Eine große, unbeugsame Antifaschistin

Esther Bejarano Wie keine Zweite hat die Holocaust-Überlebende auf Kontinuitäten zwischen NS-Staat und BRD hingewiesen
Ausgabe 28/2021
Esther Bejarano, 1924 – 2021
Esther Bejarano, 1924 – 2021

Foto: Christian Charisius/Pool/AFP

Esther Bejarano ist tot. Die Bestürzung darüber war groß – auch an der Spitze des Staates. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) würdigte die „Erinnerungsarbeit“ der Holocaust-Überlebenden. Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte sie eine „wichtige Stimme im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus“. Und für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) war Bejaranos Tod ein „großer Verlust“.

Die Kondolenzen klangen ehrlich. Und zugleich befremdlich, bedenkt man, wie hierzulande mit Antifaschist*innen wie Bejarano umgegangen wurde und wird. So etwa mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), deren Ehrenvorsitzende Bejarano war. 2019 wurde dem von Überlebenden und Widerstandskämpfer*innen gegründeten Verband die Gemeinnützigkeit entzogen. Bejarano kämpfte dagegen an, sie schrieb einen Brief an Finanzminister Olaf Scholz: „Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!“ Auch wenn die VVN-BdA seit kurzem wieder als gemeinnützig gilt: Es bleibt ein Skandal, dass Bejarano an ihrem Lebensende auch diesen Kampf noch führen musste.

Der Vorgang bestätigte Bejaranos immer wieder vorgetragene Warnung, beim Antifaschismus dürfe man sich nicht auf den Staat verlassen. Das wurde ihr spätestens Ende der 1970er Jahre klar, als in Hamburg in der Nähe ihrer Boutique ein NPD-Stand aufgebaut wurde. Die Polizei kam – und ging nicht etwa gegen die Nazis, sondern gegen protestierende Gegendemonstrant*innen vor. Seitdem engagierte sich Bejarano bei der VVN-BdA. Später gründete sie das Auschwitz-Komitee mit, organisierte Demos gegen Rassismus und Faschismus. Sie protestierte aber auch gegen die Politik Israels, wo sie seit dem Kriegsende bis 1960 gelebt hatte.

Sie ließ sich nicht einschüchtern, als die Polizei sie 2004 bei einer Demo, wo sie im Lautsprecherwagen saß, minutenlang mit einem Wasserwerfer angriff. Und sie sprach bei der Großdemonstration gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Von der Aktivistin Bejarano war in den offiziellen Beileidsbekundungen wenig zu lesen.

Auch nicht davon, dass sie eine überzeugte Kommunistin war, die immer wieder Ärger mit jenen hatte, die vorgeben, die Verfassung zu schützen. Die VVN-BdA wird seit ihrer Gründung 1947 vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ beobachtet. Ebenso wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), in der Bejarano jahrzehntelang Mitglied war.

Nicht nur das: Esther Bejarano selbst war dem Verfassungsschutz verdächtig. In einer Schrift zum 60-jährigen Bestehen des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg wurde 2012 ein Appell erwähnt, den sie Ende der 1990er Jahre gemeinsam mit Peter Gingold verfasst hatte. Darin werden die nachfolgenden Generationen aufgefordert, sich für ein „dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen“ einzusetzen. Für den Verfassungsschutz offenbar suspekt. Nicht nur das: Dass Bejarano Auschwitz-Überlebende sei, wird in Anführungszeichen gesetzt.

Wer es wagt, nicht nur über die Gräueltaten der Nazis zu berichten, sondern auch Kontinuitäten zwischen dem NS und der BRD zu benennen, wer konsequent für Frieden und gegen Ungleichheit jeder Art kämpft, kann ins Visier geraten, selbst als Holocaust-Überlebende. Bejarano hat recht: Beim Antifaschismus darf man sich nicht auf den Staat verlassen.

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