd das ist der zweite große Haken der Digitalisierung der Schulen: Natürlich wäre es wichtig, die Digitalisierung fächerübergreifend in all ihren gesellschaftlichen Auswirkungen zum Thema zu machen. Besonders deswegen, weil die fortschreitende Digitalisierung zwei Formen der Unsichtbarkeit erzeugt: Die Endgeräte überzeugen nicht nur durch glatte Oberflächen, sie machen ihre eigentlichen technischen Bedingtheiten unsichtbar. Während es vor 20 Jahren noch normal war, Grafikkarten oder Festplatten am Computer auszutauschen, und man auf diese Art zumindest ganz prinzipiell und handfest mit der Hardware vertraut wurde, bleibt all das heute im Verborgenen. Damit reduziert sich zum einen das konkret-technische Verständnis der Dinge.Ebenso unsichtbar sind zum anderen die Effekte der Digitalisierung im Alltag: Wer den Kundenservice eines Unternehmens kontaktiert, muss schon hartnäckig nach einem Menschen verlangen, um nicht von einem Bot zugetextet zu werden. Viele Bewerbungsmappen, die auf Jobportalen hochgeladen werden, werden wohl nicht mehr von Menschen gesichtet, sondern von KI nach brauchbaren Kandidaten durchforstet, die die korrekten Stichwörter texten. Auch bei Kreditvergaben entscheiden längst Algorithmen über die Vertrauenswürdigkeit der Kunden.„Bücher und Hefte aufschlagen!“Es wäre enorm wichtig, über die Chancen und Risiken der Digitalisierung im Alltag zu sprechen, gerade mit Schülern, die womöglich persönliche Daten und Bilder ins Netz stellen (wie wir Erwachsenen). Solch ein Gespräch über Digitalisierung setzt weniger Smartboards als Unterrichtszeit und konkretes Wissen der Lehrer voraus. Dann könnte man zentrale Fragen diskutieren: Was ist eigentlich ein Algorithmus? Warum sind Algorithmen, anders als viele Menschen annehmen, nicht neutral, sondern ebenso vorurteilsbehaftet wie ihre Macher? Warum behandeln wir Plattformen wie Google oder Facebook wie neutrale digitale Infrastruktur, wo es sich doch um Privatunternehmen handelt, die vor allem Gewinne erzielen wollen? Wie kann ich Informationen, die ich online finde, verifizieren? Wie werden Plattformen wie X oder Telegram genutzt, um politisch Stimmung zu machen? Was geschieht mit meinen Daten und dem produzierten Content?Solche Fragen lassen sich nicht nebenbei im Deutsch- oder Matheunterricht klären. Höchstwahrscheinlich wissen viele Lehrer – wie wir Eltern – nicht auf alle Fragen die entsprechenden Antworten, müssen ihrerseits geschult werden. So aber investieren wir die begrenzte Zeit, die zur Lehrerfortbildung zur Verfügung steht, in die Vermittlung technischer Skills im Umgang mit Geräten. Wer hätte gedacht, dass „Bücher und Hefte aufschlagen“ ein Ruf für die Zukunft sein könnte?
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