Wer ist hier eigentlich ohne Empathie?

Aktivismus Die Schwedin Greta Thunberg hat Asperger und ist das Idol der Klimabewegung. Für beides schlägt ihr im Netz Hass entgegen
Ausgabe 05/2019
Greta Thunberg konfrontiert Politiker und Wirtschaftsbosse furchtlos mit ihrer Furcht vor den Folgen des Klimawandels
Greta Thunberg konfrontiert Politiker und Wirtschaftsbosse furchtlos mit ihrer Furcht vor den Folgen des Klimawandels

Foto: Maja Hitij/Getty Images

Jede Generation hat ihre eigenen Idole. Die Schwedin Greta Thunberg ist durch ihren Auftritt beim UN-Klimagipfel weltweit bekannt geworden. Kürzlich hat sie die Manager und Politiker beim Weltwirtschaftsforum adressiert: „Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.“ Seit dem Hitzesommer protestiert sie jeden Freitag vor Schwedens Parlament für die Einhaltung der Klimaziele. Ihre Reden werden im Netz zigfach geteilt, man kann aber auch beobachten, wie ihr auf Twitter und in den sozialen Netzwerken Attribute wie „verhaltensgestört“ und „geisteskrank“ verpasst werden.

Jeden Anstand verliert hier natürlich nicht die Jugend, zu deren Identifikationsfigur sie geworden ist, sondern die „Klimaskeptiker“. Sie versuchen ihre berühmteste Protagonistin zu diskreditieren und beschränken sich dabei nicht auf die Kritik, dass Greta Thunberg von Umweltaktivisten und den Eltern „instrumentalisiert“ werde. Nein, abstoßend ist ihre Strategie, die Angst vor den Folgen des Klimawandels zu pathologisieren. Bei Greta Thunberg wurde das Asperger-Syndrom diagnostiziert, das hat sie selbst auf Twitter öffentlich gemacht. Es gilt als milde Variante des Autismus. „Hätte ich kein Asperger und wäre ich nicht so merkwürdig, dann hätte ich mich wohl auch in den sozialen Netzwerken verfangen, nach denen alle so verrückt zu sein scheinen. Ich sehe die Welt aber anders und glaube, dass ich sonst nicht in der Lage wäre, von außen auf das Problem zu schauen“, hat Thunberg in einer Talkshow gesagt. Man kann also hoffen, dass der Hass, der sich gerade im Netz gegen sie formiert, nicht bei ihr verfängt.

Besonderheiten in der Wahrnehmungsverarbeitung, so beschreibt auch die Wissenschaft das Asperger-Syndrom – die Vorliebe für Logik, klare Regeln und Strukturen –, spielen ebenfalls eine Rolle. Während einige von uns bei Autismus an das Hollywood-Drama Rain Man denken, wird den streikenden Schülerinnen und Schülern, die sich von Thunberg inspirieren lassen haben, eher der geniale Physiker Sheldon Cooper aus der US-amerikanischen Serie Big Bang Theory präsent sein. Selbst die Sesamstraße hat in den USA eine autistische Protagonistin.

Wer so heftig pathologisiert, muss selbst eine Leiche im Keller haben

Man benötigt allerdings keine besondere Begabung, um zu erkennen, dass Politik und Wirtschaft das Bemühen um einen wirksamen Klimaschutz jahrelang ignoriert haben. Den Preis dafür werden die nachfolgenden Generationen zahlen, im globalen Süden früher als im globalen Norden. Zielgerichtet wendet sich Greta Thunberg an Politiker und Wirtschaftsbosse, die daran tatsächlich etwas ändern könnten.

Die Schüler, die gerade mehr Klimaschutz fordern, haben längst begriffen, dass die klimapolitische Leerstelle das Fehlen von verbindlichen Regeln ist. Für sie ist Greta Thunberg nicht trotz oder wegen des Asperger-Syndroms zum Vorbild geworden, sondern weil sie die Mächtigen der Welt furchtlos mit ihrer Furcht vor den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Dass Klimaskeptiker sie als Fall für den Psychiater bezeichnen, wirft ein grelles Licht auf diese selbt: Wer so heftig pathologisiert, muss schon eine Leiche im Keller haben. Anders gesagt: Der psychische „Widerstand“ (Freud) ist ein Indiz für das Maß der Verdrängung des Problems. Das Fehlen von Empathie, das früher mangels Wissens oft Autisten unterstellt wurde, muss man jenen attestieren, die gegen sämtliche klimapolitischen Maßnahmen Sturm laufen. Denn das Nichtwissenwollen ist ihre Agenda.

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