Das Wirtschaftsbündnis BRICS plus wird jetzt sechs neue, aber sehr verschiedene Mitglieder aufnehmen, wie Saudi Arabien oder Ägypten. Das stärkt natürlich ihre Bedeutung, aber kann wegen der sehr verschiedenen Interessen auch Probleme produzieren. Warum war Russland dennoch ein großer Befürworter der Erweiterung?
Alexander Libman: Es kommt vor allem darauf an, was man mit der BRICS will. Wenn die Aufgabe wäre, gemeinsame politische Entscheidungen vorrangig im Bereich der Umverteilung zu treffen, dann ist eine unbegrenzte Erweiterung natürlich ein Problem. Das sieht man gut in der EU. Es kommt aber auf die Nutzung an. Für Russland ist es zum einen als Symbol wichtig zu zeigen, dass es nicht isoliert ist in den internationalen Beziehungen. Hier hat
s es nicht isoliert ist in den internationalen Beziehungen. Hier hat die BRICS-Erweiterung eine Signalwirkung durch die neuen, einflussreichen Mitglieder. Das nächste große Treffen wird zudem in Kasan in Russland stattfinden. Dort kann man betonen, dass Russland nicht allein steht. Die BRICS ist also kein Gegenstück zur EU?Man will in dem Bündnis nicht zwingend eine gemeinsame Politik machen. Aber man vermeidet durch die Mitgliedschaft, gegeneinander zu agieren und baut wirtschaftliche Beziehungen auf. Man hat von Anfang an kein gemeinsames Regelwerk und plant auch keines. Stattdessen plant man einfach gemeinsame, lukrative Projekte. Das russische Gegenstück zur EU ist eher die Eurasische Wirtschaftsunion mit Staaten Zentralasiens, Armenien und Belarus.Aber ist Russland für die Mitglieder der Organisation für solche Projekte überhaupt attraktiv? Im Bündnis sind ja auch China oder Indien als wesentlich attraktivere Partner?Für Russland ist es wichtig, dass die Mitglieder einer gemeinsamen Organisation im Austausch stehen, ein Forum bilden und so auch Wirtschaftsbeziehungen zu Russland nicht in Frage stellen. Aber es geht hier nicht nur darum, was Russland erwartet, sondern die anderen Staaten. Für diese ist Russland tatsächlich nicht das wichtigste Mitglied der Allianz. Dennoch boomen zwischen einigen der Staaten und Russland die Beziehungen auf pragmatische Weise. Wie das Beispiel der Türkei zeigt, kann man viel gewinnen, wenn nach der Kappung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen mit beiden kooperiert. Die Vereinigten Arabischen Emirate als neues BRICS-Mitglied machen ja dasselbe. Andere Staaten treten nicht zwingend bei, um mit Russland mehr zusammenzuarbeiten, aber immerhin auch nicht weniger.Spielen die neuen BRICS-plus-Mitglieder dann eine große Rolle bei der Umgehung von Sanktionen?Man muss die Themen Sanktionsumgehung und Aufbau von wirtschaftlichen Beziehungen klar trennen. Der Westen bekämpft die Umgehung der von ihm beschlossenen Sanktionen. Nicht sonderlich erfolgreich, aber das ist ein anderes Thema. Aber generell ist es schwierig, anderen Ländern vorzuwerfen, dass sie etwas tun, was gar nicht verboten ist. BRICS-Staaten können jedoch für neue wirtschaftliche Beziehungen und für Sanktionsumgehung wichtig werden. Indien zum Beispiel ist entscheidend für die russischen Ölexporte. China ist als Exporteur von Technologie quasi mit jedem Monat wichtiger. Nicht überall ist es zum Westen wettbewerbsfähig. Aber in Bereichen wie Konsumelektronik oder beim Automobilbau ist es alles andere als ein Entwicklungsland. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind wichtig für das Kapital, als Finanzplatz. Das ist eine ganz andere Rolle, als die der Staaten in Zentralasien, von denen bei der Umgehung von Sanktionen oft die Rede ist. Die haben alle diese Möglichkeiten nicht. Mehrere BRICS-Mitglieder sehen Russlands Feldzug in der Ukraine kritisch, fordern ein sofortiges Ende des Krieges. Südafrika wollte beim Gipfel nicht für Putins Sicherheit garantieren. Behindert der Status eines Sorgenkindes im Bündnis nicht die wirtschaftliche Zusammenarbeit?Zurückhaltung gibt es tatsächlich in einigen Bereichen. Das hat aber weniger mit dem Krieg unmittelbar zu tun, als vielmehr mit der Gefahr westlicher Sekundärsanktionen. Da ist man vorsichtig. Selbst China versucht hier, den Westen nicht direkt herauszufordern, weil es wirtschaftlich keinen Sinn macht. Man praktiziert wirklich eine rein pragmatische Vorgehensweise und Russland ist wirtschaftlich auch nicht so stark, wie sich die BRICS-Partner das wünschen würden. So wäre es falsch zu sagen, dass diese Staaten ohne irgendwelche Einschränkungen Beziehungen zu Russland aufbauen. Kooperiert man also nur vorsichtiger mit Russland, während man den Krieg kritisiert?Die BRICS-Staaten fordern tatsächlich ein Ende des Krieges. Aber das ist für sie kein Grund für eine Kappung von Wirtschaftsbeziehungen. Eine solche würde für sie selbst einen Schaden bedeuten und sie glauben nicht, dass das etwas bewirken würde. Ich muss jetzt sehr vorsichtig formulieren. Für sie ist das sofortige Kriegsende nicht automatisch mit dem Rückzug der russischen Armee aus der Ukraine verbunden. Sie tragen nicht die Selenskyj-Formel mit, die vom Westen unterstützt wird. Sie glauben mehr, dass man nach dem Krieg eine Art Zwischenlösung finden sollte. Sie liegen dabei nicht so falsch, dass solche Zwischenlösungen auch in internationalen Konflikten einfacher zu erreichen sind. Andererseits nehmen die BRICS-Staaten den Ukrainekrieg eindeutig als russische Aggression wahr, das wird ja auch so verbalisiert. Einige sagen das klar und deutlich, andere wie China bauen rund herum Konstruktionen. Aber sie sehen sie als eine Aggression von vielen und verstehen nicht, warum sie gerade in diesem Fall auf ihre gesamten Wirtschaftsinteressen verzichten und alle Verbindungen zu Russland kappen müssen. Wenn es im Fall von anderen Aggressionen so nicht getan und auch nicht gefordert wurde.