Wagenknecht-Partei: Es braucht ein Bündnis gegen den Geldadel, sagt Christian Leye
Interview Christian Leye war wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion und Organisator der „Aufstand-für-Frieden“-Kundgebung. Jetzt baut er die Sahra-Wagenknecht-Partei mit auf
Christian Leye will eine Wirtschaftspolitik, die dem Mittelstand ebenso hilft wie den arbeitenden Menschen
Foto: Miriam Klingl für der Freitag
Sechs Kuchenstückchen liegen in Christian Leyes Büro im Bundestag bereit, in der anderen Ecke lehnt ein großes Stück Kohle im Regal – ein Geschenk seines Opas, eines Bergmanns. Nach dem Gespräch wird Leye schnell in ein Kuchenstückchen beißen, sein Büroleiter mahnt, trotz des randvollen Terminkalenders etwas Richtiges zu essen. In das Buch Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen von Michael Lüders, das am Rand des Schreibtischs liegt, hat Christian Leye bisher nur „reingeguckt“.
r Frieden“-Kundgebung Ende Februar ist nun mit dem Aufbau der Partei beschäftigt, die aus dem Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) erwachsen soll. Mit dem Ökonomen Leye hat die Linkspartei einen ihrer wenigen Wirtschaftspolitiker verloren. Das BSW will „eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand“.der Freitag: Herr Leye, was genau ist denn dieser auch von Ihnen gelobte deutsche „Mittelstand“?Christian Leye: Das ist nicht nur der Bäcker, der Handwerksbetrieb, das ist auch der Industriebetrieb bei mir in Nordrhein-Westfalen, der ganz bestimmte Vorprodukte herstellt und hier Marktführer ist. Wir haben in Deutschland viele mittelständische Unternehmen, im Unterschied zu anderen Industrieländern, in denen es eine viel stärkere Konzentration von Kapital gibt. Darum ist es ernst, wenn der Mittelstand jetzt Hilferufe sendet. Gleichzeitig haben wir uns an eine Krisenpolitik gewöhnt, die sich an den Interessen des Großkapitals orientiert. Wer die Interessen der arbeitenden Menschen vertreten will, muss auch darauf achten, dass der Mittelstand nicht unter die Räder kommt.Es gibt aber auch Mittelständler, die aus der Tarifbindung fliehen und höhere Steuern ablehnen.Natürlich sollen Tarifverträge oder Arbeitsschutzvorschriften auch in mittelständischen Unternehmen gelten, aber zwischen diesen und den Beschäftigten gibt es darüber hinaus gerade jetzt gemeinsame Interessen an einer vernünftigen Politik. Wir sind das einzige Industrieland, das derzeit schrumpft. Das hat mit massiv gestiegenen Energiepreisen zu tun und der Inflation, die dann wiederum vor allem Konzerne genutzt haben, um sich zu bereichern, was alles dem Mittelstand massiv zu schaffen macht. Es ist eine historische Situation, in der es erkennbar große Überschneidungen zwischen den Interessen der arbeitenden Menschen und des Mittelstands gibt, die ein Bündnis brauchen gegen die Selbstbedienungsmentalität des großen Geldes und der Kurzsichtigkeit der politischen Klasse.Erschöpft sich Ihre Vorstellung von diesem Bündnis darin, die Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen zu fordern?Wir haben gute programmatische Eckpunkte, alles Weitere werden wir später erarbeiten. Aber es ist ein Gebot der Vernunft, über dieses Thema zu sprechen. Denn abgesehen von der Scheinheiligkeit, sich mit harten Sanktionen zu brüsten, zugleich über teure Umwege aber doch weiter russisches Gas und Öl zu kaufen, geht es um das Große und Ganze: Erst will die Gesellschaft richtigerweise aus der fossilen Energie aussteigen – mit Gas als Übergangslösung –, dann gefährdet ein Wirtschaftskrieg mit dem Gas-Hauptlieferanten die industrielle Basis und deren Transformation. Am Horizont zeichnet sich ein möglicher Konflikt mit China ab, dessen Rohstoffe wie Seltene Erden oder Grafit wir für die Energiewende brauchen.Ihr Photovoltaik-Ausbauziel für 2023 hat die Ampel-Koalition schon im September erreicht.Ich glaube nicht, dass uns Jubelmeldungen über das Erreichen selbst definierter Zwischenziele helfen. Wir sind teils zu 100 Prozent von chinesischen Rohstoffen abhängig, wenn es um den Ausbau der Erneuerbaren geht! Da gibt es auf dem Weltmarkt oft gar keine Alternative, und kauft man doch woanders ein, verhandelt man am Ende auch mit den Chinesen, weil sie ihre Finger in Bergbauprojekten in anderen Ländern haben. Außerdem sind die Strompreise immer noch viel zu hoch.Robert Habecks Strompreispaket sieht vor, dass die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe von mehr als 15 Euro auf 50 Cent pro Megawattstunde gesenkt wird, über Jahre!In dieser Situation wäre alles andere auch verkehrt gewesen, denn hier drohen industrielle Kerne wegzubrechen. Bis zu 1,7 Millionen Arbeitsplätze in der Grundstoffindustrie und in den nachgelagerten Industriezweigen könnten ohne Gegenmaßnahmen von Abwanderung bedroht sein. Deshalb ist es richtig, jetzt zu handeln. Aber wie sind wir überhaupt in so eine Situation gekommen und wer zahlt nachher den Preis dafür? An die grundsätzlichen Probleme geht die Ampel nicht ran.Wie würden Sie denn rangehen?Wir werden in Deutschland auf absehbare Zeit Gas brauchen, und zwar bezahlbares. Daher wäre es besser gewesen, auf eine Verhandlungslösung des Ukraine-Krieges zu drängen und im Zuge dessen auch über eine Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen zu sprechen, um sicher und stabil in eine Zukunft zu kommen, in der Erneuerbare eine viel größere Rolle spielen. Inzwischen setzt sich ja offensichtlich auch in Teilen des ukrainischen Militärs und in westlichen Hauptstädten die Erkenntnis durch, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld nicht gewonnen werden kann. Wäre das früher der Fall gewesen, könnten Tausende von Menschen noch leben und die Verhandlungsposition der Ukraine wäre eine bessere. Abgesehen davon muss in großem Stil Geld in die Hand genommen werden, um das Land zukunftsfest zu machen. Wir brauchen massive Investitionen in unsere öffentliche Infrastruktur und in einen Staat, der seinen Aufgaben wieder hinterherkommt. Das neoliberale Dogma hat uns in eine Sackgasse geführt.Einige Ökonomen sagen, es wäre gut, sich von einigen besonders klimaschädigenden Industrien in Deutschland zu verabschieden.Was für ein Quatsch! Sowohl vor dem Hintergrund der noch immer beträchtlichen Wertschöpfung als auch angesichts strategischer Aspekte in einem komplizierten internationalen Umfeld als auch unter sozialen Gesichtspunkten kann ich da nur den Kopf schütteln.In Ihrem Wahlkreis in Duisburg sind doch nach dem Rückbau von Schwerindustrien Luft und Leben heute auch viel gesünder als in der Vergangenheit.In Duisburg wird immer noch Stahl produziert, und zwar unter sozial und ökologisch sehr viel besseren Bedingungen als anderswo. Sollen wir klimaschädlicheren, sozial unverträglicheren Stahl vom anderen Ende der Welt einschiffen, wie wir das jetzt mit russischem Öl über Indien machen? In jeder denkbaren Welt werden wir Stahl brauchen, ob für Brücken oder Gebäude. Auch Windräder entstehen nicht aus Bambus und guter Laune. Und was das sozial hieße! Im Ruhrgebiet ist jeder Fünfte von Armut betroffen, in einigen Städten lebt jedes dritte Kind in Armut. In so einer Region industrielle Kerne wegzubrechen, Zehntausende gut bezahlte Arbeitsplätze – das wäre eine Klatsche für die Menschen, die davon leben, und für den sozialen Frieden. Da können gewisse grüne Vertreter ja mal erklären, was die Alternative für die Leute vor Ort wäre. Ich bin gespannt.In Ihrem Wahlkreis in Duisburg haben bei der letzten Landtagswahl nur noch 38 Prozent der Menschen gewählt. Warum?Teile der Bevölkerung haben sich von der Politik abgewendet, ihnen ist egal, wer regiert, weil sie nichts mehr erwarten. Da geht es dann gar nicht mehr um eine Partei, eine Regierung oder eine Koalition, weil die Leute sich gar nicht mehr genau erinnern, wer ihnen vor 13, 15 oder 17 Jahren ins Portemonnaie gegriffen hat. Das ist ein grundsätzliches Gefühl, ein Demokratieproblem und Ergebnis eines langen neoliberalen Prozesses.Sie bauen jetzt aber keine große Mitgliederpartei auf, werden also kaum zu Haustürbesuchen im Duisburger Norden ausschwärmen. Wie wollen Sie mit einer kleinen Gruppe diese Menschen in die Demokratie zurückholen?Durch eine Politik in einer klaren Sprache, die keine Angst hat, auch mal anzuecken. Das Problem der politischen Linken war auch eine Art, zu reden, bei der viele Menschen da draußen gar nicht wussten, dass sie mitgemeint waren. Wir wollen ihnen zeigen: Es ist nicht egal, wer da oben Politik macht, sondern es gibt Leute, die lassen sich nicht verbiegen, wenn es mal Gegenwind gibt. Die interessieren sich nicht für Spielchen, sondern die nehmen die Nöte und Sorgen und die Identität der Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen ernst und wollen sie zurück in die Politik holen.Dafür ist die Begrenzung von Migration so ein großes Thema?Das ist es ja nicht nur für uns. Über reale Probleme nicht zu reden und sie Rechtspopulisten aufgreifen zu lassen, hilft ebenso wenig wie offene Grenzen für alle und ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Probleme der Kommunen haben die Menschen, die dort jetzt ankommen, nicht verursacht. Es geht vielmehr um eine verkehrte Steuer- und Verteilungspolitik. Ein reiches Land, das darauf verzichtet, Reichtum zu besteuern, und dann auch noch eine Schuldenbremse einführt, muss sich über Kommunen, die an Kapazitätsgrenzen kommen, nicht wundern. Die sind am unteren Ende der fiskalpolitischen Nahrungskette und baden die Fehlentscheidungen weiter oben aus. Also soll die Schuldenbremse weg?Ja, die steht massiv im Weg. Wir müssen richtig Geld in die Hand nehmen, um das Land wieder aufzubauen und zukunftsfest zu machen, aber solidarisch, nicht mehr weiter so, dass der Normalverdiener dafür zahlt. Es geschieht das Gegenteil: Die Ampel will 30 Milliarden Euro weniger ausgeben, hat zudem eine Klatsche vor dem Bundesverfassungsgericht kassiert, weil sie unbedingt die Schuldenbremse einhalten und FDP-Wähler bedienen wollte. Diese 60 Milliarden fehlen nun bitter. Wir müssen jetzt über einen Kurswechsel reden: ein Aufheben der Schuldenbremse, um dringend nötige Investitionen zu finanzieren, und eine höhere Besteuerung für riesige Vermögen und Erbschaften. In den öffentlichen Kassen fehlen auch Milliardenbeträge, weil nicht erst diese Regierung sich weigert, den extremen Reichtum an der Spitze zu besteuern. Überlastete Kommunen, kaputte Schule, marode Straßen, Brücken und ein nicht funktionierendes Verkehrsnetz sind die Folge. Das ist sozial und ökonomisch dermaßen irrsinnig! Außer dem Geldadel an der Spitze hat so ein System für niemanden Vorteile.Placeholder infobox-1
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