Thomas de Maizière ist ein schlauer Mann. Über den öffentlichen Dienst hat der Bundesinnenminister im Januar gesagt: „Viele Beschäftigte arbeiten mit hohem Einsatz, mit zig Überstunden und unter hohem Druck. Das ist auf Dauer nicht gesund.“ Doch in der nun laufenden Tarifrunde will der die Arbeitgeber anführende de Maizière die zwei Millionen Mitarbeiter von Bund, Ländern und Kommunen trotzdem in Altersarmut schicken: Leistungen der betrieblichen Altersversorgung sollen sinken, um die öffentliche Hand zu entlasten.
Verdi hat diese Forderung zum „No-Go“ erklärt – und die Erhöhung der Entgelte für alle Beschäftigten um sechs Prozent gefordert, zudem 100 Euro pro Monat mehr für Azubis sowie deren unbefristete Übernahme und überhaupt das Ende von Befristungen, für die es gar keinen sachlichen Grund gibt. 150.000 Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind heute grundlos nur für begrenzte Zeit angestellt, dreimal mehr als 2004.
So mit seinem Personal zu wirtschaften ist alles andere als schlau. Bis 2030 geht rund die Hälfte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Rente. Und zugleich wird immer deutlicher, wie sehr es in Zukunft auf einen wiedererstarkenden Staat ankommt: mehr und mehr alte, pflegebedürftige Bürger. Viele Flüchtlinge. Der erklärte Wille der Politik, die schon länger hier ansässigen Armen nicht zu vergessen. Für all das braucht der Staat gute Leute. Die wird er nicht bekommen, wenn er die Standards senkt, während der nötige Einsatz, die Überstunden und der Druck ansteigen.
Doch nicht nur dafür müssen Erzieher, Polizistinnen und das Personal in Kliniken streiken, sollten sich die Arbeitgeber nicht bewegen. Gerade in weltwirtschaftlich so unsicheren Zeiten wie diesen muss ein an Exportstärke mittels Lohnzurückhaltung gewöhntes Land wie Deutschland alles daran setzen, die Binnennachfrage kräftig zu steigern. Da dies mit öffentlichen Investitionen so lange nicht gelingen wird, wie der Finanzminister Schäuble heißt, kommt es umso mehr auf die Gewerkschaften an.
Mit einer Forderung von sechs Prozent in Verhandlungen zu gehen, das sollte für die Zukunft eher die Untergrenze sein und eine neue Normalität begründen. Wie man Entschlossenheit im Arbeitskampf durchhält, das können sich Verdi & Co. ja bei Claus Weselsky und den Lokführern abschauen.
Kommentare 5
Kämpferische Gewerkschaften, wie die der Lokführer, wären mit Sicherheit nicht die Lösung der Probleme, die der Kapitalismus gesetzmäßig hervorbringt. Sie könnte aber helfen, die unendlichen Zumutungen, die er für zunehmend mehr Menschen bedeutet, zu mildern. Und man sage nicht, dass das nich auch schon etwas sehr erstrebenswertes wäre.
Aber Verdi und sein ewiger großer Vorsitzender zeigen schon sehr beispielhaft, warum die Gewerkschaften in Deutschland -mit wenigen kleinen Ausnahmen, die hier im Titel genannt sind- zu zahnlosen Tigern verkamen.
Als Mitglied im Bundesvorstand der Grünen trug Bsirske unmittelbare persönliche Verantwortung für die neoliberale Zurichtung der BRD: HIV, endlose Befristungen, Leiharbeit usw. Er gehört zu denen, deren Namen genannt werden muss, wenn es darum geht, wem dieser Dreck zu verdanken ist, gegen den sich die Gewerkschaften, auch nach der sicher zutreffenden Meinung des Autoren, aufzulehnen hätten. Weitere Funktionäre wären zu nennen. Bleiben wir bei dem einen.
Wer glaubt den ernsthaft, der würde ernsthaft versuchen gegen die Folgen einer Politik anzugehen, die er selbst zu verantworten hat. Das ist einfach nur Phrasendreschrei. Stattdessen wird Hass gegen die geschürt, die sich wie die Lokführer entschlossen wehren. Und hinter den Kulissen wird mit der Politik gekungelt, um deren Handlunsspielraum zu zerstören.
Die Erwartung, von den scharz-rosa-grünen Großgewerkschaften wäre entwas von dem, was hier gefordert wird, zu erwarten, scheint mir durch nichts, aber auch gar nichts begründet zu sein.
>>Wie man Entschlossenheit im Arbeitskampf durchhält, um seine Ziele zu erreichen, sollten sich Verdi & Co. bei den Lokführern abschauen.<<
Eigentlich ist damit schon alles gesagt.
Nur soviel noch: Eine Gewerkschaft kann niemals besser sein als ihre Mitglieder. Gegen eine starke Basis kämen auch Vorsitzende nicht an. Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Stahlarbeiterstreik von 1969 erinnern.
Und noch was: Eine reine Prozentforderung ist zwar leichter durchzusetzen, aber die unteren Tarifgruppen werden damit immer weiter abgehängt. Richtiger wäre ein Festbetrag für alle, darauf kann ja noch eine kleine Prozenterhöhung gepackt werden.
Es bedarf "des regelrechten Aufstands, der Rebellion gegen die kapitalistische Krisenverwaltung jeglicher Couleur mit ihrer trostlosen Perspektive von demokratischer Zwangsarbeit und Billiglohn-Sklaverei. Die Parole 'Niemals Billiglohn!' kann vielleicht endlich umschlagen in die Parole 'Nieder mit dem Lohnsystem!' und Elemente einer gesellschaftlichen Gegenbewegung jenseits der abgewirtschafteten demokratischen Politik hervorbringen. Der kürzeste Weg in den sozialen Erschütterungen der kommenden Jahre wäre die Besetzung der Produktionsbetriebe, Verwaltungsinstitutionen und sozialen Einrichtungen durch eine Massenbewegung, die sich die gesellschaftlichen Potenzen direkt aneignet und die gesamte Reproduktion in eigener Regie betreibt, also die bislang herrschenden 'vertikalen' Institutionen schlicht entmachtet und abschafft. --
Denkbar wäre auch eine Übergangsphase, in der sich eine Art Gegengesellschaft bildet, die bestimmte soziale Räume gegen die kapitalistische Logik eröffnet, aus denen Markt und Staat vertrieben werden." (Robert Kurz)
In: Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. Epilog, S. 791. Vgl. Auszug.)
>>Der kürzeste Weg in den sozialen Erschütterungen der kommenden Jahre wäre die Besetzung der Produktionsbetriebe, Verwaltungsinstitutionen und sozialen Einrichtungen durch eine Massenbewegung, die sich die gesellschaftlichen Potenzen direkt aneignet und die gesamte Reproduktion in eigener Regie betreibt,...<<
Das erfordert allerdings einige Vorausarbeit: Man muss schon wissen, wie man das machen will und kann. Dazu auch aus Fehlern vergangener Revolutionen lernen. Und dazu sehe ich im Moment noch sehr wenig Ansätze.
Aber man aktiver Gewerkschaftsarbeit bleibt man wenigstens wach, das ist auch schon was...
Viel ist Ihrem Kommentar nicht hinzuzufügen. Nur, daß nicht nur Verdi, sondern der ganze DGB-Sumpf mit Nahles kungelt, um unabhängige Gewerkschaften mundtot zu machen. Die politische Nähe zu einer Partei, die die Interessen derer, die die Werte in dieser Gesellschaft erarbeiten, nicht mehr vertritt, sondern nur die Interessen derer, die diese Werte verteilen, ist ein wesentlicher Grund für den Niedergang der Gewerkschaftsbewegung. Ich fürchte nur, daß genau das das Ziel der SPD ist.