Grüne und Waffenlieferungen: Schutzweste Größe S

Debatte um Pazifismus Ist es falsch, wenn eine Partei mit pazifistischen Anfängen bereit ist, einem Land mit Waffen auszuhelfen, das von einer Supermacht überfallen wird? Warum die Kritik am Bellizismus von Annalena Baerbock und Co. übertrieben ist
Ausgabe 25/2022
Es war bezeichnend, als Annalena Baerbock der Satz in den Mund gelegt wurde, die Ukraine müsse in diesem Krieg den Sieg erringen. Tatsächlich hatte sie von einem „strategischen Sieg“ der Ukraine gesprochen
Es war bezeichnend, als Annalena Baerbock der Satz in den Mund gelegt wurde, die Ukraine müsse in diesem Krieg den Sieg erringen. Tatsächlich hatte sie von einem „strategischen Sieg“ der Ukraine gesprochen

Foto: Bernd von Jutrczenka/AFP/Getty Images

Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen. Es müssten jetzt endlich aktive Anstrengungen für eine Verhandlungslösung unternommen werden, damit das sinnlose Töten aufhört. Die Ankündigung des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg, dieser Krieg könne noch Jahre dauern, ist zynisch.

Ich finde aber auch den umgekehrten Standpunkt fatal, es hätte von Anfang an überhaupt keine militärische Hilfe für die Ukraine geben dürfen. Dieser Standpunkt, so meine ich, erschwert den Kampf gegen Stoltenbergs Linie in der NATO. Da sich absolute Waffenlieferungsgegner besonders über die Grünen zu ärgern pflegen, die als Kriegstreiber wahrgenommen werden, will ich hier fragen, was von diesem Ärger zu halten ist. Und will zuerst unterstreichen: Die Grünen haben den Willen einer Dreiviertelmehrheit der Bevölkerung, die Ukraine überhaupt mit Waffen zu unterstützen, nicht herbeigeführt. Wohl aber repräsentieren sie ihn.

Ist es falsch, wenn eine Partei mit pazifistischen Anfängen bereit ist, einem Land mit Waffen auszuhelfen, das von einer Supermacht überfallen wird? Der Pazifismus der Gründungsgrünen richtete sich gegen eine Aufrüstungsspirale der NATO und der damaligen Sowjetunion, die keinen konkreten Anlass hatte, aber auf beiden Seiten Nervosität schuf und zu einer Situation führte, wo ein Funken genügt hätte, den Weltbrand auszulösen. Kann man das denn mit einem militärischen Überfall vergleichen? Hätte die Ukraine etwa am besten getan, sich gegen den Überfall gar nicht zu verteidigen? Wird die Welt dadurch besser, dass Überfallene sich dem Aggressor ausliefern? Nein, sie würde zur Hölle. Es ist ein Hoffnungszeichen, dass sich die Vietnamesen einst gegen die Aggression der USA, und vorher schon Frankreichs, militärisch wehrten.

Die Strategie Russlands durchkreuzen

Der russische Krieg ist ein Völkerrechtsbruch und also ein Verbrechen. Allerdings muss jeder, der sich informiert, die Motivation der russischen Führung nachvollziehen können. Darum sollten sich auch die Grünen bemühen; sie tun es leider so wenig wie die meisten andern. Es ist aber nicht so, dass sie noch einseitiger urteilten als andere. Wahr ist, dass man sie gern zur Projektionsfläche macht. So war es bezeichnend, dass Annalena Baerbock, der Außenministerin, der Satz in den Mund gelegt wurde, die Ukraine müsse in diesem Krieg den Sieg erringen. Gleich stimmten Hardliner ein Geschrei an, sie wäre die bessere Bundeskanzlerin gewesen. Tatsächlich hatte sie aber von einem „strategischen Sieg“ der Ukraine gesprochen und damit zum Ausdruck gebracht, dass nicht aufgehen dürfe, was sie für die russische Strategie hält: die Ukraine komplett zu erobern. Der „strategische Sieg“ würde darin bestehen, diese Strategie zu durchkreuzen. (Ich halte ihre Einschätzung für abwegig.)

Die Führung der Grünen zur Zeit der NATO-Bomben auf Serbien 1999, das waren wirklich Kriegstreiber. Der grüne Außenminister Joschka Fischer stellte serbische Militär- und Polizeiaktionen in der serbischen Provinz Kosovo mit „Auschwitz“ auf eine Stufe. Dergleichen hört man von der heutigen grünen Führung nicht. Bei ihrem Moskau-Besuch kurz vor Kriegsbeginn hat Annalena Baerbock gesagt, Deutschland werde nie die Befreiung Deutschlands von der Naziherrschaft durch Russland vergessen. Olaf Scholz hat am Jahrestag der Befreiung ähnlich gesprochen.

Die Urteile, die Baerbock und andere Grüne über die Kriegsparteien äußern, sind zweifellos einseitig. Wer aber meint, der Ukraine hätten niemals Waffen übergeben werden dürfen, wird nichts richtigstellen können, sondern macht sich nur unglaubwürdig.

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen