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Korruption Masken-Affäre, Impfaufträge, Tempolimit: Die Lobbyvorfälle in der Union und ihre Gegenmaßnahmen sind zum Ritual geworden
Ausgabe 11/2021
Armin Laschet und Friedrich Merz kumpeln infektionsarm ab
Armin Laschet und Friedrich Merz kumpeln infektionsarm ab

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Es ist inzwischen ein Ritual geworden. „Jetzt endlich“, heißt es, finge die Union an, ihre Blockade wirkungsvoller Maßnahmen gegen den Missbrauch des Abgeordnetenmandats aufzugeben oder wenigstens zu lockern. Jetzt, nach der Masken-Affäre um Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU). Aber schon als 2020 der CDU-Politiker Philipp Amthor versuchte, sein Mandat in Vorteile für sein Unternehmen umzumünzen, wurde die Union nervös und unterstützte plötzlich ein Lobbyregister. Als nun die Masken-Affäre aufgedeckt worden war, kündigte die Unionsfraktion einen neuen „Verhaltenskodex“ an.

Aber tritt man den Missständen wirklich entgegen? Einen Gesetzentwurf zum Lobbyregister hatten Union und SPD schon im Herbst vorgelegt. Experten wiesen darauf hin, dass es solche Register auf EU-Ebene und in den USA schon gibt, ihre Wirkung aber begrenzt bleibt. Das ist deshalb der Fall, weil das „freie Mandat“ verfassungsrechtlich geschützt ist. Die Pflicht etwa, offenzulegen, wer sich wo mit wem getroffen hat und worüber gesprochen wurde, erscheint nicht verfassungsgemäß.

Ein paar strengere Regeln könnte man sich schon vorstellen. Nebentätigkeiten von Abgeordneten zu verbieten, ist zwar nicht möglich, weil es gegen die Berufsfreiheit verstieße; wenn es sich aber wie bei Amthor, Nüßlein und Löbel um unternehmerische Tätigkeiten handelt, kann verlangt werden, dass sie während der Mandatsausübung ruhen. Auch der Vorschlag des grünen Europaparlamentariers Daniel Freund verdient Beachtung: eine unabhängige Instanz einzurichten, die Fehlverhalten untersucht und Sanktionen ausspricht, statt dass sich die Parlamente selbst kontrollieren. Schon früher hat die Linke einen Bundesbeauftragten für politische Interessenvertretung gefordert, der das Lobbyregister führen würde. Es wäre auch denkbar, dass die unabhängige Instanz Einsicht in alle Finanztransaktionen von Abgeordneten erhält und dabei der Schweigepflicht unterliegt, solange es nicht zu Regelverstößen kommt.

Ob dergleichen je durchgesetzt werden kann, ist eine andere Frage. Denn vergessen wir nicht, in welcher Welt wir leben. Was wird Nüßlein und Löbel vorgeworfen? Sie haben, um Geschäfte zu machen, ihre politische Position ausgenutzt. So hat Löbel von seinem Bundestags-Mailkonto aus Verträge für Maskenlieferungen im Rahmen der Covid-19-Pandamie vermittelt und dafür 250.000 Euro Provision kassiert. Aber wenn wir das nicht korrekt finden, warum darf denn die CSU regelmäßig die Bundesverkehrsminister stellen, die in dieser Funktion dafür sorgen, dass die Macht der bayerischen Autoindustrie nicht beschnitten wird? Das ist mindestens ebenso fragwürdig. Zurzeit erleben wir Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt als pathetischen Kämpfer für jenen „Verhaltenskodex“. Aber noch Anfang 2020 hat die CSU eine bundesweite Kampagne gegen ein Tempolimit auf Autobahnen gestartet.

Und wenn der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet tönt, Nüßlein und Löbel hätten „Geschäfte gemacht mit dem Schutz von Menschen in der Krise“, wer macht denn keine Geschäfte damit? Die Impfindustrie? Für den Staat im Kapitalismus ist die Pandemie gefährlich; er muss an Dinge rühren, über die sonst tunlichst geschwiegen wird. Ist der Niedriglohnsektor kein Geschäft mit der Not? Beim „Milliardengeschäft mit Schutzmasken“ hätten auch „Parlamentarier mitgemischt“, überschrieb der Spiegel den Artikel, der die Masken-Affäre ausgelöst hat. So ist es. Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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