Nach heftigen, landesweiten Protestaktionen und Streiks gilt Emmanuel Macrons Rentenreform als besiegelt. Diese hat mehrere Vorgeschichten, die für die beteiligten Politiker und Gewerkschaften mit Niederlagen in verschiedenen Dimensionen verbunden waren. Alles begann 1995, als eine Reform der Altersbezüge zunächst an massiven Streiks und Protesten im öffentlichen Dienst und im Verkehrswesen scheiterte. Unter dem Präsidenten Nicolas Sarkozy wurde dann 2010 die Zahl der für die Rente benötigten Beitragsjahre erstmals erhöht, der Sozialist François Hollande tat dasselbe vier Jahre später. Macron dagegen erlitt 2020 Schiffbruch mit seinem Versuch, das Eintrittsalter von 62 auf 64 Jahre zu erhöhen, was nun im zweiten Anlauf gelungen ist.
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Danach gibt es in der französischen Politik vor allem zwei Verlierer: Macron und Jean-Luc Mélenchon, den Chef der einzigen handlungsfähigen, linken Oppositionspartei LFI. Die Sozialisten, ebenso die Kommunisten wurden durch Macrons neoliberale Politik völlig marginalisiert. Mélenchon scheiterte mit seiner Verzögerungsstrategie an der Taktik der Regierung, die den Spielraum der Verfassung optimal für ihr Projekt ausnutzte. Dies betraf die Artikel 40 und 47.Der erste, in seiner Bedeutung unter Juristen umstrittene Passus, verbietet Anträge der Opposition, die den Staatshaushalt schmälern, der zweite erlaubt es der Regierung, Vorhaben als Nachtragshaushalte zu deklarieren, womit sich die parlamentarische Beratungsfrist automatisch auf 50 Tage verkürzt. Damit lief Mélenchons Verzögerungstaktik mit rund 20.000 Änderungsanträgen in der Nationalversammlung – unabhängig von der umstrittenen Anwendbarkeit von Artikel 40 – ins Leere – allein wegen des zügigen Ablaufs der Beratungsfrist.Für die Gewerkschaften hingegen zieht nun Sophie Binet, die neue Generalsekretärin der CGT, eine positive Bilanz der Proteste gegen die Rentenreform. Zu den unbestreitbaren Aktivposten der vergangenen Monate rechnet sie die Tatsache, dass es gelungen ist, die politisch konkurrierenden und zerstrittenen Gewerkschaftsverbände zu einer „Union Syndicale Solidaires“ zusammenzuführen, die während der ganzen Kampagne problemlos gehalten hat.Taktische FintenZu diesem Erfolg trug maßgeblich auch die sozialistische CFDT bei, deren Vorstand fast immer abseits stand, wenn es um gemeinsame Aktionen und Projekte ging. Zur breiten Mobilisierung der Gewerkschaften gehört auch, dass sich die von der Regierung immer wieder behauptete finanzielle Notlage der Rentenkassen schnell als taktische Finte ohne belastbares Fundament herausstellte. Damit erwies sich ein Grund für die Reform, den Macron gern hervorhob, als Luftnummer. Die Gewerkschaften könnten sich aber auch deshalb als Gewinner sehen, so Sophie Binet, weil der Präsident jetzt ohne parlamentarische Mehrheit dastehe und die restlichen Vorhaben seiner zweiten Amtszeit abschreiben müsse. Und noch einmal um das höchste Staatsamt kandidieren, das kann er nicht.Schließlich fällt positiv ins Gewicht, dass die Proteste gegen die sozial schiefe Reform trotz des Ausgangs in der Bevölkerung äußerst populär bleiben. Nicht zuletzt beflügeln 80.000 neue Mitglieder die Stimmung und die Bilanz von CGT und CFDT. „Wir haben einer radikalisierten Macht, die ihr Projekt um den Preis einer Stärkung des Rechtsradikalismus sowie auf Kosten von Rechten und Freiheiten rücksichtslos durchgepeitscht hat, die Stirn geboten“, so Sophie Binet, wenn sie Macron mit Margaret Thatcher vergleicht. Die freilich, im Unterschied zu Macron, immerhin über eine parlamentarische Mehrheit verfügte für ihren gewerkschaftsfeindlichen Kurs.Für die CGT-Generalsekretärin befinden sich die Gewerkschaften in „einer Position der Stärke“, um das Versprechen des Conseil National de la Résistance, „allen soziale Sicherheit von der Wiege bis zur Bahre zu garantieren“, endlich einzulösen. „Wir haben eine Saat für die Zukunft ausgebracht. Es liegt an uns, sie gedeihen zu lassen.“