Der Wüterich

Erdoğan Die Reaktion von Staatspräsidenten Erdogan auf die Armenien-Resolution offenbart seinen Rassismus. Damit begibt er sich in ungute Gesellschaft
Ausgabe 23/2016
Erdoğan hat sich mit seinen Äußerungen auf Hitlers Niveau begeben
Erdoğan hat sich mit seinen Äußerungen auf Hitlers Niveau begeben

Foto: Adem Altan/AFP/Getty Images

Von der Reaktion des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf die Armenien-Resolution des Bundestages wird meist nur die Frage zitiert, „was das für Türken sind“, die an der Abstimmung beteiligt waren, und dass „für sie alle ein Bluttest erforderlich“ sei. Da könnte man noch denken, das Türkenblut sei bloß eine Metapher gewesen, dumm genug, aber nicht unbedingt verdächtig, pflegen doch auch deutsche Zeitungen vom deutschen Blut zu sprechen, das in den Adern des britischen Königshauses fließe. Erdoğan fügte im Übrigen hinzu, ihn interessiere das Ergebnis gar nicht, sondern wie und in wessen Namen diese Abgeordneten handelten.

Schon vorher hatte er allerdings den „elf Türken“ im Bundestag bescheinigt, sie hätten nichts mit dem „Türkentum“ gemein, denn: „Ihr Blut ist schließlich verdorben.“ Und hier kann an Erdoğans Rassismus nicht mehr gezweifelt werden. Die ganze rassistische Struktur kommt da ans Licht: Es geht nicht so sehr darum, am Blut die Rassenzugehörigkeit zu ermitteln, als vor der Rassenvermischung zu warnen, die als Blutsvermischung erscheint. Diese hatten die Nazis als „Rassenschande“ angeprangert. In Hitlers Mein Kampf liest man: „Das dadurch bedingte Senken des Rassenniveaus ist die alleinige Ursache des Absterbens alter Kulturen; denn die Menschen gehen nicht an verlorenen Kriegen zugrunde, sondern am Verlust jener Widerstandskraft, die nur dem reinen Blute zu eigen ist.“ Man muss leider sagen: Erdoğan hat sich mit seinen Äußerungen auf Hitlers Niveau begeben.

Dagegen muss sich Angela Merkel öffentlich verwahren, wie es etwa der türkischstämmige Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu fordert. Dass es ein schwerer Fehler der Kanzlerin war, das Strafverfahren gegen den Satiriker Jan Böhmermann möglich zu machen, wird jetzt immer deutlicher. Das Sprichwort hätte sie warnen sollen: Wer einem Wüterich den kleinen Finger reicht, verliert leicht die ganze Hand. Wir warten auch deshalb auf Merkels „So nicht“, weil sie es offenbar auch der eigenen Klientel zurufen müsste. Die konservative FAZ antwortet beispielsweise merkwürdig auf Erdoğans Rassismus. Sie weist ihn zwar als „Hetze“ zurück, schreibt aber auch, jetzt würden „hoffentlich die verbliebenen Anhänger einer ungebremsten Einwanderung sowie einer leichtfertigen Verleihung einer am besten gleich mehrfachen Staatsangehörigkeit endlich wach“. Es soll am besten keine türkische und deutsche, also doppelte Staatsangehörigkeit geben? Das heißt, wir Deutschen sollen uns ebenso wie Erdogan gegen die „Vermischung“ aussprechen?

Der FAZ-Kommentar will das zwar nicht im Sinne von „Erdogans Blutsbildern“, sondern „zutiefst republikanisch“ verstanden wissen. Aber trotzdem ist das eine fatale Reaktion. Da wird eine Angst sichtbar, die der rassistischen Angst durchaus ähnelt. Wenn ich mich, sagt sie, dem Kontakt mit dem anderen aussetze, verliere ich, und der andere gewinnt. Aber sind denn die Blutsbilder stärker als das „zutiefst Republikanische“? Nein, sie sind schwächer. Die Union war immer die ängstlichste Partei. Im Kalten Krieg glaubte sie, Diskussionen mit Sowjetkommunisten führten fast zwangsläufig zur Konversion. Dahinter stand das medizinische Modell der „Ansteckung“. Sie hat einen langen Weg zurückgelegt und denkt heute viel rationaler. Aber ganz im Rationalen angekommen scheint die Union noch nicht. Sollte ihr Merkel ein Stück voraus sein, müsste sie Erdoğans Angst vor der Vermischung mit dem Bekenntnis zur deutschen doppelten Staatsbürgerschaft beantworten.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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