Auf den Schlamm der Rasputiza-Periode folgen Schneestürme und Frost. Soldaten kommen selbst ohne Gegenwehr nur mit Mühe auf verwehten Wegen voran. Schwere Militärtechnik bleibt stecken und wird zum leichten Ziel für Drohnen. Im Osten der Ukraine herrschen witterungsbedingt Zustände, bei denen Frontlinien nun erst recht einfrieren.
Zugleich bewirkt technologische Parität, dass der Krieg zur statischen Materialschlacht wird. Welches Equipment die NATO auch liefert, es wird von Russland nachgeahmt, durch Quantität übertroffen oder durch Gegenmaßnahmen in seiner Wirkung beschränkt. Weder die deutschen Leopard- noch die US-ATACMS-Panzer wurden wie erwünscht zum „Game Changer“. Nunmehr ist eine Balance auch bei Drohnen und Coptern
nd Coptern erreicht, nachdem Kiew große Erwartungen in unbemannte UAVs gesetzt hatte, die als Ersatz für eine Luftwaffe in Schwärmen russische Stellungen bombardieren sollten. Aus mehreren Gründen wurden sie nicht zum Trumpf.Zum einen zogen die Russen in der Drohnen-Produktion schnell nach und übertrafen das ukrainisch-westliche Pendant bereits in einigen Regionen. Zum anderen beklagen sich ukrainische Soldaten, nur einen Bruchteil des versprochenen Drohnen-Quantums tatsächlich zu erhalten. Der Vorwurf horrender Korruption in der Armee- und Staatsführung, die signifikante Teile der Fronthilfen veruntreut, wird nach dem Scheitern der Sommeroffensive lauter.Zudem hat Russland neue Eloka-Systeme platziert, die an manchen Kampfabschnitten einen Einsatz ukrainischer Drohnen komplett unterdrücken. Laut US-Quellen könnten diese Systeme zu einer russischen Dominanz im „Krieg der Drohnen“ führen. Optionen, wie der Westen bei der elektronischen Kriegsführung der Ukraine helfen könnte, gebe es kaum, stellt der Economist fest.Bei wachsenden Schwierigkeiten an der Front kommen aus Kiew ambivalente Signale. Überraschend erklärte Wolodymyr Selenskyj, der Donbass werde schwieriger zurückzuerobern sein als die Krim. Die Menschen im Donbass hätten zehn Jahre Krieg hinter sich, Angehörige im Kampf gegen die ukrainische Armee verloren und würden sich daher „in einer anderen Dimension“ befinden. „Ich glaube, dass die Gebiete mit den Menschen zurückkommen. Wenn die Menschen das nicht wollen, wird es sehr, sehr schwierig sein“, so Selenskyj. Örtliche „Separatisten“ seien die hartnäckigeren Gegner, die stehenblieben, wenn sich russische Einheiten zurückziehen würden. Die Äußerungen sind ein Indiz dafür, dass in Kiew wohl die Erkenntnis reift, dass manche Gebiete „schwer zurückholbar“ sind und zwar nicht wegen Russland, sondern der lokalen Bevölkerung.Selenskyj legte nach, indem er überraschend den forcierten Bau von Defensivlinien entlang der gesamten Front als Priorität einstufte. Mit dem jähen Wechsel von der Offensiv- zur Verteidigungsrhetorik hat sich Kiew von ambitionierten Vorstoßplänen verabschiedet. Parallel dazu werden in den USA Rufe nach Verhandlungen und einer Waffenruhe lauter.Israel-, Deutschland- und Korea-ModellDrei Varianten schälen sich heraus: das Israel-, das Deutschland- und Korea-Modell. Ersteres geht davon aus, dass eine formelle Neutralität der Ukraine ausgehandelt werden kann. Kiew würde de jure auf eine NATO-Mitgliedschaft verzichten, de facto aber zum wichtigsten US-Alliierten in Osteuropa aufsteigen und so die gleiche Rolle übernehmen, wie sie Israel für die USA in Nahost spielt. In der US-Presse wird die Ukraine bei diesem Szenario mit einem für Moskau „unverdaulichen Igel“ verglichen, der hochgerüstet wäre, um Russland auch ohne eine NATO-Mitgliedschaft gewachsen zu sein. Die Frage drängt sich auf: Wie weit geht die Aufrüstung des „Igels“? Israel genießt nicht nur US-Schutz, sondern verfügt über Kernwaffen. Sollte die Ukraine – als eine Art Israel 2.0 in Osteuropa – auf Atomwaffenarsenale zurückgreifen dürfen?Ein anderes Szenario, welches die New York Times als Deutschland-Modell ins Spiel bringt, sieht vor, dass die Ukraine auf östliche Territorien verzichtet, danach aber eine schnelle NATO-Mitgliedschaft und somit bedingungslose Sicherheit bekommt. Eigentlich sind NATO-Beitritte von Ländern mit ungelösten Territorialkonflikten unmöglich, doch wird in der US-Presse nun seit Monaten eine Version skizziert, die auf Nachkriegsdeutschland als historischen Präzedenzfall verweist. Schließlich sei Westdeutschland der NATO beigetreten, während Ostdeutschland unter sowjetischer Kontrolle stand. Warum also, wird gefragt, sollte die Westukraine nicht zur westlichen Allianz stoßen, wenn der östliche Streifen zunächst unter russischer Kontrolle bleibt und man die Frontlinie einfriert? Beide Kriegsparteien könnten sich als Sieger darstellen: Die Ukraine hätte die NATO-Aufnahme „erkämpft“, Russland die Krim und den Donbass behauptet.Eine weitere Variante ist das Korea-Modell. Es sieht vor, dass die Ukraine ohne Aussicht auf NATO-Mitgliedschaft auf östliche Gebiete verzichtet. Das Szenario – unter anderem von US-Admiral a. D. James Stavridis favorisiert – sieht ein Ende des Ukraine- nach dem Muster des Korea-Krieges kommen. Da Kiew nicht in der Lage sein werde, militärisch zu gewinnen, müssten realistische Entscheidungen getroffen werden, darunter ein Gebietsverzicht. Die Überlegungen implizieren, dass die Ukraine als Staat an ihre absolute Belastungsgrenze gerät und irreversibler Schaden droht, falls weiter ein Auszehrungskrieg stattfindet. Bei einem Waffenstillstand würde die Front eingefroren und zur Trennlinie wie der 38. Breitengrad zwischen Nord- und Südkorea.