Quo vadis Klimabewegung? Über die Zukunft von „Fridays for Future“ und „Letzte Generation“
Protest Fridays for Future geht zusammen mit Verdi auf die Straße. Demonstriert wird für eine Verkehrswende und mehr Gerechtigkeit. Doch obwohl ihr Anliegen wichtig ist, liegt die Klimabewegung weltweit am Boden. Das hat drei Gründe
Nachrichten aus den letzten Wochen: Der größte Eisberg der Welt, in der Fläche fünf Mal größer als Berlin und bis zu 400 Meter hoch, driftet in Richtung Südatlantik. Schneller als gedacht. Im Durchschnitt lag die Temperatur des Atlantiks im vergangenen Jahr mehr als ein Grad Celsius über dem Langzeitmittel der Jahre von 1982 bis 2011. Die globale Temperatur von Februar 2023 bis Januar 2024 wurde im Durchschnitt 1,52 Grad Celsius höher gemessen als in der Zeit vor der Industrialisierung. Der vergangene Januar war der heißeste, seit den Aufzeichnungen.
Der Ozeanograph und Klimatologe Stefan Rahmstorf analysiert im Spiegel, dass wir „genügend Eis auf der Erde haben, um den Meeresspiegel um 65 Meter steigen zu lassen – das entsp
Stefan Rahmstorf analysiert im Spiegel, dass wir „genügend Eis auf der Erde haben, um den Meeresspiegel um 65 Meter steigen zu lassen – das entspräche der Höhe eines Hochhauses mit 20 Stockwerken“.Mit dem Ende der letzten Eiszeit, erwähnt er außerdem, stieg der Meeresspiegel um etwa 120 Meter – nachdem sich das Klima um etwa fünf Grad Celsius aufwärmte. Klimakatastrophen kosteten die USA 92,9 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr. Das World Economic Forum hat überschlagen, dass die Konsequenzen der euphemistisch „Wandel“ genannten Veränderung – Stürme, Fluten, Hagelschauer, Hitzwellen, Erdrutsche oder sonstige Phänomene – in den letzten 20 Jahren Schäden provozierte, die 16,3 Millionen Dollar kosteten. Allerdings pro Stunde. Bis 2050 steige der Kostenpunk, rechneten die Wissenschaftler aus, auf 1,7 bis 3,1 Billionen Dollar im Jahr. Nein, nicht Milliarden.Greta Thunberg: „Wenn alle so lebten wie Schweden, bräuchten wir 4,2 Planeten“Zusammen mit dem Stockholm Environment Institute hat Oxfam ausgerechnet, dass 2019 das wohlhabendste Prozent der Weltbevölkerung mit ihren Flugreisen, ihrem hohen Konsum, ihren großen Häusern für so viel klimaschädliche Emissionen verantwortlich war, wie die fünf Milliarden Ärmsten der Welt. Überhaupt leiden ärmere Länder mehr unter der dramatischen Verschiebung des Klimas, reichere Menschen können sich besser davor schützen. Ein amerikanischer Standardkühlschrank verbraucht mehr Energie als drei Milliarden Bewohner der Welt pro Kopf und Jahr.Man könnte also denken, dass eine Protestbewegung gegen Verursacher von Klimaschäden großen Zulauf haben müsste. Man könnte außerdem denken, dass der Blick auch nach innen gehen würde, dass wir unseren Lebensstil hinterfragen, unser Konsummodell umbauen, unsere Art zu Wirtschaften verändern würden. Das hieße, die Sympathie, die Greta Thunberg mit ihrem Schild „Skolstreijk för klimatet“ zuflog, nicht sofort wieder abzuschütteln. In Das Klima Buch notiert sie: „Wenn alle so leben würden wie wir in Schweden, bräuchten wir die Ressourcen von 4,2 Planeten Erde, um uns zu versorgen.“Das würde auch bedeuten, den Gedanken der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann ernst zu nehmen: Sie hat häufig genug darauf hingewiesen, dass sich unser Lebensmodell nicht mit etwas E-Autos verlängern ließe und die Gesamtsituation auf „grünes Schrumpfen“ hinauslaufe, nicht auf grünes Wachstum. Nur scheint es, als seien Gruppen, die sich gegen die Verlängerung eines klimavernichtenden Stils von Wirtschaften und Leben an einem toten Punkt angekommen. Viele sind erschöpft, steuern weg vom dringenden Thema Klima, manövrieren sich in Gebiete mit geminderter Relevanz.Die Klimabewegung hat ihren Sexappeal verlorenDie „Letzte Generation“ kündigte an, bei der Europawahl anzutreten, will sich in das Parlament wählen lassen, vor dem sie vor einem Jahr noch protestierten. Auf Straßen will sie sich nicht mehr festkleben. „Extinction Rebellion“ will zu gemäßigterem Protest übergehen, wie der aussieht, ist noch unklar. Der Gründer Roger Hallam hat überlegt, ob man nicht wieder an Haustüren klopfen solle. An „Fridays for Future“ zerren Zentrifugalkräfte des stetig gewordenen politischen Aktivismus – Greta Thunberg verirrt sich in Leipzig mit Begriffen von „Genozid“ und agitiert gegen Israel. Luisa Neubauer ist auf die brave Schiene von Ver.di-Streiks abgebogen. Ihre Auftritte auf Demonstrationen wirken wie ein Bauchladen von Berlin-Kreuzberger Normalbürger: Für bessere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Personen-Nahverkehr, für Solidarität mit Israel, gegen Rechtsextremismus.Kurzer Anruf bei Nils Kumkar, der als Soziologe an der Universität Bremen auch zu sozialen Bewegungen forscht. „Den Organisationen ist zunächst gelungen, ihr Anliegen in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten“, sagt er. Schon damals hatten die Organisationen mit unterschiedlichen Formen experimentiert: Von der großen Demonstration bis zu Kartoffelbreiwerfen war vieles dabei. Dann ließ die Aufmerksamkeit bei Medien nach (die der Justiz hielt sich), „die Aktionen liefen sich in gewisser Weise tot“. Ein wesentlicher Grund sei, dass sich in den Funktionseliten der Gesellschaft keine Verbündete fanden, die sich das Anliegen der Umweltgruppen zu eigen machten. „Es ist“, sagt Kumkar, „nicht gelungen, den Klimawandel mit gesellschaftlichen Konflikten zu verknüpfen.“Tatsächlich begleitete ein gegenseitiges Befremden etliche Aktionen und deren Stimmlage: Der Endzeit-Ton von Extinction Rebellion oder Ende Gelände verspielte manche Sympathien. Empörung muss sich steigern und irgendwann geht es auf der schrillen Skala nicht weiter. Dagegen: Wer begriffen hat, dass die Klimakatastrophe in alle Lebensbereiche eingreift, kann sicher für Tarifverträge auf die Straße gehen, für Gesetze, die Moore schützen oder Zuschüsse für Solaranlagen garantieren. Er oder sie gerät dann aber in Gefahr, den Weg der Grünen nachzuzeichnen, teilzunehmen an einem System, das Aktivist*innen eben noch verurteilten. Das ist in etwa wie ein Bausparvertrag: Sicher von Vorteil, aber leider ohne Sexappeal.Ein wesentlicher Grund für die Erschöpfung ist, dass Aktivist*innen hauptsächlich auf drei Dinge stießen: Das klassische Problem sozialer Bewegungen namens „kurzfristige Mitmachbegeisterung“. Außerdem sehr viel Ärger im blockierten Straßenverkehr oder dem symbolisch beschmierten Museum (den zu ertragen, gebührt viel Respekt). Vor allem aber auf viel Desinteresse. Unser Desinteresse nämlich.Der eschatologische Ton vieler Klimaproteste betraf uns nichtNils Kumkar sieht das aus der analytischen Perspektive als Problem der Gruppierungen – keiner, sagt er, sei es gelungen, „ein Gegenüber zu markieren“. Oder wenn Konzernzentralen mit orangener Farbe angesprüht wurden, funktionierte die symbolische Übertragung auf das Brandenburger Tor nicht mehr. Im Wesentlichen aber liegt der unbestimmte Gegner darin, dass wir es oft selbst sind. Unsere Lebensstilfalle, in die wir uns mit fossilen Energiequellen hineinversenkt haben. Und wenn unsere nähere Zukunft noch einigermaßen bequem zu bleiben verspricht, genügt das schon mal, um weiterzumachen. Zumindest ist das angenehmer als die Mühen eines fundamentalen Wandels. Der fast eschatologische Ton vieler Klimaproteste wirkte überkandidelt, betraf uns nicht.Wir haben also mit Trägheit auf einen Angriff gekontert, der unseren Lebensstil galt. Ein klimapolitisch gedachtes Gesetz, das Wärmepumpen fördern will, halten wir Rekordkäufe von Ölheizungen entgegen (auch wenn Wärmepumpen an Marktanteilen gewannen). In der Frugalität von Beschränkung vermuten wir ein Eindampfen von Freiheit – revenge travels treiben die Zahlen von Fernreisen an: Wir holen die Pandemiepause auf und wenn nächstens eh alles brennt, fällt ein Wochenende auf Mallorca auch nicht mehr ins Gewicht. Was wurde aus der Eidgenössischen Volksinitiative, die eine der großen CO2-Emittenten angreifen wollte und „Keine Massentierhaltung in der Schweiz“ verlangte? Abgelehnt mit 62,9 Prozent.Nils Kumkar sieht deshalb den toten Punkt der Protestgruppen, ihre taktische Neusortierung auch als eine Art Orientierung. Sie seien augenscheinlich, sagt er, „allesamt auf der Suche nach Bündnispartnern für ihr Anliegen“. Im vergangenen Frühsommer gab die Organisation More in Common eine Umfrage in Auftrag, die fragte, wie beliebt die Klimabewegung sei. Ergebnis: Nur noch 25 Prozent aller Befragten hatten den Eindruck, dass die Umweltbewegung das Wohl der Gesellschaft im Blick habe. Zwei Jahre davor waren es 60 Prozent.Proteste gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen sind an einem toten Punkt angelangt, weil wir uns für beide nicht übermäßig interessieren.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.