ARD – ich will ein Kind von dir. Das muss man erstmal hinkriegen, Radikalpluralisten würden von Heterogenität sprechen: Innert drei Wochen den Münchner Graf-Überschuss, den die durchs Abgeholtwerden dressierten Zuschauer zurückgehen lassen wie eine Diva das Essen, das auf der Karte steht. Dann die Kinder aus Erfurt, die zum ersten Mal einen Film von innen sehen und ganz überrascht sind, was es da alles gibt: Montage, Dialoge, Handlung.
Und nun Schimanski: Loverboy, der müde Gang ins Museum des eigenen Ruhms. Götz "Hör auf, Thanner, hör auf" George in seiner größten Rolle – still. Die Haare werden wie bei Acker nicht gefärbt, und ansonsten wird brav jeder Moment von früher wieder hervorgekramt, weil irgendjemand unter den Verantwortlichen (Redaktion: Götz Schmedes, Regie: Kaspar Heidelbach, Buch: Jürgen Werner) in einem rumstehenden Lexikon bei S wie Selbstreferentialität hängen geblieben ist: Wenn wir den Schimanski, dann, wenn der Fall losgeht, so eine Kiste mit mehreren (mindestens 2) Parkas wühlen ließen, das wäre doch lustig, weil er die doch früher immer getragen hat. Oder wenn da jemand Möbel aus dem Fenster schmisse wie früher einer den Fernseher. Oder wenn Schimanski mal "Scheiße" sagte wie früher.
Aufmerksame Zuschauer haben spätestens hier realisiert, dass wir im 1A-Bauerntheater sind. Jede Emotion wird so dick rausgestrichen, dass jeder, der in die Küche zum Bierholen geht, sie noch mitbekommt. Klassikerszene etwa bei dieser – Schimanski ist just another word for Action! – Verfolgungsjagd in Rotterdam, wo die Brücke sich hebt, Schimanski in seinem – früher – Citroen angerauscht kommt, die Brücke sich gehoben haben müsste, weil's Action in einem deutschen Fernsehfilm ist, aber noch wartet, bis Schimanskis Citroen durch ist, damit die Brücke sich dann richtig heben kann, und dann, das ist der Klassiker, die Bösewichte so enttäuscht-verflucht Enttäuschung spielen mit Fluchen: Och, Menno.
SEX, SEX, SEX, SEX
Wen diese schauspielerische Glanzdarstellung noch nicht zu Ende beeindruckt hat, der würde vielleicht Anna Loosens Spiel als engagierte Mutter für den nächsten Sonstwas-Preis vorschlagen: Sitzt im Auto vor einem verdächtigen Spot in Rotterdam – an dem, damit Oma Krause, die es an den Augen hat, das mitbekommt, viermal groß "Sex" steht, weil das bei Undergroundpuffs ja so üblich ist, man muss am Markt präsent sein, Werbung ist alles – und guckt natürlich ganz angestrengt weg, damit sie dann überrascht aufschauen kann, wenn die eigene Tochter paralysiert vorgeführt wird.
Aaaarrrgh! Man sollte Kaspar Heidelbach alle in Deutschland verfügbaren Regie-Auszeichnungen zukommen lassen, das ist wirklich die ganz feine Klinge. Alternativ könnte man sich auch für Schimanskis alten Schwitzkastengriff begeistern oder den Gesichtsausdruck des Mädchens beim unfreiwilligen Analverkehr – das ist, zumal zur Prime Time, noch nie so einfühlsam und subtil dargestellt worden.
Kurz: Es ist traurig, aber man kann sich dran gewöhnen – das Credo des deutschen Fernsehens. Während später in Sat.1 noch die Post abgeht, keine Gefangenen gemacht werden, bringt Schimanski dem Zuschauer die Geschichte wie der Bufdi Oma Krause des Essen: Warm, breiig und vor die Nase, damit's mit den Dritten beim Kauen keine Probleme gibt.
Zombies in Rotterdam
Das "Thema" ist sehr gut herausgearbeitet, würde der Deutschlehrer unter den Erörterungsaufsatz schreiben. Es geht also um Loverboys, die Mädchen abhängig machen mit Liebe, um sie dann auf den Strich zu schicken. Wissenswerte Statistiken können eingesprochen werden: "Hier im Ruhrgebiet wächst die Loverboyszene ständig." Weil aus irgendwelchen Gründen nicht gezeigt werden kann, wie das ist, wenn ein Mädchen sich in einen älteren Mann hoffnungslos verliebt, wenn Gefühle am Start sind, die manipuliert werden können, müssen die Girlz die ganze Zeit wie Zombies durch den Film laufen, am Ende aber doch nicht nach Hause können.
Man fragt sich doch auch mal, warum Götz George, der das hohe Idiom der deutschen Bühne von a l'époque auf banalste Auskünfte wie "die schöhönen, alten Möhöbel unten auf der Straße" anzuwenden weiß, nicht einfach seine Tage auf Sardinien genießt, statt durch solche Geschichten zu spazieren, die, wenn sie groß sind, mal ein krasser Film werden wollen.
Seufz.
Gegenwartsdiagnosen, die Eindruck machen: "Ja , die Kids können gemein sein, vor allem im Netz"
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: "Es war doch okay für dich"
Kommentare 20
: Innert drei Wochen den Münchner Graf-Überschuss, den die durchs Abgeholtwerden dressierten Zuschauer zurückgehen lassen wie eine Diva das Essen, das auf der Karte steht. Dann die Kinder aus Erfurt, die zum ersten Mal einen Film von innen sehen und ganz überrascht sind, was es da alles gibt: Montage, Dialoge, Handlung.
Herr Dell, Sie verrennen sich. Beschimpfen Sie mal nicht den Zuschauer als Diva, weil der den Graf nicht so richtig heiß fand. Dessen Kultur-Mission war mir nicht so einsichtig. Tatort-Experimente in allen Ehren, aber wenn sie fehlgehen, muss man nicht dauernd den kulturellen Niedergang beweinen.
Und lassen Sie den Quatsch mit "Oma Krause". Echt Mist. Der Schimanski-Krimi war nicht so toll, aber Ihr Beitrag auch nicht. Schön wäre es, wenn es möglich wäre, diese Ironie des Älter werdens und nicht Aufhörenkönnens" ein bisschen pfiffiger umzusetzen. Dafür aber geht Schimanski nicht, der sagt zwar immer von sich "alter Sack", aber am liebsten würde er sich noch dran kratzen. Für solche Ironien geht eigentlich nur "Miss Marple".
Zu Erfurt noch hier ein Link. ich kann ja auch andauernd nicht aufhören.
https://www.freitag.de/autoren/magda/saure-gurke-fuer-kalter-engel
Ob es wohl ausreicht, Dells Kritik zu lesen?
Um zu wissen, wie er so war, der Tatort.
Um ihn dann nicht erst sehen zu müssen, weil man ja das Wichtigste hier lesen kann?
Tatort sehen ist so etwas wie Tradition ...??
Fester Termin am Sonntagabend?
Ich mag George. Als Schauspieler. Früher als Schimmi. Ja.
Diesen Tatort habe ich noch nicht gesehen, ich fürchtete mich vor einem Mann, der Mitte 70, den Schimmi geben muss.
Denn das(sic!) ist es für mich:
nicht: nicht aufhören können;
sondern weiter machen müssen.
Das, was ich heute beim Reinzappen kurz sah, war ein
sehr alt gewordener Chiem van Houweninge, ...
... den mag ich, sehr.
Ja. Er ist was er ist, wie er ist. Unabhängig vom Alter.
gleiche Kategorie wie Schimmi. Scheiße.
wie immer die richtigen worte. schimi geh heim und bring ne blueraykollektion zum in der vergangenheit schwelgen raus!
liebe magda. sie haben einen punkt mit der gefahr des verrennens, es macht einen unfeinen zug um den mund, wenn man immer übers gleiche jammert. andererseits will auch mir das schicksal des fernsehkritikers ersparen, der allein gelassen mit diesem deutschen fernsehen irgendwann stockholm-syndrom kriegt, weil er nicht nur mies drauf sein will bei der arbeit. gebe auch zu, dass die lust am text diesmal eher so mellow war, draußen scheint die sonne und an guten büchern ist auch kein mangel. es bleibt aber dennoch traurig, dass selbst was solides, ambitionsloses erzählt wird als wäre man begriffsstutzig. ich kann mir nicht vorstellen, dass nina kronjäger von denen sätzen überzeugt ist, die sie da sagt.
was die gurke angeht: my point.
my dear, weil respekt doch unsere aufgabe bleibt, würde ich dringend davon abraten, andere kommentatoren als "doof" zu beschimpfen. sonst müssen wir sie am ende noch bei der welt.de oder spiegel-online auswildern. ihre schimmi-sentimentalität ist ihnen freilich unbenommen
"Wieso anal? War das so ersichtlich?"
ist richtig, wird geändert
"Die Tatorte sind unperönlich geworden. Das wird wohl das Problem sein. Der Polizeiruf 110 schafft das noch, weil er Geschichten für seine Kommisare erfindet." hier wär ich vorsichtig, so wie sie argumentieren, macht das keinen sinn in meinen augen, eine verfallsgeschichte müsste man anders erzählen, ich sehe dafür aber auch keinen richtigen anlass. und der polizeiruf ist doch das gleiche wie der tatort bloß mit anderem vorspann. was sie meinen, sind münchen und rostock, wo sich bei den verantwortlichen redakteuren mehr mühe gegeben wird. aber branden- oder magdeburg sind doch genauso druff wie der tatort (zu dem die schimanski-reihe ja nicht gehört)
"wenn ganz Deutschland mit dir schimpft, ich nicht."
das ist sehr freundlich, grundgütiger. nun mag unser freund rené artois ein großer seiner zunft sein - ganz deutschland ist er aber nicht
Darf ich mal ganz grundzipiell die Frage stellen warum (zum Geier) der Tatort im Freitag jeden Sonntag so ein Riesenthema ist? Jede Woche ein Whodunnit alter Schule, was erwartet ihr denn? Das Format ist alt und sehr begrenzt in seinen Möglichkeiten, hier wird es oft debattiert als ginge es um das Schicksal des Abendlandes. Macht doch was man früher machte: Geht sonntagabends in ne olle Eckkneipe und streitet mithilfe von ein paar Pils mit unbekannten Suffköppen über den Tatort. Mehr Aufmerksamkeit hat es nicht verdient, das "Schlachtross der Öffentlich-rechtlichen".
wollen sie eine antwort oder ist ihre frage nur rhetorisches vorspiel für ihre meinungsäußerung?
Die Tatorte sind unpersönlich geworden. Das wird wohl das Problem sein.
Diskret gesagt! Vulgo: Sie sind einfach nur noch Sche.ße und zwar durchweg.
Tatort war einmal. Es hat eben alles seine Zeit.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Wieso so unduldsam? Es stand Schimanski drauf und es war Schimanski drin. Eine Weiterentwicklung hats nicht gegeben.
Aber wie sagte letztens ein "Zeit"-Blogger über Motörhead Lemmy Kilmister: Weiterentwicklung ist was für Weicheier, die kein Whisky zum Frühstück vertragen.
Ich hab den Abend mit einem Arnold-Schwarzenegger-Film abgerundet (Last Stand). Für Terminatoren und Predatoren reichts dann doch nicht mehr , aber so einer lausigen Drogen-Boss verspeist Arnie immer noch zum Frühstück.
Ich habe mich gegen Ende ein wenig ins beinahe feindselige hineinvergalloppiert, das war nicht besonders hilfreich, tut mir leid. Ich würde tatsächlich gerne eine Antwort hören/lesen. Der Tatort ist im Freitag (online) fast so präsent wie auf anderen Portalen der Fußball, ich verstehe es schlicht nicht. Ich habe in meinem Leben vielleicht 10 Tatorte gesehen und abgesehen davon dass manche, gerade auch die alten Duisburg-Tatorte, mich bisweilen gut unterhalten haben, ist mir das "Kult"-Phänomen, das allwöchentliche "TV-Ereignis" Tatort immer ein Rätsel geblieben. Und Fanboybekenntnisse haben da auch nicht geholfen.
fast. sie haben einen guten schnüffler, liegen aber leider daneben: die dellsche abscheu resultiert allein aus dem umstand, dass dell einen schnauzer trägt und neidisch auf schimmis schnauzer ist, der prächtiger ausfällt.
erstens kann man online sachen ja aus dem weg gehen (wobei sie vermutlich stört, dass der tatort eben in der bilderschau da oben auftaucht). zweitens kann man sich über den tatort prima unterhalten, weil viele menschen den gesehen haben - das ist bei dem neuen woody-allen-film oder der letzten anselm-reyle-ausstellung viel schwieriger. und drittens heißt über den tatort zu reden ja nicht, ihn zu affirmieren. im gegenteil, meistens ist der tatort genauso schlecht wie der gewöhnliche deutsche (fernseh)film. aber das, was erzählt wird und wie es erzählt wird, sagt eben auch etwas über den, mal pathetisch gesprochen, wertehaushalt des wirs dieses landes.
Wertehaushalt des Wirs, das klingt gut! ;) Ich glaube nicht daran dass der Tatort das leistet, dafür sind dessen Filter viel zu feinmaschig und selektiv. Vielleicht ist aber auch das Problem für mich dabei dass das "Wir dieses Landes" mir zu konstruiert ist. Die kommende Große Koalition möchte uns das auch vorgau(c)keln: Das riesengroße Wir der 80%-Mehrheit. Klar, es hilft immer die Dinge zu verstehen, indem man sie vereinfacht, das mache ich auch saugern, for the sake of argument. Die gleiche Werthaushalt-des-Wir-Schablone ließe sich auch auf die Bundesliga legen. Dort wäre sie genauso falsch. Ich glaube schon dass beide Unterhaltungsangebote Potential für soziologische Debatten bergen. Aber für den Wertehaushalt des Wir in Deutschland taugt (mir) der olle Tatort nicht. ;)
"Aber für den Wertehaushalt des Wir in Deutschland taugt (mir) der olle Tatort nicht."
Wieso? Alles Populäre taugt, den Wertehaushalt der Gesellschaft zum Diskussionsgegenstand zu machen. Sonst endet man in Adorno'scher Denkweise, der vor lauter Abscheu gegenüber dem, was breiten Massen zusagte, sich die Differenzierung versagte. Die Position des Madigmachens ist nicht immer die sensibelste Art, am Gegenstand Kritik zu üben.
Selbst wenn 10 Millionen Tatort sehen, sind die anderen 70 Millionen nicht interessiert. Über den Wertehaushalt des Zuschauers sagt das nichts aus. Etwas von Wert wird dann von einem erheblichen Teil der Zuschauer woanders gesucht: Gebt uns was wir wollen zu "Qualitätsfernsehen im Internet" schreibt Harald Staun ind der FAZ "11.11.2013 - Der amerikanische Streamingdienst Netflix beweist, dass erfolgreiches Fernsehen nicht im Mittelmaß enden muss. Wenn ARD und ZDF das nicht begreifen, ist das bald ihr Problem."
Klaudia Wicke ist der Meinung, der Fernsehzuschauer stellt nicht ständig hohe Ansprüche, die Qualität des ÖR-Fernsehen sei gut, aber Fernsehen sei zu einem "Restzeitmedium" geworden, Aufmerksamkeit wird bei einem zunehmenden Teil der Zuschauer darauf nicht abgestellt, Fernsehen ist auf dem absteigenden Ast in der Aufmerksamkeitsökonomie. Ihre Prognose des Qualitätsfernsehens ist dennoch nicht negativ, es muss ja nicht noch schlechter werden, es kann auch besser werden. Konsequent spricht sie daher von einer "Publikumskrise", eine Programmkrise kann sie nicht erkennen.
Ich finde daher eine Darstellung der Sichtweisen jeder Kritik potentiell wertvoll, wobei ich tatsächlich auch den Tatort allein für relativ ungeeignet halte.
Dominik Graf hat durchaus mehr Spielraum für den Diskurs eröffnet, als hätte er gewusst, dass für eine Milliarde Beutekunst in München auftaucht, kurz nach der Sendung.
Dagegen ist der Stoff bei dem MDR-Tatort für den Kritiker bemitleidenswert und eine Kritik krankt auch daran. Da gibt's junge Leute die haun' sich Pillen rein, echt. Der eine säuft der andere kifft. Welcome to the club. Genau diese Wohlfühlgemeinschaft des TV-Konsumenten und deren Kritiker haben die Kritikerfrauen mit ihrer sauren Gurke bewertet.
Zombie, ja das ist der richtige Ausdruck. Obwohl dem Pedant Grorge wird der nicht gefallen.