Protestbewegung Sozialpolitisch wird es bald knallen. Gegen die halbherzige Politik der Bundesregierung braucht es dringend Protest von links, sonst übernehmen die Rechten das Feld. Doch die Linkspartei bleibt ohne Perspektive
Protest gegen die sozialpolitische Schieflage? Ja, bitte – aber nur ohne die AfD
Foto: Ronny Hartmann/AFP via Getty Images
Vielleicht bekommt es der Westen ja hin, vor dem Winter noch eine Verhandlungslösung zur Beendigung des Ukrainekriegs zu erreichen. Aber es sieht nicht danach aus. Irgendein Bemühen ist nicht zu erkennen, und wahrscheinlich gibt es auch keins. Es wird also zu wenig Gaswärme in Deutschland geben, viele Menschen werden überhöhte Heizungspreise zahlen und trotzdem noch frieren müssen.
Es wird deshalb nicht gleich zum „Aufstand“ kommen, aber soziale Unruhen dürfen schon erwartet werden. Da stellt sich nun die Frage, die Sebastian Friedrich schon vor Wochen in dieser Zeitung aufgeworfen hat: Müsste sich nicht die Linkspartei an die Spitze solchen Protests stellen? Denn wenn sie das nicht tut, werden die Rechtsextremen es tun. Und dann die Folge
Linkspartei an die Spitze solchen Protests stellen? Denn wenn sie das nicht tut, werden die Rechtsextremen es tun. Und dann die Folgefrage: Wie soll denn verhindert werden, dass Rechtsextreme auf jeden Fall dabei sind und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, auch wenn es Linke sind, von denen etwa eine Demo angemeldet wird?Dieses Dilemma verweist auf grundsätzliche Probleme der Linkspartei. Rückblende 1968: Der damalige Protest linker Student:innen, und zunehmend auch von Arbeiter:innen – man denke an die wilden Streiks 1969 – stand nie in Gefahr, von Rechten unterwandert zu werden. Wie kommt das? Ein Grund ist sicher, dass das ganze politische Klima anders war als heute. Sogar sehr gemäßigt Linke und Rechte, wie nach 1969 Bundeskanzler Willy Brandt von der SPD und Oppositionsführer Rainer Barzel von der CDU/CSU, standen sich fast wie Feinde gegenüber. So sehr, dass Barzel Brandt zu stürzen versuchte. Undenkbar, dass in einer solchen Zeit etwa die NPD Neigung gehabt hätte, sich an von Rudi Dutschke angeführten Student:innen-Demos zu beteiligen.Der Zweite Weltkrieg war erst 25 Jahre her und in aller Politik wirkte noch die epochale Auseinandersetzung von Faschisten und Kommunisten nach. Aber ein anderer Grund war doch noch wichtiger, und er war sehr einfach: Der linke Protest hatte damals eine klare Perspektive, und es war im Grunde immer noch die kommunistische. Die rebellische Protestbewegung wollte die klassenlose Gesellschaft, wollte ein Ende des Kapitalismus. Dabei war die Sowjetunion für die allermeisten kein Vorbild, zumal nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Armeen des Warschauer Pakts.Keine Perspektive bei der LinksparteiWenn wir damit vergleichen, was die Linkspartei heute anbietet, so sehen wir – nichts. Keine gesellschaftspolitische Perspektive jedenfalls. Keine Alternative zum Kapitalismus, auch wenn der Antikapitalismus gern abstrakt beschworen wird. Natürlich gibt es Studienzirkel, die sich mit der Frage einer Alternative befassen, aber in der offiziellen Politik der Partei ist nichts davon zu spüren. Der offizielle Auftritt beinhaltet nichts weiter als Sozialpolitik, auch ökologische Politik. Wie sollen das Rechtsextreme nicht als Einladung zum Mitmischen auffassen? Wenigstens wenn es um Sozialpolitik geht, und darum wird es im Winter gehen, werden sie dabei sein, denn das betreiben sie ja selber.Vor ein paar Jahren unterhielt ich mich mit dem damaligen für Ökonomie zuständigen wissenschaftlichen Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Beim damals erbittert geführten Streit in der Fraktion um Sahra Wagenknechts Politik, einer angeblich von irgendwem geforderten vollständigen Öffnung der deutschen Grenzen für Wirtschaftsmigranten aus aller Welt zu widersprechen, stand er auf ihrer Seite.Doch als ich fragte, was er von Wagenknechts Büchern zur Wirtschaftspolitik halte, winkte er ab. In diesen Büchern war eine wenn auch ziemlich bescheidene ökonomische Perspektive über den derzeitigen Kapitalismus hinaus vorgestellt worden. Wagenknecht hatte die „soziale Marktwirtschaft“ eines Walter Eucken, der zu den Inspiratoren des Nachkriegswirtschaftsministers Ludwig Erhard gehörte, gelobt und in diesem Zusammenhang auch die damalige Verstaatlichungspolitik etwa der britischen Labourpartei. Mich selbst hatte das nicht befriedigt, es war mir noch zu viel DDR darin. Ich würde mir Antworten auf die Frage wünschen, was Vergesellschaftung im Unterschied zu Verstaatlichung wäre. Aber wie auch immer – mein Gesprächspartner antwortete schlicht, mit solchen Wirtschaftsbüchern wie denen von Wagenknecht könne man gar nichts anfangen, weil derlei Dinge in der wirklichen Politik keine Rolle spielten. Ich meinerseits fragte mich stumm, was man mit einer solchen Partei anfangen soll.Sozialpolitik unter Anerkennung des KapitalismusViele sagen, das Problem der Partei sei vielmehr, dass sie den Bezug zur Arbeiter:innenklasse verloren habe. Den müsse man wiederherstellen und das laufe eben auf Sozialpolitik hinaus – Sozialpolitik im Kapitalismus und faktisch unter vollständiger Anerkennung des Kapitalismus, da eben, trotz aller antikapitalistischen Phraseologie, keine Perspektive über ihn hinaus angeboten wird.Es stimmt natürlich: Zu einer Krise der Klassenpolitik, dazu, dass die AfD in ihr wildert, hätte es nicht kommen dürfen. Aber zeigt das nicht gerade, dass den protestbereiten Arbeiter:innen die Politik der Linkspartei nicht radikal genug war? Und wenn dann aus deren Reihen allenfalls so etwas wie „Arbeit für Deutsche“ kommt, das kann auch die AfD und kann es besser. Warum wird nicht eine andere Radikalität versucht, eben die einer konkreten Perspektive über den Kapitalismus hinaus?Man wundert sich auch über den Mangel einer Klassenpolitik auf der Straße, von der doch längst bekannt war, wie man sie auf die Beine stellt. Man kann Zeitungsfeste organisieren wie die legendären der l’Unità in Italien. Man kann gemeinsames Essen zu billigen oder gar keinen Preisen anbieten. Nichts dergleichen geschieht, es wäre aber als Antwort auf die Gaskrise im Winter und schon in deren Vorfeld sehr sinnvoll. Und nebenbei gesagt, man könnte dergleichen tun, ohne wieder die bessergestellten Mittelschichten zum Hauptfeind zu erklären, wie es manche getan haben. Selbst ein Stalin war klug genug, mit so einer absurden Antibündnispolitik zu brechen, und es hat sie auch in der späten internationalen Politik der Sowjetunion nicht mehr gegeben. Wem nützt ihre Renaissance? Fragen über Fragen. Aber so viel ist klar, auch Zeitungsfeste, auch gemeinsames Essen auf der Straße oder im Winterzelt müssten von einer Perspektive überwölbt sein. Man müsste von ihr in der Zeitung lesen können.
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