Juzo Itami´s TAMPOPO

Filmklassiker neu gesehen Die Suche nach dem perfekten Nudelsuppenrezept ist der Rahmen für einen faszinierenden, spannenden und liebenswerten japanischen Film aus dem Jahr 1985

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Das Essen begleitet den Film die ganze Zeit
Das Essen begleitet den Film die ganze Zeit

Screenshot: Youtube (youtu.be/tY392wxb2Wk)

Ein Kinofilm sollte in den ersten zehn bis fünfzehn Minuten sein Publikum interessieren, damit es bleibt – heißt es. Juzo Itami´s TAMPOPO erobert sein Publikum sofort mit der ersten Szene und hält es bis zum Schluss des Abspanns gefangen. Das Frankfurter Filmmuseum zeigte den Film jetzt im Rahmen des japanischen Filmfestivals NIPPON CONNECTION (kleiner Bericht folgt demnächst) in der Originalfassung mit englischen Untertiteln. TAMPOPO war in den 80er Jahren einer der erfolgreichsten japanischen Filme nach dem Ende der großen Zeit der Samurai- und Yakuza-Filme.

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Inhaltsangabe

Zwei Trucker lernen bei einem Stopp in einem schlecht laufenden Imbiss dessen Besitzerin kennen: die junge Witwe Tampopo. Um dem Laden wieder auf die Sprünge zu helfen, fassen die beiden den Entschluss, gemeinsam mit Tampopo nichts geringeres als die perfekte Nudelsuppe zu kreieren. Mit zahlreichen skurrilen Einfällen persifliert Juzo ITAMI die japanische Kultur. TAMPOPO ist Komödie, Gangsterfilm und Western zugleich – vor allem aber eine Liebeserklärung ans Essen, die sicherlich jeder*jedem Zuschauer*in das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. In einer seiner ersten größeren Rollen ist NIPPON HONOR AWARD-Preisträger Koji YAKUSHO zu sehen.

Text: NIPPON CONNECTION

Schon die Anfangsszene springt dem Publikum sozusagen ins Auge. In einem Kino nehmen ein feiner Mann im cremefarbenen Anzug und Hut und seine Freundin in der ersten Reihe Platz. Vor sie wird ein Bistrotisch gestellt und mit Schinken, Wurst und Käse gedeckt. Wein und Champagner werden eingeschenkt. Der Mann schaut direkt in die Kamera, kommt näher und begrüßt das Publikum. Er äußert sich negativ über Leute, die zum Beispiel eine Kinovorstellung mit dem Geknister von Knabbertüten und dem Geknusper von Chips stören – wer könnte ihm widersprechen. In der Reihe dahinter öffnet eben in diesem Moment ein anderer Mann eine Chipstüte und fängt an zu knabbern – mit Currygeschmack. Es kommt zur Auseinandersetzung.

Die Fernfahrer Goro und Gun sind unterwegs. Bevor sie eine Pause in Tampopo´s Nudelsuppenbar machen, liest Gun auf dem Beifahrersitz ein Buch, dessen aktuelles Kapitel wir als Szene sehen. Ein alter und ein junger Mann bekommen eine Ramen serviert, die traditionelle japanische Nudelsuppe. Der alte Mann führt in den Genuss der Nudelsuppe ein, lässt das Aroma der Brühe ausströmen, beobachtet, wie die Wakame (getrocknete Algen) in der Brühe aufquellen, liebkost das Schweinefleisch mit den Stäbchen. Als der Appetit beim Lesen des Buches kommt, kehren die Fernfahrer in Tampopo´s Nudelsuppenlokal ein und sind alles andere als begeistert. Daraus entwickelt sich die Suche nach dem ultimativen Nudelsuppenrezept. Dazu werden Körpersprache gegenüber dem Gast geübt, Zubereitungstips gesammelt und Körpertraining zum Schleppen der schweren Suppenkessel praktiziert. Die Rezepte der Konkurrenz werden ausspioniert, ein reicher Mann, der beim Essen vor dem Erstickungstod gerettet wird, leiht seinen Koch zur Verstärkung aus. Und der Anführer der Bettler hat die größte Lebenserfahrung und die beste Kenntnis über das Essen.

Als Nebenhandlung erleben wir die Abenteuer des Mannes im Anzug und seiner Geliebten. Beim Liebesspiel verwenden sie ausgiebig Delikatessen und Zutaten, mit denen sie sich einreiben und genussvoll ablecken. Der Höhepunkt ist ein rohes Eigelb, das der Mann in den Mund nimmt und seiner Geliebten in den Mund gleiten lässt. Eine Minute lang lassen sich die beiden das Eigelb gegenseitig in den Mund gleiten, bis der Dotter platzt und auf den Anzug kleckert. Eine sinnlichere und erotischere Kussszene gesehen zu haben, kann ich mich nicht erinnern.

Abwechselnd werden kleine Kurzgeschichten rund ums Essen perfekt in die Handlung eingebaut. Ein Feinschmecker mit schlimmen Zahnschmerzen muss zum Zahnarzt. Eine alte Frau mit Zwangsstörung liebt es, im Feinkostladen Verpackungen zu öffnen und die Lebensmittel zu zerdrücken, während der Verkäufer sie durch die Gänge verfolgt. Eine todkranke Frau bereitet das letzte Essen für ihre Familie zu; nachdem sie hört, wie gut es allen schmeckt, fällt sie tot um. Tragik und Komödie liegen ansatzlos nebeneinander.

Und noch in der Schlusseinstellung, die in die Endtitel übergeht, sehen wir von einer Brücke aus Goro und Gun mit ihrem LKW die Stadt verlassen. Aus der Totalen schwenkt die Kamera nach links in einen Park und zoomt zur Nahaufnahme einer Mutter, die ihren Säugling stillt. Vom erfolgreich beendeten Auftrag des perfekten Nudelsuppenrezeptes zur Urform der menschlichen Nahrungsaufnahme. Grandios.

In den englischen Untertitel werden einige Vokabeln für Zutaten verwendet, die ich nicht kenne und daher bestimmte Rezepte nicht nachvollziehen kann. Das mindert den Spaß aber keineswegs.

Heutzutage nennen Marktstrategen so etwa „Wohlfühlkino“ oder „Feel-good-movie“; unter dieser Marke werden wir dann mit seichter Unterhaltungsware aus Europa und den USA sediert – gerne aus Frankreich und die Filme haben dann im deutschen Titel „Willkommen“ oder „Ziemlich“. Das hier ist der Prototyp des Wohlfühlfilms. Pures Endorphin. Wundervoll.

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TAMPOPO von Juzo Itami

Japan 1985
mit Tsutomu Yamazaki, Nobuko Miyamoto, Ken Watanabe, Rikiya Yasuoka und Kōji Yakusho

Foto: Eine vegetarische japanische Nudelsuppe (Ramen) mit Misobrühe, Tofu und Gemüse, die ich mir nach dem Foto schmecken lasse. Normalerweise fotografiere ich mein Essen nicht, aber das ist anlassbezogen ...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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