Kein großer Bahnhof ... Die OSCARs 2021

Film und Kino Nach einem teilweise überraschend guten Jahrgang 2019/2020 war die OSCAR-Show in der verganenen Nacht eine Beleidigung für gutes, und kreatives und innovatives Kino.

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Das Beste der vergangenen Nacht war zweifellos der Vorjahres-Gewinner PARASiTE aus Südkorea. Ein sehr guter Freund kam rechtzeitig vor 22:00 Uhr. Wir aßen lecker und schauten die DVD.

Um 2:00 Uhr deutscher deutscher Zeit ging die OSCAR-Show im Bahnhofsbistro Los Angeles los, bei der nur Nominierte, Präsentierende und technisches Personal anwesend war.Auf alle Gewinner und Verlierer in allen Sparten gehe ich nicht ein. Meine Prognosen vom Samstag gibt es hier und ich lag in vielen Kategorien falsch.
Gerechnet hatte ich mit den Hauptrollen-OSCARs für MA RAINEY´S BLACK BOTTOM. Chadwick Boseman´s früher Krebstot im vorigen Jahr waren für mich ein klares Anzeichen für einen OSCAR – nicht, dass ich die Darstellung von allen beiden für wirklich gelungen halte. MA RAINEY bekam einen Oskar für das beste Make-Up und mir war einige Zeit nicht klar warum. Die wesentlich schlankere Viola Davis wurde sehr glaubwürdig auf fett und verschwitzt geschminkt.
Dass die großartige Frances McDormand zum dritten mal den Hauptrollen-OSCAR bekommt, hätte ich nicht erwartet. Ihre aktuelle Rolle kenne ich nur in sehr kurzen Ausschnitten. Cloé Zhao als beste Regisseurin hatte ich erwartet, allerdings auch David Fincher befürchtet.
Sir Anthony Hopkins bekam den besten Hauptrollen-OSCAR für seine Darstellung eines desorientierten Demenz-Kranken. Nach vielen guten bis herausragenden Rollen hätte Hopkins bei zahlreichen Rollenangeboten eher nein sagen sollen. Vor ein paar Jahren wirkte er sogar im Action- und Effekt-Porno TRANSFORMERS 5 – THE LAST KNIGHT mit. Dazu schrieb ich:

Er spielt mittlerweile in jedem Müll mit und so ist seine Mitwirkung bei einem Film schon lange kein Qualitätsmerkmal mehr – eher das Gegenteil. Seine Gesichtsausdrücke lassen erahnen, dass er entweder dringend die Gage brauchte oder zu senil ist, um zu verstehen, welche Rolle er in welchem Film spielt.

Ungewohnt und auch unpassend war, dass der OSCAR für den besten Film nicht zuletzt übergeben wurde sondern als Vor-vorletzter vor den beiden Hauptrollen-OSCARs.
Ärgerlich war erneut die Liste der Verstorbenen Filmschaffenden, die zu Retorten-Dudelmusik lieblos hingerotz wurde. Manche Tafeln und Namen wurden länger gezeigt und manche so kurz, dass sie kaum zu lesen waren. Es schien Verstorbene erster und zweiter Klasse zu geben. Und jeder Show-Verantwortliche mit ein paar Spurenelementen von Verstand hätte als musikalische Untermalung ein Stück des verstorbenen Filmmusik-Giganten Ennio Morricone.
Als Beleidigung empfinde ich den Cinematography-OSCAR (Kamera) an Eric Messerschmidt (er wurde mal Messengerschmidt genannt) für MANK. Der Film über den Drehbuchautoren Herman Mankiewicz (Mank) und die Entstehungsgeschichte des Filmklassikers CITIZEN KANE imitiert die Erzählweise und die Optik der extremen Tiefenschärfe aus CITIZEN KANE, ohne die Stilmitte selbst erzählerisch einzusetzen, und langweilt auch noch. Auch ein Quentin Tarantino zitiert immer wieder die Stilmittel aus anderen Filmen aller Genre – von der Titelszene am Flughafen in DIE REIFEPRÜFNG, die er 100%ig für JACKIE BROWN kopierte, bis zum wiederholten Einsatz von Klassikern der Filmmusik oder dem Bruce-Lee-Anzug in KILL BILL: und er nutzt diese Zitate immer für eigene erzählerische Impulse. Wie genial und brilliant war die Art, wie Spike Lee den inovativen Einsatz der Parallelmontage durch D.W.Grifith in dessen fragwürdigem Klassiker BIRTH OF A NATION zu imitieren, um die Erzählweise genau dieses fragwürdigen Klassikers zu kritisieren. Die aufgeführten Beispiele waren der Akademie keine OSCARs wert. CITIZEN KANE war neunfach nominiert, auch für Regie, Ausstattung und Bildgestaltung und wurde nur für das Drehbuch von Welles & Mankiewicz ausgezeichnet. MANK reduziert Orson Welles auf eine Nebenfigur. Ganz schwach.

Wie sagte mein Freund, als er am Mittag aufwachte und mich beim Tippen antraf: „Wen interessiert am nächsten Tag noch die OSCAR-Show der vergangenen Nacht?“

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Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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