Vom ersten Plakat grüßt Wladimir Putin

Serbien Zu Besuch in einem der letzten europäischen Länder mit unverbrüchlicher Sympathie für Russland: Lässt der Ukraine-Krieg die Menschen in Serbien an die NATO-Bomben 1999 denken?
Ausgabe 15/2022
Juni 1999 im Kosovo: Eine Albanerin steht in den Ruinen ihres Hauses
Juni 1999 im Kosovo: Eine Albanerin steht in den Ruinen ihres Hauses

Foto: Christophe Simon/AFP/Getty Images

„Die Ukraine hat Russland angegriffen“, schrieb das serbische Revolverblatt Informer zu Beginn der russischen Invasion. Das wirft die Frage auf, ob Serbien das letzte europäische Land mit unverbrüchlich pro-russischen Sympathien ist, außer Bulgarien vielleicht. Aber Serbien ist speziell, da seine Städte 1999 (auch mit der zu Recht so kritisierten Streumunition) bombardiert wurden. Kann es also sein, dass manche in Serbien, weil sie den Angreifer von 1999 (die NATO) mit dem Angegriffenen von 2022 (der Ukraine) gleichsetzen, Putins Krieg gutheißen? Weil es 1999 das dreijährige Belgrader Mädchen Milica auf ihrem Badezimmer-Töpfchen zerfetzt hat, dürfen 2022 noch mehr ukrainische Kinder zerfetzt werden?

Meine Reise fängt so an: Gleich das erste Billboard, breit in einen Riesenacker der Vojvodina gepflanzt, zeigt den Chef der kleinen oppositionellen Dveri-Nationalisten – Serbien hat gerade gewählt – zusammen mit einem entschlossenen Putin: „Auf ewig Brüder!“ Da Serbien die EU-Sanktionen nicht mitmacht, kann ich im Belgrader Hotelzimmer das quer durch Europa abgeschaltete russische Staatsfernsehen schauen. Im Café Moskvaspielt der nicht singende Pianist Imagine, die rot gepolsterten Diwane sind mit goldenen Kissen behaglich gemacht, und ich führe eine repräsentative Tagespresseschau durch. Es zeigt sich, dass serbische Medien zum Krieg das gesamte mögliche Meinungsspektrum abbilden – von klarer Ablehnung bis zu unverstellter Zustimmung. Das oppositionelle Nachrichtenmagazin Nin lobt eine pro-ukrainische Demo, während das nationalistische Blatt Pečať unter einem Foto des ausgebrannten Mariupol „Entnazifizierung!“ titelt. Das alte Intelligenzblatt Politika hebt Russlands Außenminister Sergej Lawrow auf den Titel: „Nazismus hat unter den europäischen Werten keinen Platz“. Die in Besitz von Ringier und Axel Springer stehende Blic schreibt pro-ukrainisch und warnt vor einer möglichen Deepfake-Attacke der Russen gegen Blic. Ein Reporter von Alo! ist bei Donezker Separatisten eingebettet und erzählt mit nüchterner Sympathie vom eroberten Ort Wolnowacha. Im Srpski Telegraf läuft der Krieg als „russische Aggression“, der Kurir versucht sich in Neutralität, und ja, der Informer sieht „Mariupol bald von Neonazis gesäubert“.

Protestcamp am Parlament

Am Abend schlendere ich um Generalstab und Verteidigungsministerium herum, die 1999 bombardierten Gebäudeteile blieben als mahnende Gerippe stehen. Ein Militärpolizist wacht einsam an der Kreuzung. Da der breite weiße Pistolenschaftgürtel dem sonst so schneidigen Burschen eine Anmutung von Dragqueen gibt, lächle ich in mich hinein. Dann auch noch das, der diensthabende Militärpolizist trägt den Pistolenschaft wie ein Strumpfband um den Oberschenkel gebunden! Mir fällt auf, dass es durchweg Russen waren, welche vor 95 Jahren die neoklassizistischen Amtsgebäude für das Königreich Jugoslawien entworfen haben. Nikolai Petrowitsch Krasnow, Wassili Fjodorowitsch Baumgarten, ich schreibe die Namen auf. Das führt zur Aufnahme meiner Personaldaten durch den sehr höflichen Militärpolizisten und eine sehr nette Kollegin. Dass ein Russe ihren Generalstab gebaut hat, das haben sie selbst nicht gewusst.

In dieser Nacht sehe ich noch ein wenig mehr: etwa den Shop der „Gay Pride Belgrade 2022“ mit selbstironischen Tassen oder Zar Nikolaus II., der von seiner Statue verkündet: „Alle meine Bemühungen werden auf die Bewahrung von Serbiens Würde gerichtet sein.“ Vor dem Parlament ist ein kleines Protestcamp aufgeschlagen, das sich „Provisorisches Parlament eines würdigen Volkes Serbiens“ nennt. Kurz vor Mitternacht sitze ich an der Bushaltestelle, betört vom Duft einer rosaflanelligen Belgraderin, die Sprachnachrichten in ihr Telefon säuselt, und beobachte das Camp. Die Mode und Gebärden der Aktivisten, das allgegenwärtige Beharren auf dem Begriff Würde, all das erinnert mich an eine andere europäische Hauptstadt. Ich meine nicht Moskau.

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