Gekommen, um zu bleiben

Luther Vier „Learnings“ im Reformationsjahr 2017, samt einigen Aufgaben.

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Christen haben eine besondere Regel. „Erst die Feier – dann die Arbeit.“ Diese Regel kommt schon darin zum Ausdruck, dass die Woche mit dem Feiertag beginnt: Der Sonntag ist der erste Tag der Woche.

Zum Glück hat man sich an diese Regel – wohl eher unbewusst, weil vollständig internalisiert, denn in bewusster Absicht – auch beim 500. Reformationsjubiläum gehalten. Erst die Feier – jetzt die Arbeit, lautet folglich die heimliche Überschrift zur anstehenden EKD-Synode vom 12. - 15. November in Bonn.

Und zu tun gibt es genug. Alleine die zehntausenden Veranstaltungen auszuwerten, die im Jahresverlauf 2017 in Städten und Gemeinden an der Basis stattgefunden haben, dürfte Tage dauern. Auswertungen und Bilanzen sind jedoch genau das, was sich die Zentrale der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf die Fahnen geschrieben hat. Schon seit Jahren hört man lieber auf soziologische Erhebungen als auf Grundsätze der Theologie.

Luther füllt die Kirchen und die Hallen

Mit übervollen Kirchen, die aus allen Nähten platzen, hat der Reformationstag am 31. Oktober einerseits gezeigt, was sich schon das ganze Jahr 2017 über abzeichnete: Luther (und die Reformation) zieht die Menschen an, füllt die Hallen und joggt leichtfüßig wie ein junger Gott von Rekord zu Rekord. – Der nicht ganz ernst gemeinte religionshistorisch gewagte Vergleich ist hier deshalb richtig und erlaubt, weil er beinahe zutrifft: Touristiker, Museumsbetreiber, Büchermarkt, alle berichten von beeindruckenden Zahlen.

Aus der Kirche haben vor allem zwei Protagonisten ihren Anteil daran. Margot Käßmann rührte als EKD-Reformationsbotschafterin unermüdlich „die Trommel“ und hat aus einer Kirchensicht, neudeutsch gesagt, hierbei a very good job gemacht. Ebenfalls qua Amt setzte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm wichtige Impulse. Etwa mit der Reise nach Jerusalem von Bischöfen und Kirchenführern der evangelischen und katholischen Kirche im Herbst 2016 oder durch das Ins-Spiel-bringen von zwei Alternativmöglichkeiten eines neuen Feiertags wie den Buß- und Bettag oder den jetzt von vielen favorisierten dauerhaften Reformationsfeiertag. (Vgl. Tagesspiegel: Ein Feiertag, der zu Deutschland passt.)

Dass der Reformationsfeiertag „gut angenommen“ wird, zeigen nicht nur Umfragen (jeweils ca. 60-70 Prozent sprechen sich für die Beibehaltung als bundesweiter Feiertag aus). In Göttingen wurde am 31.10.2017 kurzerhand der Gottesdienst in einer vollen Marktkirche St. Johannis wiederholt, damit niemand unverrichteter Dinge nach Hause gehen muss. So groß war der Andrang, auch in den meisten anderen Großstädten und auf dem Land wurde von vollen Kirchen mit knapp werdenden Stehplätzen berichtet. „Der Reformationstag 2017 war wie Weihnachten und Ostern zusammen“, so ein Kommentar. Learning Nr. 1: Reformation feiern sorgt für volle Häuser.

Das gilt sogar für Theaterhäuser, vermeldeten etliche Theatergruppen, die ein Luther-Schaustück im Programm hatten. 30 000 Besucher in Bad Hersfeld, Wochen vorher ausverkauft, 34 000 in der Freilichtbühne Ötigheim, bei 90 Prozent Auslastung. Weitere 100 000 Besucher waren beim Theaterstück Play Luther. Allein bei diesen drei Stücken interessierten sich demgemäß über 150 000 Menschen für die „Luther-Story“. Wobei dann freilich noch zu fragen bleibt, welches Lutherbild da jeweils vermittelt wurde. Doch Theater darf ja überzeichnen...

Über 150 000 Teilnehmer waren es in 14 Städten in zumeist ausverkauften Vorstellungen beim Pop-Oratorium Luther. (Die TV-Übertragung am 31.10. hat dann – für alle „Bilanz-Narren“ sei's ergänzt – bei den Zuschauerzahlen nochmals deutlich „draufgelegt“: 1,7 Millionen).

Weitere 100 000 Besucher sahen sich im Lauf der Lutherdekade die grazile Dioramen-Wanderausstellung „Martin Luther 1483 - 1546“ aus Halberstadt an. Die Liste mit zahlenmäßigen „Erfolgsprojekten“ ließe sich noch fortsetzen. Doch zunächst: Wie lautet die EKD-Bilanz?

Die EKD liegt daneben

Hier sprechen etliche von vertanen Chancen. Besonders zwei Vorzeige-Projekte werden als enttäuschend angeführt. Der Kirchentag in Berlin und die „Weltausstellung Reformation“. Um die Analyse gleich vorwegzunehmen: Was verbindet beide Veranstaltungen? Luther fehlte! Ausgerechnet bei den als „Höhepunkten“ im Reformationsjahr angekündigten Formaten wurde der Reformator weitgehend versteckt.

Beim Kirchentag in Berlin gab es gerade einmal ein paar – gut besuchte – (Ur-)Aufführungen von Neukompositionen und Reformationskonzerten und ein wenig Luther-Kabarett. Da ist es eigentlich keine weitere Erwähnung wert, dass auch die Teilnehmerzahlen mit rund 100 000 im „üblichen“ Rahmen von Kirchentagen blieben. Demgegenüber aber erstaunlich, dass sich zeitgleich in Erfurt und bei den Thüringer „Kirchentagen auf dem Wege“ noch zusätzlich zum „üblichen“ Kirchentagspublikum weitere 42 000 Besucher einfanden. (Die Hälfte davon mit 20.000 Besuchern in Erfurt mit dem Schwerpunkt „Licht auf Luther“.)

Dass es beim Kirchentag in Berlin keinen „Luther-Effekt“ bei den Teilnehmerzahlen gab, lässt sich daher schon schlicht damit erklären, dass dort eben kein Luther (an)geboten wurde. Man kann dann aber auch nicht, wie das teilweise in der Presse geschah und von Kirchenvertretern repetiert wurde, dem Thema „Luther“ eine „Schuld“ an scheinbar fehlendem Interesse geben…

Dass die EKD mit ihrem Angebot „daneben“ lag, zeigt sich freilich nirgends deutlicher als in Lutherstadt Wittenberg. Denn während 2017 die Stadt voll war mit Luther-Interessierten, war die „Weltausstellung Reformation“ der EKD laut eigenen Angaben oft eher leer. Und das fand parallel nur wenige Meter nebeneinander statt… Kein Wunder: Auf der Weltausstellung musste man den „Luther“ gleichfalls mit der Lupe suchen. Dagegen strömten 400 000 Besucher in das 360-Grad-Panorama „Luther 2017“ von Yadegar Asisi, das nun auch nicht direkt im Wittenberger Zentrum am Marktplatz, sondern ebenfalls beim (Stadtgraben-)Gelände der Weltausstellung liegt. (Entfernungen im Wittenberger Stadtgebiet waren, wie manchmal vorgebracht, bei der Prioritätensetzung von Besuchern also eher nicht das entscheidende Kriterium). Learning Nr. 2: Kirmes-Angebote der Kirche wie auf der Weltausstellung fanden 2017 wenig Interesse, Luther hingegen schon.

Uneingelöstes Luther-Gedenken

Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Das Luther-Gedenken hat auf der Ebene der EKD 2017 eigentlich erst anfangsweise stattgefunden. Dasselbe gilt für weite Teile der Presselandschaft. Die „Marke Luther“ und das Thema sind zwar „gesetzt“. Inhaltlich entfaltet ist es bisher aber nur bruchstückhaft.

Das macht aber auch nichts. Denn wie 1517 wurde 2017 vielleicht erst einmal ein Stein ins Rollen gebracht...

Der Freitag fragte in der Ausgabe vom 26.10.2017 nach diversen unausgeschöpften Potenzialen von Herrschaftskritik und Hoffnung in der Reformation und befand: „Diese Geschichte ist noch lange nicht zu Ende erzählt...“ Dem kann man nur zustimmen.

Die reformatorischen Gedanken sind nun einmal wieder in der Welt, auch wenn sie nicht überall gleich konsensfähig sind. Und sie werden weiterwirken.

Denn christliche Theologie hält immerhin wie generell die Kunst, einen Raum, viele Räume offen für das Überraschende, Nicht-Verrechenbare, das Unkalkulierbare, für das Unverfügbare – man könnte auch sagen für den „Geist“. Der aber „weht, wo er will. Man weiß nicht recht, woher er kommt und wohin er geht.“ So ist es ja bei allen Künstlern und bei allen „Kindern Gottes“, wie jedenfalls das Evangelium nach Johannes lehrt (Kapitel 3). Learning Nr. 3: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.

Rücktrittsforderungen im Lutherjahr

Der Psychanalytiker Otto F. Kernberg hat in einer Linie zu Sigmund Freud herausgestellt, dass manche Menschen dazu neigen, die eigene Innenwelt nach außen zu projizieren und zu übertragen. Nur so lässt sich wohl erklären, dass die EKD ihre Synodaltagung im Herbst 2017 ausgerechnet unter das Motto stellt „Kirche in einer säkularen Welt“. Woher, wenn nicht aus dem Eigenen, kommt diese Rede von der (Selbst-)Säkularisierung? Alle Welt redet derzeit von der „Wiederkehr der Religion“...

Dass Deutschland auf absehbare Zeit eine Gesellschaft mit Religion und Religionen ist, dafür sorgen schon die circa fünf Millionen muslimischen Mitbürger. Auch der Esoterik-Markt boomt weiterhin in Deutschland, mit einem geschätzten Wirtschaftsvolumen von rund 20 Milliarden Euro… Wer ist in Deutschland säkular? Die EKD.

An nichts wird das deutlicher als daran, dass der Vorsitzende der EKD-Kammer für Theologie (!) am 31. Oktober 2017, dem 500. Jahrestag der Reformation, in einem feierlichen ganzseitigen Artikel in einer deutschen Tageszeitung es schafft, als Hauptaussage über die große Bedeutung von Gebäudesanierungen zu schreiben.

In allem Übrigen sei er aber für Gelassenheit.

In der akademischen Welt wurden schon im Frühjahr 2017 Rücktrittsforderungen laut. Tatsächlich fragt man sich, wozu ein kirchlicher Dachverband wie die EKD permanente oder ad-hoc-Theologenkommissionen unterhält, wenn von dort ein ganzes langes Jahr – nichts kommt. „Neue theologische Köpfe müssen her.“ Oder, wenn es keine gäbe, lässt man die Posten eine Weile unbesetzt. Einen Unterschied scheint das nicht zu machen. Denn eine Schweigekommission braucht in dieser Zeit kein Mensch.

Die starken Töne aus der akademischen Welt könnten freilich auf diese selbst zurückfallen. Denn wie mancher Kirchenamtler erwiderte, waren auch die Beiträge aus der Hochschultheologie 2017 eher mau. Hier macht sich freilich eine langjährige teilweise im Graubereich liegende Praxis bei Lehrstuhlbesetzungen an den evangelisch-theologischen Lehrstühlen bemerkbar.

Learning Nr. 4: So oder so müssen sich angesichts manch internem EKD-Debakel Lutheraner fragen, ob sie die Zusammenarbeit aufkündigen, wenn die theologische Wüstenei so bleiben soll wie zurzeit.

Berufen zur Freiheit“

Doch, dem Lutherjahr sei Dank, gar so trostlos ist die Lage ja gar nicht.

Einige der besten Beiträge im Reformationsjahr kommen aus Wirtschaft, Gesellschaft, Politik. Der gut besuchte Feiertag und zahlreiche Kooperationsprojekte haben erwiesen: Die Reformation ist an der Kirchenbasis wie in der Zivilgesellschaft gut verankert.

Gerade in der Riege der Ministerpräsidenten ist zudem spannend zu sehen, wie eher einem „linken“ Spektrum zugeordnete Amtsträger wie in Thüringen oder Baden-Württemberg zeigen, wie gut es der Politik tun kann, biblische Impulse, z.B. zur „Gerechtigkeit“, in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Auch mancher Regierungschef mit dem „C“ im Parteinamen steht da nicht hintenan. (Für die SPD gilt das ja ohnehin.)

„Zur Freiheit berufen“ ist eine schöne zusammenfassende Formulierung zum Menschenbild der Reformation. Luther muss sich 2017 nicht (mehr) verstecken. Daher: Raus aus der verwinkelten Wartburg, zurück auf die Marktplätze der Zeit. Für Lutheraner gilt: „Wir sind viele“ und wir müssen nur wieder mehr „Laut“ geben, dann wird das schon. Nötig aber ist das allemal, wenn man sich anschaut, wie kümmerlich die evangelische Sache 2017 auf's Ganze gesehen in der Öffentlichkeit vertreten wurde und wird. Wenn ein substanzieller Unterbau fehlt, wirken zwei einzelne Protagonisten tendenziell in einer sich immer weiter und weiter ausdehnenden Welt der Worthülsen eben leicht eher wie zwei fast etwas verlorene Vorturner, denen die eigentliche Unterstützung fehlt.

Aufgaben 2017:

- Die Kirchentagsmacher stehen (spätestens) seit dem Berliner Kirchentag „tief in Luthers Schuld“. (Schon historisch gilt ja: Ohne Luther - kein Evangelischer Kirchentag). Hier gibt es beim nächsten Kirchentag in Dortmund programmatisch Einiges nachzuholen. Hier die Weichen zu stellen, dafür ist allerdings jetzt der richtige Zeitpunkt. Ein vielversprechendes Motto ist ja schon gefunden. Einen denkbereiten Präsidenten gibt es mit Hans Leyendecker auch. Jetzt gälte es nur, einige Learnings aus dem Reformationsjahr umzusetzen...

- Den teilweise offenbar gewordenen Notstand in der EKD, den geistlichen, theologischen und liturgischen Leer- und Notstand aufarbeiten und beheben.

- Eine Umverteilung vornehmen bei Ressourcen und Schwerpunktsetzungen von der Spitze an die Basis; Kirchengemeinden brauchen einen Stand im EKD-Kirchenparlament, damit der Gremienprotestantismus nicht vollends leerläuft: „die Kirche bleibt im Dorf“.

- Denn was und wo ist Kirche? Ein Augustinermönch des 16. Jahrhunderts brachte es einmal auf die genial einfache Formel in vier Worten: Ubi verbum, ibi ecclesia: Wo das – befreiende – Wort (Gottes) ist, da ist die Kirche. Drum: Lutheraner aller Stände gebt wieder mehr Laut und helft der EKD und der Gesellschaft zurück ins Gleis.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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