„Der totale Sieg ist unser Ziel, und der totale Sieg ist in Reichweite“, äußerte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im US-Sender CBS. Der von Gaza ausgehende Terror sei besiegbar. In wenigen Wochen, nach der von ihm geplanten Offensive auf Rafah, wo sich derzeit etwa 1,4 Millionen geflüchtete Palästinenser unter prekärsten Bedingungen aufhalten, werde es so weit sein. Die indirekten Gespräche mit der Hamas in Katar, denen sein Kriegskabinett auf Druck der USA am 24. Februar zustimmen musste, würden nur einen kleinen Aufschub für die Operation bedeuten. Einem – von wem auch immer – „diktierten Frieden“ werde er nicht zustimmen, vielmehr den „Job beenden“ bis zum „totalen Sieg“.
0;.Das sind unmissverständliche Ansagen. Es ist ein Irrtum zu glauben, Netanjahu werde nur von den Hardlinern seiner Regierung, Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich, angefeuert, und die als „gemäßigt“ geltenden Minister würden moderieren. Im Gegenteil, der in die Einheitsregierung eingetretene frühere Premier Benny Gantz will die Rafah-Offensive sogar pünktlich zum Beginn des Fastenmonats Ramadan am 10. März starten, sollten die Geiseln bis dahin nicht zu Hause sein. Auch gegen den von Netanjahu vorgelegten Gaza-Plan für die Zeit nach dem „totalen Sieg“ gibt es im gegenwärtig maßgebenden Machtblock keinerlei Widerstand. Man kann es nur das klassische Kolonialmuster nennen, wenn die „Sicherheitskontrolle“ durch eine ständige Präsenz der israelischen Armee ausgeübt werden und die Administration bei „lokalen Beamten mit fachlicher Erfahrung“ liegen soll.Historische Beispiele könnten lehren, dass zwischen Besatzungsmacht und kolonisierter Bevölkerung platzierte Verwalter weder auf der einen noch der anderen Seite Vertrauen genießen. Schlimmstenfalls schweben sie in ständiger Lebensgefahr. Das Ganze hätte mit demokratischer Erziehung der Palästinenser, die im Westen viele für wünschenswert halten, nichts zu tun und wäre überdies äußerst kostspielig. Besonders dann, wenn der Gazastreifen wieder für israelische Siedler freigegeben werden sollte.Auch der zwischen der Türkei und Katar pendelnde Hamas-Chef Ismail Haniyeh wie der amtierende Ministerpräsident der Autonomiebehörde in der Westbank, der Ökonom Mohammed Schtajjeh, sind bislang von ihren erklärten Kampfzielen nicht abgerückt: „Israel wird nicht triumphieren über den Willen der Palästinenser, Freiheit, Unabhängigkeit und Staatlichkeit zu erlangen. Das tägliche abscheuliche Töten ist ein Zeichen des Scheiterns“, so Schtajjeh mit Verweis auf die weltweit sinkende Unterstützung für Israels Vorgehen.Die USA und einige Golfstaaten haben die Autonomiebehörde vergeblich unter Druck gesetzt, eine „Technokraten-Regierung“ zu bilden, die sich für Gaza bereithält. Es ist absolut nachvollziehbar, dass Schtajjeh daraufhin am 26. Februar mit seinem Kabinett zurücktrat. Da er weiter das Vertrauen von Präsident Mahmud Abbas genießt, bleibt er kommissarisch im Amt. Offenbar soll Zeit gewonnen werden.Die Fatah-geführte Autonomiebehörde strebt eine Einheitsregierung mit der Hamas an, was selbstredend nur mit völlig neuem politischen Personal denkbar ist. Dafür aber müsste der gordische Knoten dieses Konflikts zerschlagen werden. Das bleibt undenkbar, solange Israel an seinem ins Unverhältnismäßige gesteigerten Vergeltungsfeldzug gegen die Hamas festhält.Möglich erscheint daher nur eine Feuerpause, die US-Präsident Joe Biden in den mit Ägypten und Katar in Doha geführten indirekten Verhandlungen zwischen der Hamas und Israel erreichen will. Gaza soll wenigstens während des Ramadan eine Zeit ohne Bombenexplosionen und Bodenoffensive erleben dürfen. Im Gegenzug soll die Hamas weitere Geiseln freilassen. Wie viele es sein werden und in welchem Umfang Israel im Gegenzug palästinensische Häftlinge freigibt – darum wird gerade gerungen.Ob das Feiern des Fastenmonats inmitten einer dystopisch verheerten Landschaft vorstellbar ist, sei dahingestellt. Zu hoffen wäre, dass während einer in Aussicht stehenden Feuerpause wenigstens mehr Hilfslieferungen den Kriegsschauplatz erreichen. Doch vor vergeblichen Hoffnungen sei gewarnt: Auf die spätestens nach dem Ramadan zu erwartende Bodenoffensive gegen Rafah reagiert Ägypten bereits mit dem Hochziehen von Zäunen und einer Mauer, um einen Zustrom palästinensischer Flüchtlinge ins Land zu verhindern. Kairo ist weder zu einer temporären noch einer dauerhaften Aufnahme bereit. Das hat Netanjahu offenbar beeindruckt, sodass er jetzt eine Fluchtroute von Rafah in den Norden des Gazastreifens vorgibt. Mit der Rückkehr der Menschen dorthin wäre – so paradox geht es zu – eine Forderung der Hamas erfüllt.Dass sich eine Mehrheit in Israel der Abkehr von einer derart rücksichtslosen Kriegsführung verschließt, ist nicht mehr allein mit dem Schock nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober zu erklären. Es hängt auch mit dem unerbittlichen Austragen eines Konflikts zusammen, bei dem es sich verbietet, für Bilder der Zerstörungen und leidender Menschen sensibilisiert zu sein. Das Versagen der meisten israelischen Medien hat einen Anteil daran.