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Geschichte Das Verhältnis von Kunst und Reformation erweist sich im Lutherjahr als quicklebendig. Doch manche Ausstellung betreibt aktive Irreführung

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Reformation als Ausstellungsobjekt. Luther im Museum: Das Interesse ist ungebrochen
Reformation als Ausstellungsobjekt. Luther im Museum: Das Interesse ist ungebrochen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Während Deutschland weiterhin im Vorlauf zum 500. Jahrestag von Martin Luthers Thesenfanal am 31. Oktober 2017 steckt, reiht sich in der Republik eine Kunstaktion mit Reformationsbezug an die nächste. Deichtorhallen Hamburg, Aquamediale an der Spree, Kunstschau Formare des Künstlerbunds MV – es luthert überall.

In Mecklenburg-Vorpommern (MV) gingen 52 Künstler daran, sich in Grafik, Photographie oder Video-Installationen mit dem vielfältigen Themenspektrum der Reformation auseinanderzusetzen. Bildbegriff im Spannungsfeld von Bild und Wort, Gesellschaftskritik mit Ironie und ikonischer Zuspitzung ebenso wie Reflexionen auf grundlegende existenzielle Fragen. Video-Installationen sind es auch in Hamburg, mit denen der Künstler Bill Viola arbeitet.

Millionenpublikum bei Luther

Reformation als Ausstellungsobjekt, Luther im Museum: Das Interesse ist ungebrochen. Allein die vier bis sechs großformatigen Reformations-Schauen bzw. Gedenkorte mit überregionaler Ausstrahlung zählen bereits jetzt über eine Million Besucher1. Die unzähligen regionalen Schauen sind darin nicht enthalten. Aufgrund Besucherandrangs hängt manches Museum einige Wochen extra an: „Goethe und Luther“ in Düsseldorf – wegen großer Nachfrage verlängert. „Luther in Worms 1521“ – verlängert. „Luther und die Avantgarde“ in Wittenberg – verlängert...

Auffällig bleibt die Vielzahl künstlerischer Aktionen und Projekte. Mag auch der eine oder andere Fördertopf ein Übriges getan haben, die Vielfalt der zeitgenössischen Zugänge zum Thema ist exzeptionell und auf Jahre hinaus inspirierend. Als eines der Ergebnisse des Lutherjahres 2017 lässt sich festhalten: Um das Verhältnis zwischen Reformation und Kunst ist es gut bestellt. Es ist vergnügt und unverkrampft. Produktiv kritisch. Es ist vielseitig und aktuell.

Um das Verhältnis von Kunst und Reformation ist es gut bestellt

So leistet sich die Kirche in größter Contenance in der St.-Matthäus-Kirche in Berlin einen Gastauftritt des britischen Duos Gilbert&George. Kritische Rückfragen an Religion bleiben da bekanntlich nicht ganz ausgespart. In Bretten (Kraichgau) ist durch den Punk-Künstler Tom Rebel gleich eine ganze Stadt auf Reformation getrimmt. Homberg, Leipzig, Geislingen a.d. Steige, Hachenburg, Karlsruhe, Osnabrück, Flensburg, Weil der Stadt, Kassel ... Die Aufzählung lässt sich mit Kunstprojekten aller Art und Größen, von der kleinen exquisiten Galerie-Ausstellung bis zum überdimensionalen Luther-Konterfei im Maisfeld beliebig fortsetzen.

Verzerrte Lutherbilder?

Was aber, welches Bild von Luther und der Reformation wird da gezeigt? Ganz Vielseitiges natürlich, wie es ja nicht anders sein kann. Die Reformation als eine Frömmigkeitsbewegung des Mittelalters, Luther als streitbarer Gottesmann, als Befreier von (römisch-)kirchlicher Bevormundung. Die Betonung von Gewissensfreiheit, Luthers Erfindung der Unterscheidung von Staat und Kirche, sein Freiheitsbegriff insgemein. Auch die Hochschätzung seiner Bedeutung für die deutsche Sprache (und viele andere europäische Sprachen), für seine Bibelübersetzung (die erste ins Deutsche aus dem griechischen und hebräischen Urtext), für seine bis heute vorbildliche Übersetzungstheorie und Übersetzungstätigkeit (den Leuten „auf's Maul schauen“, ohne ihnen nach dem Munde zu reden). Nicht zuletzt, für religiös Musikalische, seine Entdeckung des Glaubens als Geschenk, die Einführung volkssprachlicher Gottesdienste, die Befreiung vom Zölibat, und so weiter und so fort.

Doch andererseits wird auch Irritierendes gezeigt.

In der Wittenberger Künstlerschau ist etwa zu erfahren, Luther sei ein Kunstskeptiker gewesen (siehe: Luther und die Avantgarde)? Das klingt befremdlich bei einem Mann, der eng mit dem Maler-Genius Lucas Cranach zusammenarbeitete und der als eine der meistabgebildetsten Personen des 16. Jahrhunderts und bis heute angesehen wird. Schon den ersten Druck seiner Bibelübersetzung (Septembertestament und Dezembertestament) lässt er eigens mit Cranach-Bildern ausstatten. Das hört sich kaum nach Bilderskepsis an.

Irreführung im Museum

Die Irritation wird allerdings noch größer, wenn man die Posterausstellung Here-I-stand anschaut, die geschätzt bereits an rund hundert Orten zu sehen war. Auf einem der Plakate unter dem Stichwort „Krise“ findet sich dort eine Landkarte mit Städten, in denen im 16. Jahrhundert „Bilderstürme“ stattfanden. Wenn man nicht sehr genau hinschaut, wird hier der Eindruck erweckt, als habe Luther in halb Europa Bilderstürme ausgelöst. Dass das historisch nicht so ganz korrekt ist, lässt sich schon in einer einfachen Einführung zur Reformationsgeschichte lesen, wie etwa der von Martin Thull (Luther für Einsteiger, S. 24): „Einen in Wittenberg aufflammenden Bildersturm beendete Luther durch seine Invokavitpredigten.“ Der Bildersturm und die damit zusammenhängenden Unruhen in Wittenberg waren geradezu einer der Hauptgründe für Luthers Rückkehr 1522 von der Wartburg in die Elbestadt. Ausdrücklich sagt Luther von sich selbst: „Mit den Bilderstürmern halte ich es nicht.“

Wie ist dann die seltsame Karte von Here-I-stand zu erklären? Eigentlich gar nicht, außer als bewusste Irreführung oder mangelnde Sachkenntnis. Schon ein Blick auf die angegebenen Jahreszahlen bei den Bilderstürmen kann stutzig machen. Denn 1566 (Amsterdam) oder 1562 (Tours) hat Luther a) schon längst nicht mehr gelebt und b) sind es ausgewiesene Gebiete des Einflussbereichs zwinglianischer oder calvinischer Glaubenstraditionen: Bilderstürme waren in Wahrheit vor allem die Folgen nicht-lutherischer Predigten. Auch hier wird Luther also in Sippenhaft für Entwicklungen genommen, gegen die er selbst ausdrücklich angegangen ist. Hier hilft auch nicht sehr viel, dass in der Plakat-Legende auf die divergierenden Bildvorstellungen von Lutheranern, Altgläubigen und Reformierten calvinischer oder zwinglianischer Provenienz eingegangen wird. Der Eindruck entsteht, dass Luther die Bilderstürme befürwortet und zu verantworten hat.

Luther und die Bilder: Erfindung der ersten Markenlogos

Dass Luther Bilder als Objekte von Anbetung zwar ablehnt, ihrem sonstigen Gebrauch gegenüber aber aufgeschlossen ist, zeigt nicht nur die rege Wittenberger Bildproduktion (Lutherbildnisse, biblische Darstellungen, Illustrationen auf Flugschriften und Flugblättern – man spricht von regelrechten reformatorischen Bildprogrammen). Schon das persönliche „Merkzeichen meiner Theologie“, die Lutherrose, wohl eines der ersten Markenlogos der Welt, spricht eine klare Sprache. Luther verwendet die Lutherrose schon früh, in seinen Schriften auch als Siegel gegen verfälschende, nichtautorisierte Nachdrucke.

Schade, dass eine Ausstellung, die vom Auswärtigen Amt mitunterstützt wird, keine adäquate wissenschaftliche Begleitung gefunden hat und zur Irreführung der Öffentlichkeit beiträgt.

ANMERKUNG

1 Je nach Zählung lassen sich vier bis sechs großformatige Ausstellungen, Schauen oder Erinnerungsorte mit überregionaler Ausstrahlung ausmachen, die jeweils zwischen 150 000 bis 300 000 Besucher verzeichnen. Auf der Wartburg in Eisenach (200 000 Besucher bis 1. September 2017), in Coburg (150 000), viermal Wittenberg (280 000 in der Schlosskirche, 300 000 im 360°-Panorama „Luther 1517“ von Yadegar Asisi, 150 000 in der Ausstellung 95 Schätze – 95 Menschen, über 250 000 in der „Weltausstellung Reformation“). Die vier 'Memorialstätten' im weitläufigen Wittenberg getrennt zu zählen, macht laut Vor-Ort-Experten Sinn, weil Tagesgäste oft nur ein bis zwei der umfassenden und zeitintensiven Reformations-Schauen und/oder -Orte aufsuchen. Diese Einschätzung wird ebenfalls durch die stark variierende Besucheranzahl in den vier Wittenberger Einrichtungen bestätigt. Allein für Wittenberg lässt sich im Jahresverlauf mit 500 000 bis 700 000 Einzelgästen rechnen). Macht zusammen Pi mal Daumen über 1 bis 1,3 Millionen lutherinteressierte Eintritte. Dabei sind etwa die 94 000 Besucher in Düsseldorf (Cranach-Ausstellung mit einem Themenschwerpunkt Reformation), die Besucher im Kloster Dalheim (Westfalen), die Besucher im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, in der Kunstausstellung „Luther und die Avantgarde“ in Wittenberg oder beim „Luthereffekt“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin nicht mitgezählt. Der Exkurs mit all der Zählerei ist deshalb interessant, weil oberflächlich informierte Regionalmedien wie rp-online.de behauptet haben, das Interesse am Lutherjahr sei teilweise verhalten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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