In Thüringen streiken Busfahrer mit Klimaaktivisten: Im Osten geht die Sonne auf
Demo Verdi geht zusammen mit Fridays for Future auf die Straße? Was vor kurzem wegen der „Klimakleber“ noch undenkbar war, klappt im beschaulichen Eisenberg schon prima. Ein Lehrstück über den Zusammenhang von Klassenkampf und Klimagerechtigkeit
Das Ergebnis eines halbjährigen Beziehungsaufbaus zwischen Klimakleber-erfahrenen Busfahrern und Fridays-for-Future-Aktivistinnen lässt sich in Eisenberg zwischen Jena und Gera bestaunen.
Grafik: der Freitag
Zwei Uhr morgens, Ende Februar 2024, in Eisenberg, einer Kleinstadt mit etwa 10.000 Einwohnern in Thüringen, auf halbem Weg zwischen Jena und Gera. Eine Feuertonne brennt vor dem Werktor der hiesigen Verkehrsbetriebe. Eine Fahne der Gewerkschaft Verdi verkündet: „Wir streiken!“ Heute fährt hier kein Bus rein oder raus. Es ist noch kalt und dunkel in Eisenberg, mitten in der Nacht. Um die Feuertonne stehen bereits einige Busfahrer, die sich wärmen – so gut es eben geht. Einer von ihnen ist Ingo Röhr.
Er kommt aus Eisenberg, arbeitet seit 2006 als Busfahrer und liebt seinen Beruf: „Ich bin gerne da für die Fahrgäste und möchte, dass sie sich wohlfühlen, dass sie wissen, ich fahre sie von der Schule nach Hause und wieder zur&
der Schule nach Hause und wieder zurück oder die alten Leute zum Arzt oder zum Einkaufen.“ Er streike heute dafür, dass sich seine Arbeitsbedingungen verbessern. Ein großes Problem seien für ihn und seine Kollegen der sogenannte „gestreckte Dienst“, der aus Acht-Stunden-Schichten quasi Zwölf-Stunden-Schichten mache: „Wir kommen frühmorgens zum Dienst, arbeiten vier Stunden, gehen dann entweder nach Hause oder machen irgendwo Pause, und kommen dann nachmittags nochmal für vier Stunden auf die Arbeit.“ Entlohnt würden aber nur 7,8 Stunden.Für die Pausen gäbe es auch keinen geeigneten Raum, der sei zu klein für alle Busfahrer im täglichen Einsatz. „Da bleibt dann oft nur der Bus, was im Winter ziemlich kalt werden kann.“ In anderen Schichten würde es oft nicht einmal Pausen geben, dafür seien die Dienstpläne zu eng getaktet: „Wir haben kaum Wendezeiten“, erklärt Röhr. Manchmal habe er am Busbahnhof in Jena nur acht Minuten, bis es weitergehen muss. In der Zeit müsse er Fahrgäste einsteigen lassen und Fahrscheine kontrollieren. „Da bleibt nicht mal Zeit zum Toilettengang.“ Das sei besonders für seine Kolleginnen schwierig.2023 traten mehr als 193.000 Menschen bei Verdi einUm seine Arbeitsbedingungen zu verbessern, brauche es mehr Personal, erklärt Röhr. Aber es finde sich kaum jemand, der als Busfahrer arbeiten möchte: „Ich bin im Betriebsrat und kriege die Personalsituation mit. Es gibt wenig Bewerbungen – und die, die sich bewerben, ziehen schnell wieder zurück.“ Er hat eine Idee, warum das so ist: „Die langen Schichtzeiten sind unattraktiv, die Vergütung auch. Man muss mindestens acht, neun Jahre betriebszugehörig sein, damit das Gehalt am Ende stimmt.“ Kein Job für Neueinsteiger also.Verdi hat seine Strategie geändert: Statt hinter verschlossenen Türen Ergebnisse für die Beschäftigten zu verhandeln, mit denen diese dann vielleicht nicht zufrieden sind, werden die Mitglieder aktiv eingebunden. Außerdem geht man konfliktbereiter in die Tarifrunden. Nicht nur hier in Eisenberg scheint das neue Konzept aufzugehen. Anfang des Jahres gab Verdi bekannt, dass 2023 das „bislang erfolgreichste Jahr seit ihrer Gründung 2001“ gewesen sei. Es seien „mehr als 193.000 neue Mitglieder beigetreten“. Am stärksten war die Entwicklung in drei ostdeutschen Landesbezirken: Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Das ist besonders bemerkenswert, weil die ostdeutschen Bundesländer seit den 1990ern als am wenigstens gewerkschaftlich organisiert gelten.Busfahrer und Gewerkschaften auf der KlimademoDie Deindustrialisierung ganzer Landstriche und damit einhergehende Massenarbeitslosigkeit wirkten „mentalitätsprägend“, heißt es in der Studie Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland, die 2023 von der Otto-Brenner-Stiftung herausgegeben wurde. Im Vordergrund hätten Betriebserhaltungen gestanden, nicht Gewerkschaftskämpfe. Die westdeutschen Gewerkschaften seien skeptisch betrachtet worden. Der Jenaer Soziologieprofessor Klaus Dörre hätte noch 2017 „eine Entgewerkschaftung in den neuen Bundesländern nicht für ausgeschlossen“ gehalten. Doch bereits für 2022 hatte der Tarifexperte des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Heiner Dribbusch, „eine überproportionale lokale Arbeitskampfhäufigkeit in Ostdeutschland im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern“ vermeldet. In der aktuellen Tarifauseinandersetzung haben die Busfahrer nicht nur eine veränderte Gewerkschaft an ihrer Seite.Um acht Uhr morgens ist es in Eisenberg schon etwas heller. Mittlerweile stehen 28 Kollegen und zwei Kolleginnen mit neongelben Westen vor dem geschlossenen Werktor. Kaffee wird eingeschenkt, die Stimmung ist aufgekratzt. Mit dabei ist auch die Studentin Anna-Lene Habicht. Sie ist seit einem Jahr bei „Wir fahren zusammen“ dabei. Das ist eine Initiative, bestehend aus Klimaaktivisten, die sich mit den Beschäftigten der Nahverkehrsbetriebe für eine Verkehrswende einsetzen. Lene, wie alle sie nennen, steht hier wie selbstverständlich unter den Busfahrern.Das ist das Ergebnis eines halbjährigen Beziehungsaufbaus, erzählt sie. „Der Anfang war wirklich zäh und befremdlich, sowohl für uns als auch für die Busfahrer.“ Das bestätigt auch Ingo Röhr: „Verdi hat im Herbst 2023 hier in Jena zu einer Veranstaltung mit Fridays for Future eingeladen und dort sind ein Kollege aus dem Betriebsrat und ich hingegangen. Ich war richtig skeptisch. Letztes Jahr war es furchtbar mit den Klimaklebern. Das habe ich denen auch gesagt: Ihr wollt mit uns zusammenarbeiten, aber klebt euch vor meinen Bus und blockiert den Linienverkehr, sodass unsere Arbeit noch schwerer wird.“ Mittlerweile wisse er die Unterstützung zu schätzen.„Die Klimaleute reichen uns die Hand. Da müssen wir uns jetzt auch mal bewegen“Anfangs fanden die Treffen nur in Jena statt, aber vor ein paar Monaten ist Lene dann nach Eisenberg gefahren, um die Busfahrer direkt an ihrem Arbeitsplatz zu überzeugen. „In den Hotspots wie Jena tummeln sich immer viele Aktivisten“, sagt sie, „ländliche Regionen wie Eisenberg fallen meistens hinten runter“. Vielleicht hatte sie die Stadt auch auf dem Schirm, weil sie von hier kommt: „Ich bin natürlich auch nach dem Abitur gleich nach Jena und hätte nicht gedacht, dass ich mir ein paar Jahre später in Eisenberg die Nacht am Streikposten um die Ohren schlage.“ Und trotzdem liegt noch ein weiter Weg vor Lene und ihrem Bündnis.Nicht alle Busfahrer sind schon überzeugt. Immer wieder diskutieren sie untereinander an der Feuertonne, aber auch in den folgenden zwei Tagen. Am 1. März 2024, einen Tag nach den zweitägigen ÖPNV-Warnstreiks in Thüringen, findet der bundesweite Klimastreik statt. Einer davon findet auch im nahe gelegenen Jena statt. „Busfahrer mit Verdi-Weste auf der Klimademo. Das hat’s noch nie gegeben“, sagt einer der Busfahrer begeistert. Andere versuchen ihre skeptischen Kollegen zu überzeugen, doch noch teilzunehmen: „Die Klimaleute reichen uns die Hand. Da müssen wir uns jetzt auch mal bewegen.“ Wieder andere werden sich vielleicht nie überzeugen lassen. Möglicherweise sind diese respektvollen Diskussionen der Busfahrer untereinander aber schon der Erfolg dieses ungewöhnlichen Bündnisses?Der CDU ist das zu politischUnklar ist bisher, wie es mit den neugeknüpften Beziehungen nach der Tarifauseinandersetzung weitergeht, was in der Zeit der Friedenspflicht passiert, wenn es weniger Anlässe gibt, sich zu treffen. Sowieso sind nicht alle von diesem neuartigen Bündnis begeistert. Kritik kommt von Arbeitgebern und von Politikern wie der CDU-Bundestagsabgeordneten Gitta Connemann, die im Deutschlandfunk fordert, die Streiks zu verbieten, da politische Forderungen gestellt würden, was in Deutschland als juristisch unzulässig gilt.Andreas Schackert, der in der aktuellen Tarifrunde für Verdi auf Bundesebene Verhandlungen führt, weist diesen Vorwurf von sich: „In der öffentlichen Daseinsvorsorge hat jede Tarifrunde auch eine politische Dimension. Und in der Tarifauseinandersetzung führen wir natürlich keinen politischen Kampf. Wir starten diese Tarifrunde aber mit einer politischen Kampagne zur Finanzierung des kommunalen ÖPNV.“ Und natürlich sind es politische Entscheidungen, die die Streiksituation so schwierig machen. Da ist einerseits die zerklüftete Tariflandschaft, auf die sich die Gewerkschaften vor 25 Jahren eingelassen habe. Deswegen verhandle jetzt jede Kommune einzeln. Das müsse sich wieder ändern, erklärt Schackert: „Wir haben noch Kollegen, die sich an den bundesweiten Tarifvertrag erinnern und die sich fragen, warum sind eigentlich die Arbeitsbedingungen für einen Busfahrer in Bamberg anders geregelt als für einen Busfahrer in Erfurt?“Auch wenn er findet, dass die Arbeitgeber sich zu wenig bewegen, könnten die meistens Kommunen die Herausforderungen eines Nahverkehrsausbaus gar nicht allein stemmen: „Es gibt eine Verantwortung von Bund und Ländern, zu finanzieren und sich zu beteiligen“, so Andreas Schackert, der an diesem Morgen extra aus Berlin nach Thüringen gereist ist. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben die Busfahrer aus Eisenberg und Jena mit den Klimaaktivisten in den letzten Wochen Unterschriften in den Betrieben, bei den Fahrgästen und in der Zivilgesellschaft gesammelt. Am zweiten Streiktag übergeben sie diese der thüringischen Verkehrsministerin Susanna Karawanskij (Die Linke). Doch auch sie verweist nur auf den Bund, auf Landesebene seien ihr die Hände gebunden: „Es gibt ja immer wieder Sondervermögen, warum also nicht für den Nahverkehr?“ Für Karawanskij liegt das Problem bei den Entscheidungen im Bundesfinanzministerium: „Wir sehen, dass die Schuldenbremse mehr und mehr zu einer Investitions- und Zukunftsbremse wird.“Immer wieder steht die Bundesregierung in der Kritik, nicht genug gegen den Klimawandel zu unternehmen, aber es gibt noch eine weitere politische Dimension, die man vielleicht in Betracht ziehen sollte: Am 1. September 2024 wird der Landtag in Thüringen neu gewählt. Im Wahlkreis Gera II, zu dem auch Eisenberg gehört, hatte die AfD 2019 29,9 Prozent geholt. Die Otto-Brenner-Stiftung zeigt in ihrer bereits erwähnten Studie, dass „erlebte Handlungsfähigkeit im Betrieb“ und aktiv ausgeübte gewerkschaftliche Beteiligung ein wirksames Mittel gegen rechte Einstellungen und Ohnmacht sind. Doch was ist, wenn die Streikenden in Thüringen auch in der nächsten Tarifverhandlung am 13. März 2024 wieder kein Angebot von ihren Arbeitgebern bekommen, das sich für sie lohnt? Und wenn es als Begründung wieder nur heißt: Vom Bund gab es leider kein Geld dafür. Ja, was dann?
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