Wer lesen kann, ist klar im Vorteil

Achille Mbembe Der Philosoph Ingo Elbe kritisiert einen „Freitag“-Artikel. Aber was steht eigentlich drin?
Ausgabe 25/2020
Wenn schon penibel, dann bitte richtig
Wenn schon penibel, dann bitte richtig

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Bestenfalls liest Ingo Elbe ungenau. Bedauerlich, hat er sich doch schon zwei Mal in einer Debatte zu Wort gemeldet, die mit Vorwürfen des Beauftragten für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, gegen den aus Kamerun stammenden postkolonialen Theoretiker Archille Mbembe begann. Dessen Kritik an der Besatzungspolitik Israels sei antisemitisch, zudem unterstütze er die BDS-Kampagne, die der Bundestag als antisemitisch verurteilt. Mittlerweile wird in dieser Debatte auch über anderes gestritten. Zur Diskussion steht eine Denkrichtung, die auch den Belangen der ehemals Kolonisierten zu ihrem Recht verhelfen möchte. Es geht darum, wie diese Denkrichtung auf den Holocaust blickt. Eine wichtige Debatte also, denn es geht um Unvergleichliches.

Dass Elbe, Philosoph an der Oldenburger Universität, bestenfalls ungenau liest, ist besonders bedauerlich, weil es sich um eine Debatte handelt, deren hohes Niveau sich darin zeigt, wie genau mancher ihrer Teilnehmer liest. Etwa FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube, der sich minutiös am Text der Politik der Feindschaft abarbeitet: Wenn Mbembe von „Nanorassismus“ spreche, so könne man ihm selbst „Nanoantisemitismus“ attestieren. Als philologisch genau erwies sich auch ein Gastbeitrag Thomas Webers in der gleichen Zeitung, der, um werkbiografische Klärung bemüht, einen Reisebericht des damals 35-jährigen Mbembe über Israel von 1992 ganz genau las.

Und Elbe? Im Freitag (22/2020) hatte Felix Axster, Mitarbeiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA), sich auf Elbes Artikel in der taz bezogen. Der schrieb, es sei kein Randphänomen, wenn postkoloniale Denker „den Antisemitismus notorisch auf eine Ebene mit dem Rassismus gegenüber Schwarzen oder Arabern ... stellen“, und verband diese Position mit den „Holocaust-Relativierern“ W. E. B. Du Bois und Aimé Césaire. Axtster schreibt, „das (post-)koloniale Framing von Nationalsozialismus und Holocaust“ führe „zu einem verkürzten Blick auf Antisemitismus“.

Kolonialismus und Nazismus gingen nicht ineinander auf, es bestehe daher eine Spannung zwischen Postkolonialismus und Postnazismus. Auf Du Bois, der sie in Beziehung setze, gebe es „zwei Reaktionsoptionen: Man kann feststellen, dass sich ein Raum auftut, der die Möglichkeit bereithält, jeweils spezifische traumatische Gewalterfahrungen zueinander in Beziehung zu setzen, bestenfalls in empathischer und solidarischer Weise. Oder man kann – wie Elbe – die Tür zuknallen und aus Du Bois eine Art Gründungsfigur der antirassistischen Holocaust-Relativierung zimmern.“

Elbes Antwort auf Axsters Artikel erschien in der Welt. „Wenn Linke einen Schlussstrich unter Auschwitz fordern“, heißt sie online und meint auch Axster, der nur als „ein Mitarbeiter“ des ZfA benannt wird. Mit dem Wort „bestenfalls“, so Elbe, entlarve sich das „Wunschdenken des Autors, denn Empathie und Solidarität mit den vom arabischen und islamischen Antisemitismus bedrohten Juden Israels ist im Mainstream der postkolonialen Studien nicht zu vernehmen“. Wiederholt muss einem FAZ-Autor gedankt werden, dass in dieser überhitzten Debatte genaues Lesen nicht über Bord geht. Das Gegenteil eines Wunschdenkens spreche aus Axsters Satz, so Patrick Bahners konzise auf Twitter: Axster formuliere „ein Best-Case-Scenario, gerade weil er die Barrieren realistisch ansetzt, die wechselseitige Empathie blockieren“.

Bestenfalls liest Elbe ungenau, wenn er Axsters Formulierungen als Inkaufnahme von Relativierung interpretiert und letztlich auch als Inkaufnahme antisemitischen Denkens und Handelns. Bestenfalls. Und im schlechtesten Fall? Unterstellt Elbe bewußt einer Denkrichtung, die sich der Belange der ehemals Kolonisierten annimmt, Antisemitismus. Bestenfalls, das zumindest ist klar, würden sich Beiträge in einer Debatte, in der es um den Vorwurf des Unvergleichlichen geht, genauem Lesen verpflichtet fühlen. Ist das nur Wunschdenken? Alles andere jedenfalls verhöhnt den Gegenstand der Debatte.

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

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