Lieber Joachim Lottmann

Einspruch Wir haben den Schriftsteller Joachim Lottmann gebeten, über Gratismuts nachzudenken. Unser Kulturchef hielt es für seine Pflicht, ihm direkt zu widersprechen
Ausgabe 52/2014

vielen Dank für Ihren Artikel. Ich möchte ihn aber nicht drucken lassen, ohne mein Unbehagen zu artikulieren. Beginnen wir, mit Ihren Worten, beim leichten Teil der Übung, dem Kampf gegen die Political Correctness. Sie erwähnen die Anzeige wegen Volksverhetzung gegen Horst Seehofer, der von einer „massenhaften Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ gesprochen hat. Auch ich finde eine solche Anzeige nicht besonders mutig. Was mich an Ihrer Darstellung aber stört: dass mit der Kritik an der Form auch das Motiv zweifelhaft scheint. Wollen Sie sagen, dass Seehofer recht hat?

Aber dann sagen Sie das bitte auch, und dann kann man offen über Nutzen und Missbrauch unseres Sozialsystems diskutieren. Sagen Sie es nicht, gleitet man in die Atmosphäre des Ressentiments, in die Man-darf-es-ja-nicht-sagen-und-darum-sage-ich-es-jetzt-erst-recht-Welt.

Dann der Klassiker, Bob Geldof. Ich muss sagen, dass mich die Kritik an seinem Band-Aid-Projekt langweilt. Ich empfinde sie nicht weniger gratismutig als die Aktion selbst. Und ich kenne keinen, der ihr nicht zustimmen würde. Aber das ist lässlich, denn der erste Teil Ihres Artikels dient ja der Vorbereitung auf den zweiten. Gratismut und Islam. Sie leiten ihn wie folgt ein:

„Dass es mutig ist, öffentlich gegen populistische Islamophobie aufzutreten, steht außer Frage.“ Es wird rasch klar, dass dieser Satz zynisch gemeint ist. Sie finden es nicht mutig, gegen Islamophobie aufzutreten, und vermutlich haben Sie sogar recht, es ist vielleicht einfach nur geboten. Mutig finden Sie es, seine Stimme gegen den Islam und sein Frauenbild zu erheben, aber das macht kaum jemand und mit Ausnahme von Alice Schwarzer gleich gar keine Feministin.

Ja, es ist auch mein Eindruck, dass die Frauenbewegung den Islam weitgehend umfährt. Sei es aus Feigheit oder aus ideologischer Blindheit oder aus einer Mischung aus beidem. Und ja, es gibt da ein Problem; der Islam scheint, freundlich ausgedrückt, in Sachen Frauenrechte nicht gerade State of the Art zu sein. Bei Ihnen klingt das so, lassen Sie mich einen längeren Passus zitieren: „Je schlimmer die sogenannten Gotteskrieger wüten, je mehr Zulauf sie haben, je allumfassender die islamistische Unterwanderung in Moscheen, islamischen Schulen, Kindergärten, Freizeiteinrichtungen wird, desto mutiger ist es, auf den friedlichen Charakter des Islam hinzuweisen. Islamophobie darf es in unserer Gesellschaft nicht geben, selbst wenn Hunderte Millionen muslimischer Frauen wie rechtlose Tiere in ihren Häusern eingesperrt werden. Und auch nicht, wenn diese Versklavungstechniken zunehmend auch in Deutschland Platz greifen. Nein, da haben wir unsere couragieren Moralapostel, die in den Medien den Gratismut abliefern. Aber wie halten Sie es privat? Was sagen Sie Ihrer Frau, Ihren Töchtern, wenn Sie sich vor der überhandnehmenden männlichen Gewalt zu fürchten beginnen?“

Ja, was sagen Sie (falls Sie nicht gerade selbst die Frau sind)? Hoffentlich das Richtige. Dass das nicht hinnehmbar ist. Mich stört aber der Ton in dieser Passage, mehr noch, ich halte ihn für verdächtig. Formulierungen wie „je schlimmer, je mehr, je allumfassender“, „zunehmend“ scheinen herbeizusehnen, was es doch fürchtet. Die Psychoanalyse spricht hier von Angstlust. Sie verstellt den klaren Blick.

Denn stimmt die behauptete Dramatik überhaupt? Können wir nicht gerade einen Bewusstseinswandel in unserer Gesellschaft beobachten? Noch fehlt die Sprache, und man darf hoffen, dass die Pegida-Demonstrationen nicht das letzte Wort haben. Sie selbst, lieber Herr Lottmann, erkennen ja, dass etwas geschieht, und Sie machen es am Tod von Frau Albayrak und den Reaktionen in den Medien fest. Kronzeugin ist Iris Radisch von der Zeit, die „schreibt, dass Tuğçe keine klassische vereinzelte Opferfrau war (...) Sie starb nicht, weil einem Imam danach zumute war, sondern weil sie stark und modern war. Viele Frauen übersetzen das so: Sie wurde getötet, weil sie wie wir war!“

Hoffen wir, dass das die Richtung angibt. Da bin ich bei Ihnen. Aber um dahin zu kommen, möchte ich nicht durch das Tal der PC-Kritik und Pirinçci-Pirouetten gehen müssen.

Ich freue mich auf Ihre Antwort, freundliche Grüße,
Michael Angele

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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