Fatou Bensoudas Vermächtnis

Strafgerichtshof Die Chefanklägerin lässt gegen Israelis und Palästinenser ermitteln
Ausgabe 11/2021
Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, Fatou Bensouda (l.)
Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, Fatou Bensouda (l.)

Foto: John Wessels/AFP/Getty Images

Die durch Besatzung und Blockade verursachten Zustände in den Palästinensergebieten beschäftigen die internationale Öffentlichkeit im Moment kaum. Umso verdienstvoller ist es, dass die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, die aus Gambia stammende Juristin Fatou Bensouda, Mitte Februar Voruntersuchungen zu ab 2014 verübten Kriegsverbrechen in der Westbank, im Gazastreifen und in Ostjerusalem abgeschlossen hat. Was ermittelt wurde, hat das Tribunal veranlasst, einen offiziellen Prozess in Gang zu setzen. Es geht sowohl um Kriegsverbrechen, die der israelischen Armee und Polizei angelastet werden, als auch um kriminelle Akte, die Personal der palästinensischen Hamas wie des Islamischen Dschihad verübt haben sollen. Letzteres wurde möglich, weil der ICC im Einklang mit den entsprechenden UN-Resolutionen die Staatlichkeit der Palästinensergebiete anerkennt, die seit 2015 reguläre Vertragspartei des Gerichtshofs sind.

Es wird wohl Jahre dauern, bis es zu Prozessen kommt, zumal die Amtszeit von Fatou Bensouda im Sommer endet und der britische Jurist Karim Khan zum Chefankläger aufsteigt. Der israelische Menschenrechtsanwalt Michael Sfard hält es für denkbar, dass Khan erklärt, Israel sei ein Rechtsstaat. Folglich könne man dessen Justiz zutrauen, bei Kriegshandlungen verübte Gewaltverbrechen selbst zu untersuchen. Doch gilt die Besiedlung besetzter Territorien durch die Bevölkerung des Besatzers seit dem II. Weltkrieg als Kriegsverbrechen. Und da die Landnahme im Westjordanland offizielle israelische Politik ist, kann Khan zumindest die Verhandlung darüber nicht abblasen.

Natürlich können politische Lösungen durch juristische Entscheidung eines Internationalen Gerichts so wenig erzwungen werden wie durch Resolutionen der UNO. Insofern hat der ICC ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich zu einer endgültigen Regelung der palästinensischen Staatlichkeit nicht äußern wird. Aber er könnte sich für die Anerkennung voller Bürgerrechte von Palästinensern im Staat Israel/Palästina aussprechen. Dass die israelische Regierung bisher nicht in diese Richtung denkt, zeigt ihre Impfpolitik. Sie erfasst nur jüdische Bürger und Araber mit israelischer Staatsangehörigkeit. Überschüssige Dosen werden nicht in die Westbank oder nach Gaza, sondern in befreundete Staaten geschickt. Ob der Anwalt Sfard dennoch recht hat mit seiner Beobachtung, dass sich eine moderatere Siedlungspolitik andeutet, bleibt abzuwarten.

Obwohl der ICC auch gegen Palästinenser ermittelt, haben die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah und die Hamas in Gaza die Verfahren begrüßt. Premier Netanjahu sah darin „puren Antisemitismus“ und teilte mit, sollten israelische Militärs verurteilt werden, z. B. Benny Gantz, 2014 kommandierender General beim Feldzug im Gazastreifen, würden diese Personen mit diplomatischen Pässen ausgestattet, damit sie weiter frei reisen können.

US-Präsident Biden und der deutsche Außenminister Maas bedauerten die Entscheidung des Gerichtshofs, weil eine Staatlichkeit der Palästinensergebiete faktisch nicht gegeben sei. Was die Frage aufwirft, ob den Palästinensern überhaupt eine unabhängige Gerichtsbarkeit zugestanden wird, bei der sie Rechte einfordern können. Scheitert die Initiative des ICC, könnte eine weitere Erosion des Völkerrechts unvermeidlich sein. Auch dürfte das Gericht selbst Schaden nehmen, wenn sich dadurch weitere Vertragsstaaten aus Afrika zurückziehen. Dort wird bemängelt, dass bisher vor allem Afrikaner vor dem ICC angeklagt und verurteilt wurden, während sich Kriegsverbrecher aus anderen Staaten nicht stellen mussten. Fatou Bensouda hat sich um mehr Ausgewogenheit bemüht, sodass im März 2020 nach stichhaltigen Voruntersuchungen ein Ermittlungsverfahren zu Verbrechen von US-Militärs in Afghanistan eröffnet wurde. Der damalige US-Außenminister Pompeo setzte Frau Bensouda sofort auf eine Sanktionsliste.

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