Europa hat gewählt: vorbei endlich das inhaltsleere Juhu-EU-Gejubel der Liberalen, vorbei endlich auch das nationalistische Geschrei der Rechten, vorbei aber leider auch die Gelegenheit, eine klar linke Position jenseits der beiden Pole zu stärken.
Hauptaussage im Wahlkampf: Stärkt Europa, wählt irgendetwas, bloß nicht rechts. Für mehr reichte der Platz auf Wahlplakaten und Instagram selten. Beim fröhlichen, mit coolen Beats unterlegten Freude-schöner-Götterfunken-Chor waren sogar einige „linksradikale“ Stimmen zu hören. In der Jungle World appellierte ein Mitglied der Berliner Gruppe Theorie Organisation Praxis (TOP), es mit der linken EU-Kritik sein zu lassen und stattdessen lieber an der Seite der „fortschrittlichen“ Kapitalfraktionen zu stehen.
Strategische Partner für eine solche Volksfront gegen rechts finden sich in der deutschen Bourgeoisie zuhauf. Anfang Mai riefen die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft unter dem Motto „WIRtschaft für Europa“ ebenfalls dazu auf, Europa zu stärken. Das exportorientierte Kapital sorgt sich um den europäischen Binnenmarkt und seine Absatzmärkte. Wirtschaftlich soll in Europa, frei nach Volker Kauder, weiter Deutsch gesprochen werden.
Ein Lichtblick in Sachen EU-Kritik war ausgerechnet Martin Sonneborns „Die Partei“, die der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch die Gestaltung ihres TV-Wahlspots überließ und so an den nach wie vor mörderischen Charakter des EU-Grenzregimes erinnerte – ein Thema, das vor lauter Europa-Luftballons und strategischen Überlegungen irgendwie unterging. Leider war sich dann aber auch Sonneborn nicht zu schade, die populäre entpolitisierte Anti-rechts-Rhetorik zu bedienen. Kurz vor den Wahlen sagte er in einem Interview, die Dummen würden die AfD wählen, die Intelligenteren seine Partei.
Beharrlich hält sich seit Jahrzehnten das Gerücht, Rechte seien schlicht ungebildet. Eine falsche, aber bequeme Analyse, denn so muss man sich nicht mit den tatsächlichen Ursachen des Aufstiegs der Rechten auseinandersetzen. Die Rechten werden einfach ausgelagert in eine andere Welt, wo der hässliche Deutsche noch immer in seiner vollgepissten Jogginghose herumläuft, ein anderer Deutschland-Anglerhut trägt, niemand alle Latten am Zaun hat und nur wenige noch alle Zähne im Maul haben. Der schöne, gute Deutsche trägt einen blauen EU-Pulli, weiß Standortnationalismus in wohlklingende Phrasen zu verpacken und hofft, Linke weiterhin damit zu beschäftigen, „Argumente gegen Stammtischparolen“ zu suchen. Dabei wären Argumente gegen Jahreshauptversammlungsparolen auch nicht schlecht.
Kommentare 4
Ja, Herr Friedrich, die kleinen Medien und die kleinen Textformen eignen sich bestens, den viel schnelleren Kleinformen des Netzes zu folgen und ein bisschen den Wüterich zu geben, angesichts der vielen Aperçus dieses letzlich inhaltleeren EU- Parteiwahlkampfes, der medien- und aufmerksamkeitsökonomisch einzig von Nicht- PolitikerInnen und jüngeren Generationen wirklich angeheizt wurde.
Hätten die das nicht gemacht, sähe es womöglich noch trauriger aus, mit der realpolitischen Mehrheit der Vernünftigen, im EU- Parlament.
Ob die Vernunftmehrheit auf der Ebene der EU-Regierungen noch vorhanden ist, wird sich erst in den nächsten Tagen und Wochen erweisen. Erkennbar ist aber auch, dass besonders deutsche PolitikerInnen sich letztlich viel lieber mit ihren Problemen und permanenten Partrei-Krisen beschäftigen wollen oder aber mit ihrem präsidialen Geschichtsbild völlig ausgefüllt sind, als in Europa das Wagnis einzugehen, auch nur einen fußbreit "Neuland" zu betreten.
Ohne Zweifel, sind die Rechten in Europa, die übrigens nicht nur bei den dezidiert Rechten parken, nicht weniger gebildet oder dumm, als alle anderen Konkurrenten. Ihre WählerInnen sind es auch nicht! Erschreckend häufig und zunehmend, treten sie so auf, wie Sie und ich. Sie stammen aus der gleichen großen Mitte und proben doch den Aufstand für eine exklusive, nicht inklusive, nationale Mitte.
Für die Dummen und seligen im Geiste, die Behinderten, die fremdartig Aussehenden, die Frauen, die sich nichts mehr sagen lassen wollen, die Prekären, usw., bieten sie kaum was an. Nur für Alte müssen sie real was tun, wenn sie dran sind und wollen das auch, denn die sichern die bombigen Wahlergebnisse.
In der Funktionärsspitze, natiional und europäisch, versuchen sie es sogar mit Altphilologie, mit einer sehr speziellen Art der nationalen Geschichtsbetrachtung, sowie mit der Rettung des je nationalen Abendlandes.
Hochprofessionelle ehemalige PolitikerInnen, Richter, Staatsanwälte, CEOs, einige Wirtschaftswissenschaftler und einige wenige Naturwissenschaftler, sowie Lehrer haben sich ihnen angeschlossen, wie auch noch meist im Verborgenen bleibende Geldmenschen und Medalisten. Sogar aus der (un)heimlichen Internationale dieser Leute, ziehen die Rechten Gewinn. Aus den traditionellen Netzwerken der studentischen Korporationen erhalten sie reichlich Zulauf.
Sie vernetzen sich besser, nein, effzienter, mit dem virtuellen und mit dem realen "Volk". Das ist gar keine Frage mehr, sondern eine Tatsache.
Es dürfte nur wenige Parteistrategen in den führenden EU- Parteien geben, die über ein so gesichertes Fundament an Wissen um den Webzugang verfügen. In diesem Punkt, waren sie auch historisch schon modern, in Deutschland, in Italien, in Frankreich. Die führenden Fachkräfte werden, wie einst, aufgefordert in die Länder unbegrenzter Möglichkeiten zu blicken.
Journalisten sind übrigens, in der Kritik oder in der Zustimmung, ein natürlicher Partner für Rechte. Bei ihnen verfangen auch die zahlreichen verbalen Provokationen am besten. Aber selbstverständlich sind es nicht jene wenigen Journalisten, die ein geblimptes Mikrofon und ihre Handkamera auf sprachlich und situativ entgleiste "Wutbürger" richten.
Der Freitag sollte sie umfänglicher zur AfD "ausquetschen" und Ihnen die Möglichkeit einräumen, auch einmal ihre realen und alltäglichen Begegnungen mit den gescholtenen Rechten, den Wortführern und den Anhängern, zu berichten. Das wäre auch für mich ein Gewinn, weil mir diese Perspektive, aus Abneigung und Distanzierung heraus, völlig fehlt. Ich darf meine (Vor-)Urteile pflegen, Sie könnten aufklären.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ist ne Binse, dass die AfD nicht nur aus Ungebildet besteht, eher aus Halbgebildeten. Wäre auch ein Argument stärker gegen diese intellektuellen CDU-Dullies rund um Maaßen zu argumentieren. Wo ist da der Unterschied zur AfD? CDU steht für Stabilität? CDU führt das Land zusammen? Was für eine Propaganda...
Kommt halt immer drauf an, was man unter Bildung versteht. Technisches Wissen und/oder typische Abschlüsse zB. in naturwissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Fächern sind ja nicht schon Nachweise, dass einer auch in Gesellschaftsgeschichte, Kultur, Kunst, Psychologie, Ethik, Philosophie u. dergl. recht gut bescheid weiß. Vermutlich sieht es rechts der Mitte (wenn es sie gibt) mit der Bildung in diesen Bereichen eher dünn aus.
Ein guter, vollkommen richtiger und wichtiger Kommentar, Herr Friedrich!