Sie als politische Überfliegerin zu bezeichnen, wäre absolut übertrieben. Im Verlauf ihrer Karriere ist Esther McVey (56) mehr als einmal Inkompetenz vorgeworfen worden. Sie neigt zu Äußerungen, die im ganzen Land kontroverse Reaktionen verursachen. Vor einigen Jahren publizierte die Lokalzeitung Liverpool Echo einen Artikel mit dem Titel „Warum Esther McVey in ihrem Heimatort so unbeliebt ist“.
Ministerin für „common sense“
Nichtsdestotrotz wurde sie gerade befördert. Premierminister Rishi Sunak hat McVey Mitte November zurück in die Regierung geholt, sie ist jetzt Ministerin ohne Portfolio – eine traditionell schwammige Rolle, deren genaue Aufgabe der Regierungschef noch nicht umrissen hat. Insider haben den britischen M
hat McVey Mitte November zurück in die Regierung geholt, sie ist jetzt Ministerin ohne Portfolio – eine traditionell schwammige Rolle, deren genaue Aufgabe der Regierungschef noch nicht umrissen hat. Insider haben den britischen Medien gesteckt, dass der Kampf gegen „woke“ und die Förderung des „common sense“ im Vordergrund stehen sollen. Mit anderen Worten: McVey ist „Ministerin für den gesunden Menschenverstand“. Was das genau bedeutet, weiß niemand – sicher scheint aber: Es handelt sich um einen Job, für den sie wie gemacht ist.Esther McVey wurde 1967 im Liverpooler Stadtteil West Derby geboren. Sie ging auf eine Privatschule und studierte dann Rechtswissenschaften sowie Radiojournalismus in London. Nebenbei arbeitete sie als Kellnerin in Covent Garden, inmitten der Londoner Showbiz-Zone. Dort sei sie mit verschiedenen Leuten aus der Unterhaltungsbranche in Kontakt gekommen und dachte sich: „Das klingt interessant“, erzählte sie vor Jahren in einem BBC-Podcast. Also ging sie zum Fernsehen.Liverpoolerin bei den ToriesMehr als ein Jahrzehnt lang stand McVey vor der Kamera, sie moderierte Kindersendungen, religiöse Programme und das Frühstücksfernsehen. Doch sie wollte mehr. „Wenn man im Leben etwas fundamental verändern will, dann muss man dort sein, wo sich etwas bewirken lässt“, sagt sie im Podcast. Das hieß: Westminster! Ihre Mutter sei entsetzt gewesen: „Est, wieso willst du alles aufgeben und in die Politik gehen? Und warum willst du ausgerechnet zu den Tories? Die Leute werden dich dafür hassen.“ Liverpool gilt seit Jahrzehnten als Labour-Hochburg. Dass ein Kind dieser Stadt zu den Konservativen abwandert, ist eher ungewöhnlich.Der Ärger, den McVey auf sich zog, hatte freilich weniger damit zu tun, sondern folgte aus ihrer Politik. Nach dem Einzug ins Unterhaus im Jahr 2010 wurde sie als Staatsministerin ins Arbeitsministerium berufen. In diesem Ressort trug sie drastische Sozialkürzungen mit, die Menschen landesweit mehr Armut verordneten. Ihre Rhetorik half nicht unbedingt, den wachsenden Zorn der Briten über den sozialen Kahlschlag abzukühlen: Als 2013 die Zahl der Essensausgaben für Mittellose stark angestiegen war, meinte sie, es sei doch positiv, dass sich die Leute gegenseitig helfen würden. Bei den Wahlen 2015 konnte sie ihren Sitz nicht verteidigen, sie verlor ihn an Labour.Esther McVey war überzeugte Brexit-AnhängerinZwei Jahre ohne Westminster schlossen sich an, die McVey bei der britischen Transportbehörde verbrachte. Als dann aber die damalige Premierministerin Theresa May 2017 unerwartet vorgezogene Neuwahlen ausrief, war McVey wieder dabei. Sie gewann für die Tories den sicheren Wahlkreis Tatton. Einige Monate später kam sie erneut in die Regierung und führte nun das Arbeitsressort – sehr zur Empörung von Armutskampagnen, die sich gut an ihre dort schon einmal gespielte Rolle erinnerten. Aber McVey blieb nicht lange auf ihrem Posten.Als überzeugte Brexit-Anhängerin rebellierte sie gegen den „weichen“ Kurs von May und trat Ende 2018 zurück. Zwar wurde sie von Premier Boris Johnson nochmals in die Regierung befördert, aber Westminster war immer weniger der Ort ihres Wohlergehens. 2021 kehrte sie vor die Kamera zurück. Zusammen mit ihrem Mann Philip Davies, ebenfalls Tory-Abgeordneter, moderierte sie eine Frühsendung im rechtskonservativen Sender GB News. Das Programm nannte sich Saturday Morning with Esther and Philip.Zeitungskolumnistin beim RevolverblattAls Zeitungskolumnistin im Revolverblatt Daily Express hatte sie außerdem viel Raum, ihre Lieblingsthemen zu beackern: den „wokeism“ und die Feinde des „gesunden Menschenverstands“. Sie wetterte gegen „politische Aktivisten, die uns ihre diskriminierenden Meinungen aufzwingen“, indem sie „Statuen stürzen“ und sogenanntes „flag shaming“ betreiben – ein nicht weiter definierter Begriff, der wohl anzeigen soll, dass patriotische Gefühle verunglimpft werden. Was McVey besonders auf die Palme bringt: Werbung, die Männer in Frauenkleidern zeigt. Vor einem Jahr unterzeichnete sie einen offenen Brief an den Schatzkanzler, in dem beklagt wird, dass der Fiskus angeblich sieben Milliarden Pfund für LGBT- und antirassistische Projekte ausgibt.Mit ihrer jüngsten Berufung wird McVeys Faible zur hochoffiziellen Mission. Das dürfte jedoch weniger an ihren Passionen liegen als an der Funktion, prominente Vertreterin des rechten Flügels der konservativen Partei zu sein. So sehen es zumindest die Tory-Experten in der britischen Presse: Nachdem Rishi Sunak seine Innenministerin Suella Braverman, die Ikone der Migrationsfeinde, geschasst hat, ist McVeys Ernennung als eine Art Kompensation gedacht.