Gewaltige Rohrleitungen durchschneiden den Raum, ein Rauschen und Dröhnen erklingt. Nicht die Röhren verursachen diese Geräusche, sondern die Videoinstallation, die den Raum dahinter einnimmt. Die gewaltigen Leinwände scheinen um den lang gestreckten Raum herumzufließen. Man hört ein Sprudeln und Gurgeln, sieht eine Aufnahme aus der Tiefe, gemacht von einem Tauchroboter.
Die Röhren, das Rauschen und die Aufnahmen sind Elemente der Ausstellung Leak. Das Ende der Pipeline, die im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen ist und eine Kooperation der Künstlerin Hito Steyerl, des Kulturwissenschaftlers Philipp Goll und des ukrainischen Filmemachers Oleksiy Radynski darstellt. Steyerls Videoerzählung folgt der Entstehung des Nord-Stream-Pip
des Nord-Stream-Pipelinesystems und dessen Vorgängern, die auf die 1970er datieren. Sie bildet eine Art Backdrop zur begehbaren Raumskulptur aus Röhren.Es ist ein wenig so, als befände man sich in einem Maschinenraum, einem Maschinenraum der Macht: Denn das Erdgas-Pipelinesystem zwischen der Sowjetunion und der BRD umfasst nicht nur Tausende Kilometer verlegter Rohrleitungen, sondern engste Verflechtungen zwischen Wirtschaft, Politik, Finanzsystem und – eher überraschend – der Kultur. Auch von dieser Kulturpipeline erzählt Steyerls Videoarbeit. Verflochten ist sie mit dem essayistischen Roadmovie Where Russia Ends (2024) von Oleksiy Radynski. Radynski widmet sich der kulturellen wie ökologischen Zerstörung Sibiriens durch die Sowjetunion/ Russland. Sein Videoessay basiert auf historischen Aufnahmen aus den 80ern, die Umweltschäden zeigen und erst 2022 in einem ukrainischen Filmstudio auftauchten. Für westliche Rezipienten zunächst ungewohnt wird diese Ausbeutung mit dem Stichwort Kolonialismus versehen. Ergänzt wird die Rauminstallation durch die Timeline Das Ende der Pipeline von Philipp Goll, die entscheidende Abschnitte der Entstehung des Pipelinesystems verzeichnet.Politisch pikant: Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfen die BRD und die Sowjetunion Verbindungen in der Gasfrage. Selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges geraten die Pläne zum Pipelinebau nicht wesentlich unter Druck. Geld, Technologie, Arbeitskräfte: Der Pipelinebau verschlingt enorme Summen; die Bundesregierung verpflichtet sich, für immerhin die Hälfte der Milliardenkredite, die von der Sowjetunion aufgenommen werden, zu bürgen. Auch der zweite deutsche Staat leistet seinen Beitrag; die DDR entsandte Ingenieure und Arbeiter in die SU, um den Pipelinebau – und nicht nur den – zu unterstützen. Ganze Städte wurden in die sibirische Tundra gebaut, in der sich der Schnee schon bald schwarz färbte vom Ruß der rauchenden Schlote.Da erscheint, einer Lichtgestalt gleich, Gerhard Schröder auf der riesigen Leinwand. Der damalige Kanzler (die Aufnahmen stammen aus den frühen 2000ern) prangt überlebensgroß auf der Leinwand und erklärt in einigen Sätzen die Bedeutung der russischen Gasexporte, die Bedeutung auch des Nord-Stream-Deals für die Bundesrepublik. Deutschland benötige CO₂-arme Energie, erklärt er im Video. Gas sei eine solche umweltfreundliche Alternative. Man möchte schreien und lachen angesichts des abenteuerlichen Framings des Gasimportes zu Umweltschutzzwecken. Und doch wird man ein wenig eingelullt von den Kanzlerworten. Hätte man, mit dem damaligen Wissen, dem Kanzler tatsächlich widersprochen?Wandel durch Handel. So lautete die griffige Formel, die wirtschaftliche Kooperation und politische Liberalisierung zusammendenken wollte. So wird auch die historisch viel gelobte Ostpolitik Willy Brandts von Anbeginn mit ökonomischen Interessen unterfüttert. Nicht länger Abschreckung und Abwehr, sondern die Festigung geteilter Interessen. Dass solche bilateralen Interessenpartnerschaften stets das Risiko der Abhängigkeit beinhalten, davor warnen die USA früh. Gegen den sowjetisch/russischen Extraktivismus in der vermeintlich herrenlosen sibirischen Steppe setzten die USA die Ausbeutung irakischer Ölfelder. Dieser Whataboutism erklärt rückwirkend womöglich gut, warum der Nord-Stream-Deal in der deutschen Öffentlichkeit zu unkritisch behandelt wurde.Dass man es angesichts des kaum hinterfragten Hungers nach „sauberer Energie“ überhaupt für nötig hielt, das Projekt durch eine Kulturpipeline zu ergänzen, überrascht eher. Zahlreiche deutsch-russische Ausstellungsprojekte, die etwa russische Kunst des 19. Jahrhunderts zeigen, werden im Rahmen der Kulturpipeline ermöglicht, als finanzstarker Partner tritt die Deutsche-Bank-Stiftung auf. Die Deutsche Bank ist auch bei der Finanzierung des Pipeline-Projektes federführend. Hübscher Zuckerguss auf schmutzigen Deals.Während die Rezipientin noch versucht, sich die Hintergründe der Gasdeals an der Wand zu erlesen, schreitet Steyerls Videoinstallation im Rücken unaufhaltsam fort. Effektvoll ist sie schon allein aufgrund der schieren Größe und der dadurch eröffneten Raumerfahrung. Steyerls Videoerzählung basiert ganz auf den Effekten von Schnitt und Überblendung; Radynskis Videoessay auf den tragisch-poetischen Bildern, die unwillkürlich an Andrei Tarkowskis Film Stalker denken lassen. Dafür muss man allerdings Geduld mitbringen. Radynskis Videoessay allein hat eine Dauer von 25 Minuten. Leak beansprucht nicht nur viel Raum, sondern auch Stehvermögen.Placeholder infobox-1