Selbstständig als Mutter: Baby gebären, und ab zurück an den Schreibtisch!
Mompreneur Hebamme, Handwerkerin, Autorin: Wer selbstständig arbeitet, bekommt keinen Mutterschutz und oft wenig Elterngeld. Auch unsere Autorin arbeitete fast ohne Pause durch. Dabei machen Frankreich und Dänemark längst vor, wie es anders geht
Für selbstständige Frauen geht es nach der Geburt meist direkt wieder an den Schreibtisch. Das kann überfordernd sein
Foto: Viktor Solomin + Adushule/Stocks
Als ich zum zweiten Mal Mutter wurde, arbeitete ich bereits als freie Autorin, gehörte also zur Gruppe der Soloselbstständigen. Ich erhielt endlich lukrative Aufträge und unterhielt gute Beziehungen zu Auftraggebern, die mich regelmäßig anfragten. Ich wollte nach der Geburt unbedingt rasch weiterarbeiten, um das Momentum zu wahren und finanziell unabhängig bleiben zu können. Zum Glück klappte das: Mein Kind schlief gut, kränkelte nicht, ich war fit und fühlte mich leistungsfähig. Alles keine Garantie bei Müttern mit Neugeborenen. Das Problem ist, dass Selbstständigen, die Mutter werden, oft nichts anderes übrig bleibt, als gleich weiterzuarbeiten, auch wenn das Baby nachts durchschreit, auch wenn die Mütter müd
as Baby nachts durchschreit, auch wenn die Mütter müde sind oder gar depressiv: Die sozialen Schutzmaßnahmen für Mütter greifen für Selbstständige schlicht nicht.Mir wurde in der Schwangerschaft klar, dass ich nur den Elterngeldmindestsatz in Höhe von 300 Euro erhalten würde. Bei Selbstständigen wird zur Ermittlung des Elterngeldanspruchs das Jahreseinkommen vor dem Geburtsjahr des Kindes als Berechnungsgrundlage herangezogen. Damals war ich noch Studentin, verdiente nur nebenbei Geld. Von dreihundert Euro monatlich lässt sich freilich nicht leben; allein mein Beitrag zur gesetzlichen Krankenkasse hätte das Geld sogleich verschlungen, von Miete und sonstigen Kosten ganz zu schweigen.Neben dem Elterngeld arbeiten?Obendrein hätte man mir das bisschen Elterngeld gekürzt, wenn ich zu viele Stunden gearbeitet oder „zu viel Geld“ verdient hätte. Denn im Elterngeldbezug gilt: Die wöchentliche Maximalarbeitszeit liegt bei 32 Stunden (in meinem Fall damals waren es nur 20 Stunden). Für Teilzeit arbeitende Eltern gibt es das ElterngeldPlus und den Partnerschaftsbonus – aber ehrlich, die Regelungen sind so kompliziert, dass man sie kaum durchdringt. Wer etwa den Partnerschaftsbonus erhalten will, darf nicht weniger als 24 und nicht mehr als 36 Stunden arbeiten. Wer gegen die Regel verstößt, muss den Partnerschaftsbonus für den Lebensmonat des Kindes zurückzahlen. Man sollte also sehr genau Buch führen.Wer als soloselbstständige Mutter parallel Einkommen erzielt, muss das Elterngeld gegenrechnen lassen, was wiederum immensen bürokratischen Aufwand und finanzielle Unsicherheit bedeutet. Zwar gibt es einige Tricks, die man anwenden kann: So kann man den Bezug des Elterngelds pausieren, wenn man Einnahmen aus Aufträgen erwartet. Wenn man also weiß, dass in einem bestimmten Monat Honorare reinkommen (etwa aus einem größeren Auftrag), kann man für diesen Monat das Elterngeld aussetzen. Allerdings ist das für die wenigsten Selbstständigen ohne Weiteres planbar. Außerdem muss man um diese Möglichkeit wissen – das System Elterngeld ist jedoch so kompliziert, dass es Elterngeld-Berater speziell für Selbstständige gibt.Bürgergeld statt ElterngeldIch habe viele selbstständige Elterngeldbezieher in meinem Umfeld gefragt: Sie haben die Regelungen nicht verstanden oder scheuten den bürokratischen Aufwand und gaben entnervt auf. Wohlgemerkt, es handelte sich um Akademiker. Einer befreundeten Übersetzerin aus dem EU-Ausland erklärte man bei einer Beratungsstelle freimütig, der Elterngeldbezug sei in ihrem Fall so kompliziert, dass sie die Sache lieber lassen und stattdessen Bürgergeld beziehen solle. In ihrem Herkunftsland Dänemark hätte sie – wie eine Angestellte – Anspruch auf Mutterschaftsgeld gehabt.Auch mein Partner und ich waren angesichts der unübersichtlichen Regeln frustriert. Wir entschlossen uns damals dazu, dass er zwölf Monate Elternzeit nehmen würde, ich dagegen nur die zwei „Vätermonate“, wie es ja umgangssprachlich heißt. So würde ich Aufträge in Vollzeit annehmen können, während er unser Kind betreute. Dass ich obendrein von zu Hause aus arbeiten konnte, erlaubte mir den Luxus, mein Kind stillen zu können, ohne Milch abpumpen zu müssen.Zu Hause arbeiten, da sieht man schon: Ich bin nicht die typische Soloselbstständige. Ich kann bei absolut freier Zeiteinteilung arbeiten, was der selbstständigen Handwerkerin, freiberuflichen Hebamme oder Pflegekraft nicht möglich ist. Die Tischlerin oder Pflegerin kann auch nicht bis einen Tag vor der Geburt schwer heben oder drei Wochen nach der Geburt wie gewohnt weiterarbeiten. Diesen Soloselbstständigen droht also ein dauerhafter Verdienstausfall, gegen den sie das deutsche Sozialsystem nicht absichert.Placeholder image-1In der Arbeitswelt ist das Modell des Arbeitnehmers noch immer der männliche Normalarbeitnehmer, und noch dazu einer, der dem klassischen Alleinverdienermodell folgt: Der Alleinverdiener setzt natürlich nicht aus, wenn ein Kind geboren wird; er verringert auch nicht seine Arbeitsstunden für die Kindererziehung (er erhöht sie, statistisch gesehen, sogar). Ist es für Mütter mit Kindern in der Arbeitswelt schon schwierig genug, diese Norm infrage zu stellen, wird es für soloselbstständige Mütter beinahe unmöglich gemacht. Anscheinend ist das Modell der selbstständigen Unternehmerin, die ein Kind bekommt, in unserem Sozial- und Versicherungssystem nicht vorgesehen. Die Soloselbstständige fällt doppelt durchs Raster – als Sonderfall unter den Selbstständigen und als Sonderfall unter den Müttern.Nehmen wir das Beispiel des Mutterschutzes: Arbeitgeber, die die Vorschriften zum Mutterschutz nicht einhalten, können juristisch empfindlich bestraft werden. Doch soloselbstständige Mütter müssen zugunsten ihrer Geschäftstätigkeit nicht selten auf den Mutterschutz vor der Geburt verzichten. Weil sie versuchen, bis zuletzt Aufträge abzuarbeiten, bevor das Kind da ist.Kein Mutterschutz, kein GeldIst das Kind einmal geboren, darf sich die Selbstständige keineswegs über Mutterschaftsgeld freuen: Privatversicherte haben gar keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld. Auch wer, wie ich, freiwillig gesetzlich versichert ist und für seine gesetzliche Versicherung ohne Arbeitgeberanteil aufkommen muss, erhält kein Mutterschaftsgeld, es sei denn, man schließt eine Krankengeldversicherung ab. Diese Zusatzversicherung ist allerdings teuer und rechnet sich für viele Selbstständige schlicht nicht.Während für abhängig beschäftigte Mütter der Mutterschutz eine echte soziale Errungenschaft ist, für den lange gestritten wurde, müssen oder wollen viele Selbstständige auf ihn vollständig verzichten. Die Übersetzerin wird ein lukratives Angebot nicht ablehnen, nur weil sie einen Säugling versorgt. Es ist ein Paradox des Feminismus.Die laufenden Kosten der SelbstständigenDas Problem der Soloselbstständigen ist allerdings noch größer, wenn ihre Berufsausübung eine Praxis oder eine Werkstatt umfasst. Nehmen wir das Beispiel einer Handwerkerin: Sie verfügt über eine Werkstatt, deren Miete sie auch in der Erziehungszeit weiterzahlen muss. Andere Betriebsausgaben für das Auto oder Versicherungen, darunter auch die Renten- und Krankenversicherung, laufen ebenfalls weiter. Hat die Handwerkerin zur Beschaffung von Maschinen und Geräten einen Firmenkredit aufgenommen, so muss dieser selbstverständlich weiter abgezahlt werden – es sei denn, die Bank ist so gnädig und stimmt einer Ratenstundung zu. Es ist offensichtlich, dass all diese Kosten rasch das zu erhaltende Elterngeld auffressen. Für diesen Fall bereits im Vorfeld größere Rücklagen zu bilden, dürfte auch schwerfallen, da Soloselbstständige selten große Gewinne verbuchen.Das müsste nicht so sein: Andere europäische Länder wie Dänemark, Finnland oder Frankreich haben Selbstständige in Fragen des Mutterschutzes längst mit Angestellten gleichgestellt. Die Leistungen sind entweder rein steuerfinanziert oder setzen sich zusammen aus Sozialabgaben, Zuschüssen und Steuern. Es wäre auch in Deutschland möglich, das Mutterschutzgeld nicht aus den Krankenkassenbeiträgen, sondern aus Steuern zu finanzieren.Wenn es ums Elterngeld geht, dann besteht die Krux in der sehr typisch deutschen Tendenz dazu, allerlei Sonderregelungen in das Gesetz aufzunehmen, die mehr Gerechtigkeit schaffen sollen, tatsächlich aber unnötig komplex sind. Warum etwa wird der Elterngeldanspruch mit selbstständig erzielten Einkommen verrechnet? Sollten selbstständige Mütter im ersten Jahr nach der Geburt ihrer Kinder tatsächlich ein unerwartet hohes Einkommen erzielen, wird dies doch über die Einkommenssteuer und steigende Krankenkassenbeiträge fürs Folgejahr abgeschöpft.25 Euro brutto: Hier ist Unterstützung sinnvollNun könnte man aus politischer Sicht argumentieren, das Elterngeld sei eine Entgeltersatzleistung, entsprechend dürfe eine soloselbstständige Mutter eben nicht Vollzeit arbeiten, um Einkommen zu erzielen. Dann darf man allerdings nicht übersehen, dass eine Angestellte eben keine Betriebsausgaben hat, die in der Erziehungszeit weiterhin zu zahlen sind. Obendrein erzielt gut ein Viertel der Soloselbstständigen – etwa eine Million Menschen – Einnahmen unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Soloselbstständige im Bereich Pflege und Gesundheit etwa haben einen Stundenlohn von etwa 25 Euro – wohlgemerkt brutto, hiervon gehen Kranken- und Rentenversicherung, Betriebsausgaben und Steuern ab. Es geht also durchaus nicht darum, einer gut verdienenden Klientelgruppe mehr Geld zuzuschanzen.Vielmehr müsste es doch das Ziel sein, gerade jener Gruppe von Selbstständigen, die als freiberufliche Hebammen, Pflegerinnen oder Krankenschwestern arbeiten – also systemrelevante Tätigkeiten ausüben, auf die wir unbedingt angewiesen sind, wie wir nicht nur in der Pandemie gelernt haben –, im Beruf zu halten und ihnen nicht noch zusätzliche Steine in den Weg zu legen, weil sie auf die Idee kommen, eine Familie zu gründen. Dass die Frage der Familiengründung eben keine rein private Entscheidung ist, beweisen Sozialleistungen wie das Kindergeld oder das Elterngeld. Dass dieses Land umgekehrt Menschen braucht, die ein finanzielles Risiko eingehen, indem sie selbstständig arbeiten, dürfte eigentlich Common Sense sein.Warum sollten wir es ihnen unnötig schwer machen? Und wem wäre daran gelegen, wenn diese Frauen ihre Selbstständigkeit aufgeben müssten, um im Anschluss von Sozialsystemen aufgefangen werden zu müssen?
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