Al Jazeera: Der „Feindsender“ aus Katar soll in Israel verstummen

Medien Der katarische Kanal wird aus Israel und künftig wohl auch aus dem Gazastreifen verbannt. Das Zeigen der Kriegsgräuel und das Aufzeigen der Verhandlungsangebote von Hamas kann die Regierung Netanjahu nicht länger ertragen
Ausgabe 16/2024
Al Jazeera-Journalist Wael Dahdou hält die Hand seines Sohns, der ebenfalls Journalist war und bei einem israelischen Luftangriff getötet wurde
Al Jazeera-Journalist Wael Dahdou hält die Hand seines Sohns, der ebenfalls Journalist war und bei einem israelischen Luftangriff getötet wurde

Foto: Hatem Ali / picture alliance / Associated Press

Bürger per staatlicher Verordnung vor Feindsendern abzuschirmen, ist ein alter Hut, der nach landläufiger Auffassung zum Instrumentarium totalitärer Regime gehört. Im Nazistaat wurde das Hören von Radio London mit dem Fallbeil bestraft. In der frühen DDR mussten Schüler unterschreiben, dass sie sich kein Westfernsehen anschauen – es wurde trotzdem eingeschaltet.

Heute scheuen sich die nach eigenem Verständnis standhaftesten Demokratien nicht, den Medienkonsum durch ein Heer von mäßig qualifizierten Plattform-Zensoren einzuschränken. Was aber hat die israelische Knesset zu einem Gesetz gegen ausländische Medien bewogen, von denen angeblich die „Staatssicherheit bedroht“ wird? Das verabschiedete Dekret zielt darauf, den katarischen Fernsehsender Al Jazeera in Israel stillzulegen, obwohl der die öffentliche Meinung nicht wirklich beeinflusst zu haben scheint.

Die meisten Israelis geben sich mit den Narrativen zum Gaza-Krieg zufrieden, wie sie die eigenen Massenmedien oder Verlautbarungen von Regierung und Armee abliefern. Sie bekommen wohl Bilder von Luftangriffen und zerstörten Stadtlandlandschaften zu sehen, vertriebene oder hungernde Menschen hingegen kaum, da solche Eindrücke ein unerwünschtes Mitgefühl wecken. Um eine Berichterstattung zu verhindern, die Verständnis oder gar Empathie für die palästinensische Seite auslösen kann, sind in den vergangenen Jahren etliche für Al Jazeera arbeitende Reporter getötet worden. Bekanntestes Beispiel ist die 2022 angeblich versehentlich erschossene, populäre amerikanisch-palästinensische Reporterin Shirin Abu-Akleh, die 25 Jahre für den Sender unterwegs war und zum Zeitpunkt der gezielten Schüsse eine Weste mit Pressekennzeichen trug.

Der Wille Gottes

Im Dezember 2023 wurde Wahel e-Dahdu, ein Fotoreporter von Al Jazeera, in der Gazastadt Khan Yunis ebenfalls gezielt getötet, woraufhin der Sender Israel beim Internationalen Strafgerichtshof verklagte. Wie die Organisation Reporter ohne Grenzen dokumentiert, sind in den bisher sechs Monaten des Gaza-Krieges mindestens 105 Journalisten, Fotoreporter und Kameramänner durch israelische Granaten und Geschosse ums Leben gekommen, darunter weitere Mitarbeiter von Al Jazeera. Einem einzigen ausländischen Korrespondenten ist es gelungen, über Rafah nach Gaza einzureisen. Nur Journalisten, die von der israelischen Armee „embedded“ sind, dürfen das Kriegsgebiet besuchen. Trotz aller Risiken für die Reporter zeigte Al Jazeera unablässig Bilder der Versorgungskatastrophe, der Not und des Elends, die man sich bislang auch in Israel ansehen konnte.

Um das nun ergangene Verbot zu begründen, wird dem Sender vorgeworfen, den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 als militärische Operation verklärt und Gewaltexzesse verschwiegen zu haben. Al Jazeera diene als Propagandaplattform der Hamas. In der Tat kam dort zuweilen der martialisch vermummte, selbst ernannte Hamas-Sprecher Abu Obeida zu Wort, der – spiegelbildlich zu Premier Netanjahu – zur vollständigen Vernichtung des Gegners aufrief. Außer diesen kriegsüblichen Formaten war Al Jazeera eine Tribüne für Politiker der Hamas, mit denen Israel bereits indirekt verhandelt – zum Beispiel Ismael Hanyie, der ehemalige Ministerpräsident von Gaza. Als der am letzten Tag des Ramadan drei seiner Söhne und einige Enkel durch einen israelischen Angriff verlor, beschränkte er sich in Al Jazeera auf die Bemerkung, es habe sich offenbar um Gottes Willen gehandelt. Von solcher Zurückhaltung geht eine subtilere Wirkung aus als von den markigen Sprüchen Abu Obeidas, die zu dem der Hamas zugeschriebenen Klischee passen.

Für israelische Hardliner erscheint Al Jazeera vor allem deshalb gefährlich, weil der Sender präziser als die eigenen Medien über Verhandlungsangebote der Hamas informiert. Dass sie alle in ihrer Hand verbliebenen Geiseln vorläufig nur bei einem umfassenden Gefangenenaustausch und dauerhaften Waffenstillstand freigeben will, könnte für immer mehr Israelis als allein denkbare Vernunftlösung erscheinen. Vermutlich ein Grund für das Verbot, das zum Dissens mit den USA beiträgt. Joe Biden ließ wissen, dass man im Weißen Haus die Arbeit des Senders gelassen sehe. Sollte Israel Gaza nicht räumen, würde der Bann gegen Al Jazeera auch dort gelten.

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