Versuch einer Definition: Der Kulturbetrieb ist die Summe seiner Vernetzungen (und wenn jetzt jemand gelesen hat: die Summe seiner Verletzungen, liegt er auch nicht falsch). Der Vernetzungszwang bringt es mit sich, dass der Kulturbetriebsmensch der Gefahr ausgesetzt ist, sich korrumpieren zu lassen, sei es als Kritiker, als Jurymitglied, als Beirat oder einfach als Mann oder Frau von Einfluss. Bereicherung droht erst mal weniger als Begünstigung, auf die eine Bereicherung folgen kann, wenn der Gegendienst vollzogen ist. Die Frage ist: Ist sich der Kulturmensch dieser abstrakten Gefahr bewusst? Sicher, er ist ja nicht blöd. Wie begegnet er ihr?
Schauen wir genauer hin: Im Kulturbetrieb kennt nicht nur tendenziell jeder jeden, in ihm fallen auch strategisches Handeln und die Sprache des Herzens zusammen. Dafür steht die Grußformel „Mein Lieber! Schön dich zu sehen“, die zwar keine enge Freundschaft signalisiert, aber doch eine Verbundenheit, die über das Geschäftliche weit hinausgeht. Das hilft, wenn Stipendien oder Preise vergeben werden müssen, ohne dass es klare Regeln gibt. So kann exakt der oder die mit Steuergeld beglückt werden, der oder die das Geld braucht (der Betrieb ist eine prekäre Sache) und die Unterstützung auch verdient hat, denn sein oder ihr Talent ist groß. Wäre es anders, wäre man mit dieser Person ja nicht so gut wie befreundet.
Vertrauensvorschuss
Das scheinbaremanus manum lavat ist in Wahrheit also Ausdruck einer Meritokratie: Erfolg hat der, der es verdient. Wie sehr der Betrieb an diese Formel glaubt, sieht man im Blurb, dem Empfehlungszitat: Man wirbt für das Buch eines Freundes, meist ohne es schon gelesen zu haben. Ein enormer Vertrauensvorschuss. Eine zeitgemäße Form von Blurb gab es jüngst für den Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre durch 70 prominente Akteure aus Literatur, Musik, Theater, Medien. Hier ging es nicht nur um eine positive Verschwörung der Liebsten, die Tat erfolgt auch im sicheren Gefühl, einer guten Sache zu dienen, der hochwertigen Beschäftigung mit „Machtmechanismen“. Außerdem zählt Stuckrad-Barre zu den Coolen. Wer cool ist, kann sich gar nicht korrumpieren lassen.
Gibt es denn überhaupt so etwas wie das, was wir in anderen Bereichen der Gesellschaft Korruption nennen? Eigentlich nicht. Was es gibt, ist ein neurotisches Aufbegehren gegen den Betrieb. Einen Kampf gegen die Schimären der Macht. Diese Donquichotterie wird natürlich von den Schwachen geführt, es ist ihre „Sklavenmoral“ (Nietzsche).
Pathologie des Kulturbetriebs
Ein Beispiel: Ich spiele Fußball in der „Autorennationalmannschaft“. Sie besteht aus Mitgliedern des Kulturbetriebs, die Bücher veröffentlichen, und in meinem Fall gelegentlich auch Kritiken über Bücher. Ich bin kein Leistungsträger, froh für jedes anerkennende Wort nach einem halbwegs gelungenen Zuspiel. Diese Schwäche machte mich anfällig, das Lob durch Dienste abseits des Platzes zu begünstigen. Die Abwehr dagegen: Ich habe einige Werke, die mir in der Kabine wie beiläufig zugesteckt wurden, unrezensiert gelassen, obschon ich wusste, dass sie gut waren. Krank.
Trost spendet, dass es in der Geschichte der Pathologie des Kulturbetriebs schon ganz andere Hausnummern gab. Ich denke an Marcel Reich-Ranicki und seine Bereitschaft zum Verrat, wenn es ihm, wie im Fall von Günter Grass, nötig schien. Verständlicherweise wurde es von Grass als zutiefst illoyal empfunden, dass Reich-Ranicki nicht Manns genug war, die Freundschaft („Mein Lieber!“ Wie oft hatte er es nicht gesagt?) über den Verriss zu stellen. Wird solches Verhalten heute in den Studiengängen zum Kulturmanagment gelernt? Zum Glück nicht.
Schwerpunkt: Korruption
Nach der schwarzen lernen wir nun die grüne Vetternwirtschaft in der Politik kennen. Aber es gibt Systeme der Begünstigung auch in Bereichen, deren Akteure sie gar nicht als solche sehen – etwa an Universitäten, im Feminismus, in den Medien und im Kulturbetrieb
Inhalt
Grüner Filz: Was Robert Habeck in Wahrheit angerichtet hat
Von Stephan Hebel
Die Clanwirtschaft an den deutschen Hochschulen
Von Markus Steinmayr
Zusammenhalt durch Ausschluss: Machtkämpfe im Feminismus
Von Marlen Hobrack
Warum Medien wie umgedrehte Türsteher funktionieren
Von Wolfgang Michal
„Mein Lieber!“ Warum es im Kulturbetrieb in Wahrheit keinen Filz gibt
Von Michael Angele
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