Die anderen gewinnen immer

Nachruf Die Hoffnung landet im Irrenhaus. Zum Tod des großen Regisseurs Miloš Forman (1932 – 2018)
Ausgabe 16/2018
Miloš Forman 1984
Miloš Forman 1984

Foto: Bjorn Elgstrand/Keystone/Getty Images

Miloš Formans bekanntester, wohl auch beliebtester Film ist Amadeus (1984). Sein vielleicht bester Einer flog über das Kuckucksnest (1975). Für den Moment der interessanteste aber: Larry Flynt (1996).

Formans erste Filme entstanden in der Tschechoslowakei. In ihnen kommt die Hoffnung zum Ausdruck, mit der frischen, jugendkulturellen Mentalität der frühen 1960er Jahre den moralischen und kulturellen Mief der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinter sich lassen zu können. Der Dokumentarfilm Wettbewerb und Der schwarze Peter (beide 1964) sind Mod-Filme, Taking Off (1971), Formans erste Arbeit in den USA, ein Hippie-Film. Sie alle zeigen Jugendliche bei Ausbruchsversuchen, aber auch in der Verlorenheit und der Begrenztheit ihrer Bemühungen. Der Regisseur kam von der Prager Filmhochschule, der Brutstätte der Tschechischen Neuen Welle, die sich in die europäischen Kino-Avantgarden dieser Jahre einreihte.

Der Feuerwehrball (1967) ist dann eine köstliche Gesellschaftssatire, die die Filmzensoren in der ČSSR übelnahmen. Die Feuerwehr in einem kleinen Ort macht Party mit „beehmischer“ Blasmusik, die Honoratioren sorgen sich um den geziemenden Verlauf des Balls. Und im Dorf brennt inzwischen ein Haus ab. Während man zum behäbig als Brassband-Instrumental intonierten From Me To You der Beatles das Tanzbein schwingt (kein anderes Synonym für „Tanzen“ passt hier besser), kullern Talmiperlen, werden voluminöse Männerbäuche entblößt, dicke Blutwürste in Damenhandtaschen versteckt.

Es wird Formans letzte tschechische Arbeit bleiben. Von einem Frankreich-Aufenthalt kehrte er angesichts der Niederschlagung des Prager Frühlings nicht zurück. In dieser Komödie war all das schon entfaltet, was den Schauwert der Filme Miloš Formans ausmacht. Die Schnitttechnik, Kameraeinstellungen, die Figurenzeichnung, die Musik, der Umgang mit Kulissen und Requisiten.

Einer flog über das Kuckucksnest setzt späte Beatnik-Literatur (Ken Kesey) in hippieske Ideologie um. Hier herrscht jedoch nur noch wenig Hoffnung: Die anderen gewinnen immer. Wer frei sein will, wird lobotomiert. Amadeus, die Mozart-Biografie aus Sicht Salieris, passt in die Hoch-Zeit des postmodern ironischen Historienschinkens. Aber nur der Forman-Amadeus konnte einen zumindest für den deutschsprachigen Raum innovativen Popsong wie Falcos Rock Me Amadeus inspirieren.

Die Freiheit ist eine Form

Mit den Filmen nach dem mit reichlich Oscars prämierten Einer flog über das Kuckucksnest ging Forman mit den Moden der Zeit, kleidete sie aber verlässlich am besten ein: beim Aufarbeiten der Hippie-Ära (Hair, 1979) oder des Rassismus des frühen 20. Jahrhunderts (Ragtime, 1981).

Und Larry Flynt ist ein Kulissen- und Kostümfilm der jüngeren Kulturgeschichte Amerikas, eine sehr spezielle Eloge auf den American Dream, voller Freiheits- und Demokratie-Pathos. Diesen Film kann heute anschauen, wer etwas über das Trump-Amerika erfahren möchte. „Einen ehrlichen Dollar machen“ und jede „Meinung“ auf welchem Niveau auch immer äußern zu dürfen – das sind hier die absoluten, abstrakten, nicht hinterfragbaren Werte. Nicht Kritik und Veränderungswille, keine humanistischen und sozialen Kriterien dafür sind wichtig. Es geht ums Prinzip: Die Freiheit ist eine Form, auf den Inhalt kommt es nicht an.

Die Realfigur Trump verkörpert das in vollendeter Art und Weise. Seine uramerikanische Kompetenz hat er bewiesen, indem er Millarden „ehrlicher Dollars“ gemacht hat. Männern raten zu dürfen, Frauen als Objekte zu behandeln, ist seine Freiheit. Man muss ihm nicht zustimmen, aber er muss es sagen dürfen. So wie man ihn einen Irren nennen kann. Mehr will Larry Flynt nicht sagen, aber das tut der Film in einer skurrilen Ästhetik, mit durchgeknallten Figuren, fast ohne Sentimentalität.

Am 13. April ist der Tscheche Miloš Forman im Alter von 86 Jahren in Connecticut als guter Amerikaner gestorben. Und als guter Filmemacher.

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