Die falsche Diskussion

Bekenntniswissenschaft Wie liberal muss eigentlich ein religionspädagogischer Studiengang sein? Und ist das überhaupt die richtige Frage?
Ausgabe 06/2018
Seyran Ateş hat einen offenen Brief an den Bürgermeister geschrieben
Seyran Ateş hat einen offenen Brief an den Bürgermeister geschrieben

Foto: Imago/Reporters

In Berlin gibt es Streit. Zankapfel ist der Beirat, der über die Besetzung von Professuren im geplanten Institut für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität mitentscheidet. Im Gegensatz zu dem der hiesigen Islamwissenschaft wird das Studienangebot der Islamischen Theologie nicht bekenntnisneutral, sondern bekenntnisorientiert sein. Jetzt hat Seyran Ateş, Gründerin der sich als liberal verstehenden Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister sowie den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung geschrieben. Sie kritisiert scharf, dass im Beirat nur die großen Islamverbände vertreten sind, was die tatsächliche Pluralität der in Deutschland lebenden Muslime verleugne. Das stärke den gesellschaftlichen Einfluss eines konservativen Islams. Außerdem seien die Verbände, die dem Beirat angehören, teilweise von ausländischen Regierungen finanziert, so etwa die Ditip, die mancher nicht ganz zu Unrecht als langen Arm Erdoğans sieht. Dabei sollte es bei der Einrichtung des Instituts nicht zuletzt darum gehen, die Ausbildung von Imamen unabhängig von Einflussnahme aus dem Ausland zu organisieren.

Gegen einen ersten Reflex, gerade in Sachen Religion jegliche als Liberalisierung verstandene Modernisierung zu begrüßen, lässt sich einwenden, dass es nun einmal ein konservativer Islam ist, dem die Mehrheit der Muslime hier anhängt. Man könnte also denjenigen, die Ateş’ Kritik teilen, unterstellen, dass sie sich mit universitärer Schützenhilfe einen Islam basteln wollen, der der Realität des hier praktizierten gar nicht entspricht. Das Dilemma besteht zwischen einer moderneren universitären Lehre mit zweifelhaftem Sitz im Leben und einer, deren Lehrkörper von Konservativen, die ihre Gehaltsschecks zum Teil von Despoten beziehen, in Amt und Würden eingesetzt wird.

Vielleicht bietet diese Erkenntnis eine große Chance: Es könnte nämlich an der Zeit sein, grundsätzlich darüber nachzudenken, ob bekenntnisorientierte Lehre tatsächlich einen Platz an öffentlichen Bildungseinrichtungen haben sollte. Diese Frage muss selbstredend mit Blick auf alle Glaubensgemeinschaften, die wie der Islam zu Deutschland gehören, gestellt werden. Das sind natürlich zuerst die beiden großen christlichen Kirchen, für die schon lange Normalität ist, was für den Islam erst normal werden soll. Warum aber sollte es an Universitäten überhaupt Studiengänge geben, die nur den Lehren einer einzelnen Glaubensrichtung entsprechen? Zwar steht außer Frage, dass die Anerkennung muslimischen Lebens in Deutschland, die sich auch dadurch zeigt, dass man ihm entsprechende Studien- und Lehrangebote schaffen will, an sich begrüßenswert ist. Das Mittel dieser Anerkennung könnte sich aber wie vieles, was gut gemeint ist, als gar nicht einmal so gut erweisen. Statt den Islam nämlich zum gesellschaftlichen Normalfall zu machen, normiert es ihn, und dies letztlich ungeachtet der Zusammensetzung von Beiräten.

Anstelle einer Diskussion darüber, wie liberal islamischer Lehrbetrieb sein soll, bräuchte es vielmehr die Diskussion über einen konsequenten Laizismus in Deutschland. Erst der nämlich garantierte, dass die Pluralität dessen, was hierzulande geglaubt oder nicht geglaubt wird, nicht zugunsten einiger weniger großer und gut organisierter Glaubens- und Interessengemeinschaften verleugnet wird.

Lesen Sie dazu auch im „Bildung Spezial“ auf Seite II den Beitrag von Johanna Montanari

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