Zurück zu den Wurzeln, bitte

Mobilität E-Roller rauschen durch die deutschen Städte und die Zukunft scheint angekommen zu sein. Doch die Verkehrswende ist mit ihnen nicht zu machen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Zurück zu den Wurzeln, bitte

Foto: David Gannon/AFP/Getty Images

Es wäre auch zu schön gewesen. Der E-Roller wurde im Vorfeld seiner Bereitstellung in deutschen Großstädten nahezu zum Messias der neuen urbanen Mobilität auserkoren. Elektromobilität für jedermann. Super individuell, super bequem, super praktisch, super super. Erste Ernüchterung stellte sich jedoch schnell ein. Zunächst wurde bekannt, dass die Anbieter den Löwenanteil ihrer Dienstleistung auslagern: das Aufladen der Akkus. Sogenannte Juicer werden von den Unternehmen als Freelancer angestellt, um die Roller nachts bei sich zuhause aufzuladen. Was sich zunächst wie ein entspannter Nebendienst für Studenten oder andere ausbeutungswillige Personen anhört, entpuppt sich schnell als Milchmädchenrechnung. Bis zu zehn Roller können pro Juicer aufgeladen werden. Diese müssen allerdings auch erst einmal selbst gesucht, eingesammelt und transportiert werden. Für einen aufgeladenen Roller zahlt beispielsweise der Anbieter Lime vier Euro – allerdings auch das nur, wenn der Roller vollständig aufgeladen ist, ansonsten wird der Lohn gekürzt. Wohlgemerkt gehen im Allgemeinen ebenfalls noch Steuern und etwaiger Sprit vom abendlichen Einsammeln und Transport ab.

Auch an anderen Fronten gibt es Unmut über die flinken Elektroflitzer. Städte und Kommunen beklagen, dass die Roller den Verkehr beeinträchtigen und es vermehrt zu Unfällen komme. Alleine in Berlin kam es seit dem 15 Juni 2019 zu knapp 40, bei denen in 90% der Fälle der E-Roller-Fahrende den Unfall verursachte. Und auch schon die ersten Unfälle mit Todesfolge gab es in Deutschland. Die gesamte Unfallstatistik der E-Roller ist alarmierend. Auf 100.000 km gefahrene Strecke kommen statistisch zwei Verletzte. Beim Fahrrad sind es bei gleicher Fahrstrecke statistisch lediglich 0,5. Der Deutsche Städtetag hat nun eine Vereinbarung beschlossen, die für mehr Ordnung auf Deutschlands Straßen sorgen soll. Allerdings konzentriert sich diese auf neue Regeln für das Abstellen der Roller, um das Chaos in den Innenstädten zu begrenzen. Mehr Verkehrssicherheit dürfte damit wohl kaum erzielt werden.

Problematisch ist zudem die Umweltbilanz des E-Rollers. Anbieter Lime präsentiert sich in knalligem Grün und wirbt auf seiner Homepage unter anderem mit „Unlock Life“, „Unlock Wonder“ oder „Unlock Joy“ – ein Lifestyleprodukt sondergleichen sozusagen. Hip, mobil und auch noch öko. Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer schrieb dem E-Roller zu, eine „echte zusätzliche Alternative zum Auto“ zu sein. SPD-Umweltpolitiker Michael Thews sieht das jedoch etwas differenzierter: „Mein erster Eindruck von der Nutzung der E-Scooter ist, dass sie für Strecken genutzt werden, die sonst zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zurückgelegt wurden.“ Als richtige Alternative zum Auto in der Stadt scheinen E-Roller also eher ungeeignet, da sie keine der Charakterisitika aufweisen, die gerade das Auto attraktiv machen. Sei es der Transport von Einkäufen, mehreren Personen – oder das plumpe Dasein als Statussymbol. Zudem haben E-Roller einen sehr eingeschränkten Nutzungszeitraum und müssen bereits nach wenigen Wochen als Elektroschrott entsorgt werden.

Dem Versprechen und den großspurigen Ankündigungen, mit dem die E-Roller-Anbieter angetreten sind, ging schon nach kurzer Zeit die Luft aus. Das Konzept der Elektromobilität für Kurzstrecken in den Städten und mehr Nachhaltigkeit oder Umweltschutz hinkt aus verschiedenen Gründen. Zum einen führen die E-Roller ein zentrales Problem der aktuellen Mobilität weiter fort: motorisierter Individualverkehr. Selbst wenn man den Unternehmen ein grünes, ökologisches Mantra zu Gute halten würde, unser Mobilitäts- und Umweltproblem kann man nicht lösen, wenn man die Fahrzeugmenge nicht reduziert. Der BUND konstatiert, dass E-Roller „keine Hilfe bei der Verkehrswende“ seien, da vor allem zur Akkuherstellung viele seltene Rohstoffe benötigt werden und „viele Fragen rund um Entsorgung und Recycling [...] derzeit noch nicht geklärt [sind]“. Außerdem muss man festhalten, dass es bereits ein Verkehrsmittel gibt, das eine hervorragende Umweltbilanz hat und auch individuell vielseitig einsetzbar ist: das Fahrrad. Es entstehen keine Schadstoffe, kein Lärm – und Fahrräder brauchen wenig Platz im Straßenverkehr. Seitdem die E-Roller auf die Straße losgelassen wurden, scheint es so, als würden die Leihräder immer mehr verschwinden.

„Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah“ lässt sich somit auch auf die Verkehrswende anwenden. Bus, Bahn und Fahrrad sind seit langem in deutschen Städten unterwegs, wurden aber von den Autos immer weiter verdrängt. Das Problem ist also: Die E-Roller stellen keine wirkliche Mobilitätsalternative zum Auto dar. Die Umwelt werden sie ganz bestimmt nicht retten. Aktuell sind sie nicht mehr als ein weiterer Versuch verschiedenester Unternehmen, auf den grünen Hypetrain aufzuspringen, um auch dort noch soviel Umsatz wie möglich für sich einzustreichen. Die E-Roller daher als Heilsbringer gegen den Klimawandel und für eine Verkehrswende anzupreisen ist somit nicht nur falsch, sondern auch scheinheilig.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maximilian Scharffetter

Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden