Am vergangenen Sonntag zwischen 13 und 14 Uhr exportierten die deutschen Stromproduzenten mehr als 4.000 Megawattstunden Elektrizität ins Ausland. Das ist etwa so viel, wie tausend Vier-Personen-Haushalte im ganzen Jahr verbrauchen. Die Sonne sorgte nicht nur für schönstes Badewetter, sie versorgte auch die vielen Solarkraftwerke mit ihrer Energie. Mittlerweile sind in Deutschland 2,6 Millionen Photovoltaikanlagen installiert, die Strahlungsenergie in Strom umwandeln. Immer dann, wenn viel Sonne scheint, gibt es hierzulande Elektrizität im Überfluss. Der wird dann ins Ausland verkauft: Am vergangenen Samstagmittag waren es fast 4.400 Megawattstunden, Freitagmittag mehr als 2.000 Megawattstunden, Donnerstagmittag sogar 4.600.
Logischerweise fehlt dieser Sonnenstrom i
nenstrom in den Nachtstunden im deutschen Netz: Dann wird Elektrizität aus den Nachbarländern eingekauft, vor allem kostengünstiger Windstrom aus Dänemark oder den Niederlanden und Strom aus der skandinavischen Wasserkraft oder der Schweiz. Aber auch Atomstrom aus Frankreich kommt zu uns, weil er günstig ist: Kein anderes Land in Europa subventioniert seine Atomkraftwerke dauerhaft so hoch.2022 exportierte Deutschland 62 TerawattstundenÜbers Jahr ist Deutschland Nettoexporteur: Hierzulande wird wesentlich mehr Strom produziert als verbraucht. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 35,8 Terawattstunden importiert, aber 62 Terawattstunden exportiert. Durch diesen Exportüberschuss verdienten die hiesigen Produzenten 2,88 Milliarden Euro. Das geht jetzt schon seit 20 Jahren so.Was wie eine gute Nachricht klingt, ist aber wirtschaftlich nicht unproblematisch: Um den Überschuss loszuwerden, müssen ihn die Produzenten deutlich unter dem Marktwert verkaufen. Nicht nur das: Wegen fehlender Stromleitungen konnte zuweilen billiger Windstrom aus dem Norden Deutschlands nicht nach Süden transportiert werden, wo – um die Nachfrage zu decken – stattdessen auch teurerer Atomstrom aus Frankreich nach Süddeutschland importiert wurde. Der günstige Windstrom musste dagegen exportiert werden.Spahn, Weidel, „Bild“In diesem Jahr gibt es jedoch einen Sondereffekt: Im April gingen die letzten drei Atomkraftwerke vom Netz, und die Strommenge, die importiert wurde, stieg im folgenden Quartal stark an. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im zweiten Quartal 7,1 Milliarden Kilowattstunden mehr ein- als ausgeführt, was etwa der Strommenge entsprach, die von den drei deutschen AKWs im zweiten Quartal 2022 produziert wurde: 7,3 Milliarden Kilowattstunden. Die Bild machte aus diesen Zahlen die Schlagzeile: „Immer mehr Strom aus dem Ausland: Die Frust-Bilanz des AKW-Aus“. Auch CDU-Fraktionsvize Jens Spahn sprach von „mehr Abhängigkeiten“ von ausländischen Stromproduzenten, und AfD-Chefin Alice Weidel verbreitete Anfang Juli gar die völlig fehlgehende These: „Satte 82 Prozent unseres Strombedarfs müssen unsere europäischen Nachbarn decken.“Solchen Aussagen liegt die Annahme zugrunde, dass Strom nach Deutschland importiert wird, weil wir nach dem Atomausstieg selbst nicht mehr genügend Kraftwerkskapazitäten besitzen. Das ist ein Trugschluss. Aktuell gibt es in der Bundesrepublik Kraftwerke mit einer Leistung von etwa 100 Gigawatt (GW), die auch in tiefster Nacht und bei Windflaute abgerufen werden können – also 100.000 Megawatt. Zudem gibt es Pumpspeicherkraftwerke, die mit einer Leistung von neun GW Strom speichern. Dazu kommen mehr als 70 GW Solarleistung und gut 58 GW Windkraft.In den Tagesspitzen werden in Deutschland durchschnittlich Kraftwerksleistungen von etwa 70 GW benötigt, tief in der Nacht sinkt der Bedarf auf etwa 45 GW. Die 100 Gigawatt reichen also locker, um die Versorgung mit Elektrizität zu gewährleisten: Der bislang höchste Strombedarf, der je in Deutschland abgedeckt werden musste, lag im November 2019 bei 80,8 GW.Stromherstellung aus Gas ist am teuerstenTatsächlich wird die Kraftwerksleistung in Reserve praktisch nie komplett ans Netz gehen: Das Gaskraftwerk Leipheim in Westbayern geht beispielsweise nur ans Netz, wenn in der Region zwischen Ulm und Augsburg plötzlich sehr viel Strom nachgefragt wird: Anders als Kohle- oder Atomkraftwerke können Gaskraftwerke in Sekundenschnelle angefahren werden. Das Gaskraftwerk in Lingen an der Ems wird zugeschaltet, wenn es in der Region Münster eine hohe Nachfrage gibt. In Berlin kann das Gaskraftwerk an der Spree einspringen, genauso in Mainz, Rüsselsheim oder Darmstadt: Etwa 700 solcher Anlagen gibt es hierzulande, die Verstromung von Gas deckte im vergangenen Jahr 13,3 Prozent des deutschen Strombedarfs. Allerdings ist dieser Strom mit Abstand der teuerste in seiner Herstellung.Im Ausland gekauft wird Strom also nicht, weil es in Deutschland zu wenige Kraftwerke gibt, sondern weil er einfach billiger ist. Das dämpft den Strompreis und erhöht so die Wirtschaftskraft des Standortes. Zudem ist Deutschland in der Mitte Europas auch für den Strom „Transitland“: Export und Import sind also völlig normal.Photovoltaik-Ausbauziel 2023 bereits erreichtOb Deutschland auch im 21. Jahr in Folge Netto-Stromexporteur werden wird, ist nach dem Abschalten der letzten Alt-Atomreaktoren indes noch nicht ausgemacht: 4.200 Megawatt Grundlast-Leistung wurden stillgelegt und damit ein wichtiger Schritt in Sachen Energiewende (beim Strom) vollzogen. Die AKWs Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 „verstopften“ mit ihrem Atomstrom das Netz, weshalb vor allem Windräder immer öfter abgeschaltet werden mussten.Die Frage ist, wie schnell der Ausbau der Erneuerbaren diese Lücke jetzt schließt. Und wie schnell die Netze umgebaut werden, um deren volatile Stromproduktion zu den Kunden transportieren zu können. Da gibt es durchaus Anlass für Optimismus: Bereits am 13. September wurde bekannt, dass das Ausbauziel an Photovoltaik-Anlagen, welches sich die Bundesregierung für das ganze Jahr 2023 insgesamt vorgenommen hat, bereits erreicht worden ist.