Der Krieg in der Ukraine wird die so oft beschworene „regelbasierte Weltordnung“, sprich: die Vorherrschaft des Westens, aus den Angeln heben und neuen Regeln den Weg bahnen. Wie diese Regeln dann aussehen werden, wissen wir noch nicht, aber je länger der Krieg dauert, desto unangenehmer könnte das Ergebnis für den Westen ausfallen.
Entscheidend ist dabei nicht, was auf dem regionalen Schlachtfeld passiert, entscheidend ist, was sich jenseits davon weltpolitisch zusammenbraut. Der Krieg in der Ukraine, das ist unübersehbar, beschleunigt das bereits zur Jahrtausendwende einsetzende Wettrennen um die Gunst des globalen Südens. China und Russland wollen die unipolare Weltordnung überwinden, und dafür benötigen sie die Unterstützung m
ussland wollen die unipolare Weltordnung überwinden, und dafür benötigen sie die Unterstützung möglichst vieler UN-Mitglieder.BRICS: 42 Prozent der WeltbevölkerungDie haben sie. In Johannesburg findet in dieser Woche das 15. Gipfeltreffen der BRICS-Staaten statt, jener fünf Schwellenländer Südafrika, Brasilien, Indien, China und Russland, die zusammen 42 Prozent der Weltbevölkerung, 30 Prozent der Landfläche, 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 18 Prozent des Welthandels repräsentieren. Das Interesse am Gipfel ist groß. 23 weitere Länder haben um Aufnahme in die BRICS-Organisation gebeten, darunter der Iran, Saudi-Arabien, Algerien und Ägypten, 40 Länder bekunden Interesse. Die 55 Staaten Afrikas sind nahezu vollzählig versammelt, es geht in Johannesburg schließlich um die Entwicklung ihres Kontinents.Die BRICS-Staaten verstehen sich – sehr geschickt – als Erben und Fortsetzer der antikolonialistischen Konferenz von Bandung 1955, der Blockfreien-Bewegung und der Gruppe der 77 Staaten des globalen Südens. Kein Wunder, dass UN-Generalsekretär António Guterres das Treffen mit seiner Anwesenheit beehrt.EAWU und SOZInzwischen macht auch eine BRICS-Entwicklungsbank für regionale Infrastrukturprojekte, dotiert mit 100 Milliarden Dollar Anfangskapital, der westlich dominierten Weltbank Konkurrenz, eine neue Leitwährung, die den US-Dollar ablösen soll, wird diskutiert.BRICS ist sicherlich der ambitionierteste, aber beileibe nicht der einzige Versuch, den Einfluss Chinas und Russlands auszuweiten. In der „Großen Eurasischen Partnerschaft“ arbeiten die russisch dominierte Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) und die chinesisch inspirierte Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) eng zusammen. Auch hier gibt es zahlreiche Aufnahmekandidaten, von Afghanistan bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Noch steht die wirtschaftliche Verflechtung durch Modernisierung der Transportwege (Neue Seidenstraße, Nord-Süd-Korridor) im Vordergrund, aber auch sicherheitspolitische Fragen nehmen mehr und mehr Raum ein. US-Analysten wie Robert Kagan fürchten schon die Entstehung einer „Anti-NATO“, doch die beteiligten Länder wissen sehr wohl, dass es zuvörderst darum geht, wirtschaftlich mit dem Westen gleichzuziehen. Noch ist die EU das Vorbild, nicht die NATO.China wittert eine „Mini-NATO“In Washington ist man überzeugt, dass hier das Monopol der einzigen Weltmacht maulwurfsartig untergraben wird, und steuert deshalb mit neuen Militärbündnissen gegen. Vergangene Woche empfing US-Präsident Jo Biden den japanischen Premier und den südkoreanischen Präsidenten in Camp David, um die einst verfeindeten Länder für eine Abwehrkoalition gegen China und Nordkorea zu gewinnen, woraufhin China den Vorwurf erhob, hier bilde sich eine „Mini-NATO“. Ein ähnliches Bündnis hatte Biden 2021 mit Großbritannien und Australien geschmiedet, um den Südpazifik – und China! – besser überwachen zu können. Dass Frankreich dabei im wahrsten Sinne des Wortes ausgebootet wurde – Australien sagte eine Milliarden-Bestellung von U-Booten französischer Bauart ab –, wirft ein Schlaglicht auf die schwindende Bedeutung Europas in diesem Great Game um Gunst und Kontrolle des globalen Südens. Die EU hat sich mit ihrer unterwürfigen Haltung (wir machen nichts ohne Erlaubnis der USA) in eine missliche Lage manövriert. Gefesselt durch das NATO-Mantra „Die Ukraine entscheidet allein, ob und wann sie verhandeln will“, fehlt der EU jeglicher Spielraum für eigene Initiativen, ob in Richtung BRICS, UNO, Blockfreien-Bewegung oder OSZE. Als könne die von westlicher Hilfe abhängige Ukraine irgendetwas allein entscheiden.Ukraine: Sechs F-16-Jets, vier Monate TrainingIhr Präsident Wolodymyr Selenskyj, soeben von einer Europatour durch kleinere NATO-Staaten nach Kiew zurückgekehrt, darf nunmehr auf die Lieferung von wenigen Kampfflugzeugen des Typs F-16 hoffen, von denen sechs (!) zu Beginn des nächsten Jahres startklar sein sollen – falls die extrem von 18 auf vier Monate verkürzte Pilotenausbildung nicht verlängert werden muss. Die westlichen Staaten entsorgen ihre veralteten Waffenarsenale (die F-16 wurde vor fast 50 Jahren in Dienst gestellt) in homöopathischen Dosen auf Kosten ukrainischer Soldaten und verlängern so den Krieg, anstatt den Realitäten ins Auge zu sehen und auf diplomatische Lösungen zu setzen.Denn eins steht fest: Der Westen wird um die Akzeptanz einer multipolaren Welt nicht herumkommen. Je eher er das einsieht, desto mehr Einfluss kann er auf die künftige „Ordnung“ nehmen.