Mutige Positionen

Risiko Ob in Fürth, Ulm oder Oldenburg: Kritische Blicke auf den Islamismus wagen vor allem die Kleinen
Ausgabe 17/2016

Das klingt vertraut: Terroristen setzen im Glauben an die gute Sache auf Bomben, einer wird gefasst; der nächste Anschlag soll ihn rächen. Was Albert Camus 1949 ersann, könnte das Stück der Stunde sein – aber Die Gerechten ist vergessen. Jedenfalls von den großen Häusern. Fürth, das private Theater Tiefrot in Köln, ein paar andere kleine Bühnen, in der nächsten Spielzeit wird auch Oldenburg dazukommen: Es sind vor allem die kleineren Häuser, die sich der kritischen Begleitung der Gegenwart widmen.

Dem islamistischen Terror wollen sich viele Großstadtbühnen, sonst Hochaltäre eines offensiven Allzuständigkeitsanspruchs, nicht annehmen. Unlängst diskutierten Theatermacher in Berlin auf Einladung des Deutschlandfunks darüber – und die Kurvenflüge, mit denen jegliche Positionierung vermieden wurde, waren auffällig gewunden. Es blieb dem bislang nicht gerae als Hardliner aufgefallenen Blogger und Kolumnisten Sascha Lobo vorbehalten, an anderer Stelle von „islamistischem Faschismus“ zu sprechen: Bühnenkünstler scheuen, sofern es nicht gegen rechts geht, die Totalitarismus-Keule. Aus Angst, dass die Falschen applaudieren.

Versuche, mit Theaterleitern über diese Leerstelle zu reden, verlaufen erfolglos. Das „umfangreiche Intendanz-Tagesgeschäft“ stehe dem entgegen, lässt Karin Beier, Chefin des Hamburger Schauspielhauses, ausrichten. Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier, sonst von notorischer Mitteilungsfreude, reagiert gar nicht. Dabei existiert in beiden Fällen Gesprächsbedarf.

Im Januar brachte Beier an der Elbe eine dramatische Fassung von Michel Houellebecqs Dystopie Unterwerfung heraus – anders als jetzt das Deutsche Theater in Berlin (siehe Artikel ganz rechts) als Einpersonenstück. Selbiges scheitert durch die Reduktion auf die inneren Vorgänge der Hauptfigur. Dem nihilistischen Literaturwissenschaftler François (Edgar Selge) fehlen in Hamburg schlicht die Dialogpartner.

Kapitulantentum einer anderen Art bewies Ostermeiers Schaubühne. Kaum hatte man erfolgreich einen Rechtsstreit wegen Falk Richters AfD-kritischer Inszenierung Fear durchgefochten, fuhr man im Januar mit Hamlet zum Fajr-Theaterfestival nach Teheran. Auch das Nationaltheater Mannheim gastierte vor zwei Jahren im Iran, das Berliner Ensemble unter Claus Peymann schon 2008. Dass noch immer die 1989 gegen Salman Rushdie wegen seines Romans Die satanischen Verse verhängte Fatwa gilt und das Kopfgeld jüngst auf knapp vier Millionen Dollar erhöht wurde: egal! Auf der einen Seite Intoleranz (die der AfD) verurteilen – auf der anderen Seite Intoleranz (die der Mullahs) negieren. „Chomeinis Fatwa ist ein religiöses Dekret, das niemals seine Kraft verlieren oder verblassen wird“, sagte ganz unmissverständlich der iranische Vize-Kulturminister Sayed Abbas Salehi kürzlich der Nachrichtenagentur Fars.

Die Moschee bewacht alles

Was heute Rushdie gilt, kann morgen jeden treffen. Wie rasch jede personalisierte Drohung eine Entgrenzung erfahren kann, zeigt sich aktuell in Wiesbaden. Das Staatstheater wird ab dem 19. Mai eine Bühnenbearbeitung der Satanischen Verse in der Nebenspielstätte Wartburg zeigen, einem schräg gegenüber der schiitischen Imam-Hossein-Moschee gelegenen Gründerzeit-Ensemble. Vorab lud das Theater zu einer fünfstündigen Lesung: Polizisten überprüften die Ausweise der Besucher, die danach von Mitarbeitern eines privaten Sicherheitsdienstes durchsucht wurden, bevor sie endlich den mit weiterem Wachpersonal besetzten Zuschauerraum betreten konnten. Macht nichts. Wir sehen uns gerne in Teheran beim nächsten Fajr-Festival!

Wenn das Theater Ulm im Februar 2017 als deutsche Uraufführung die Bühnenversion von Zorngebete zeigen wird, ist das wieder eine Ausnahme: Der Roman der französisch-marokkanischen Autorin Saphia Azzeddine beschreibt die Unterdrückung muslimischer Frauen in den patriarchalischen Gesellschaften Nordafrikas. Schwer zu verdauen, aber wahr: Kein großes Haus interessierte sich für den Stoff.

Info

Die satanischen Verse Regie: Ihsan Othmann Hessisches Staatstheater Wiesbaden

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